LEITARTIKEL

Auf Bewährung

Alle Achtung! Vor ihrem Start im vergangenen November zeigte Europas Bankenaufsicht im Zuge ihres Bilanztests alle Qualitäten, mit denen sie sich in der Kreditwirtschaft unbeliebt machen konnte: überbordend erscheinende Datenabfragen? Serienmäßig....

Auf Bewährung

Alle Achtung! Vor ihrem Start im vergangenen November zeigte Europas Bankenaufsicht im Zuge ihres Bilanztests alle Qualitäten, mit denen sie sich in der Kreditwirtschaft unbeliebt machen konnte: überbordend erscheinende Datenabfragen? Serienmäßig. Korrekturen am Untersuchungsdesign im Laufe der Übung? Normal. Kleinliche Auslegung von Interpretationsspielräumen im Verbund mit sehr selbstgewissem Auftreten? Logo. Undurchsichtiger Einsatz von Beratern? Ehrensache.Hält man sich die Kritik vor Augen, die auf die Akteure damals einprasselte, ist zu konstatieren: Der bei der EZB angesiedelte einheitliche Aufsichtsmechanismus SSM hat in den ersten Monaten seines Wirkens positiv überrascht. Banker, die noch vor nicht allzu langer Zeit kaum ein gutes Haar an den neuen Aufsehern ließen, äußern sich inzwischen jedenfalls weitaus differenzierter. Und wenn die auf 500 Mill. Euro geschätzten Kosten für den Bilanztest die Gefahr künftiger Schieflagen von Banken vermindert haben sollten, war dies allemal gut angelegtes Geld. Vielleicht gab es zur Hartleibigkeit kaum eine Alternative, um von Europas Banken für voll genommen zu werden.Die Fallhöhe indes ist beträchtlich. Dies zeigt die Lage der griechischen Banken, welche die Bankenaufseher im Herbst mit dem Befund eines eigentlich homöopathisch bemessenen Kapitalbedarfs von insgesamt nicht einmal 3 Mrd. Euro durch den Bilanztest winkten. Noch muss sich die neue Aufsicht bewähren.Zu ihren Errungenschaften ist allem voran der Aufbau eines einheitlichen Finanzmeldewesens zu zählen, der dem Vernehmen nach gut vorankommt. Dies überrascht, war bei deutschen Aufsehern doch geunkt worden, es werde Jahre dauern. Sein Wert kann nicht hoch genug veranschlagt werden, hatte sich die SSM-Vorgängerin European Banking Authority (EBA) mit ihren Stresstests doch vor allem deshalb blamiert, weil die erhobenen Bilanzdaten über Ländergrenzen hinweg wenig vergleichbar waren. Noch am Anfang steht der SSM dagegen bei der Harmonisierung der wegen ihrer Komplexität und Intransparenz in Verruf geratenen bankinternen Risikomodelle. Deutschlands Banker müssen sich in jedem Fall umgewöhnen, und dies nicht nur, weil die neuen Aufseher meist eine andere Sprache sprechen. Anders als in der Vergangenheit, als die Deutsche Bundesbank ihre Besuche, wie es sich gehört, in angemessenem Abstand ankündigte, entschließen sich Europas Bankenaufseher gemäß den Gepflogenheiten andernorts deutlich spontaner zu Prüfungen vor Ort. Auch geben sie den Banken viel eifriger als die deutsche Finanzaufsicht individuelle Kapitalmindestquoten vor: Nicht wenige deutsche Institute dürften sich wundern, wenn der SSM noch im Jahresverlauf erstmals komplett auf eigenen Daten basierende Bescheide schicken wird.Überhaupt stützt sich die neue Aufsicht viel stärker auf Daten als auf persönliche Einschätzungen. Auf kurze Sicht dient dies dem SSM dazu, Risiken besser zu antizipieren. Auf lange Sicht schwebt den Aufsehern freilich vor, einen Datenhaushalt anzulegen, der es ihnen erlaubt, Stresstests im Stile der US-Notenbank dereinst selbst zu rechnen, ohne auf die Banken angewiesen zu sein. Auch politisch hat der Ansatz Vorteile: Wer auf quantitative Befunde verweisen kann, muss sich nicht für qualitative Einschätzungen rechtfertigen. Entsprechend investiert der SSM in IT zur Datenerhebung und -analyse. Eine Aufsicht, die von Banken eine bessere IT fordert, tut gut daran, selbst eine gescheite Infrastruktur vorzuhalten.Angesichts der uneinheitlichen Struktur des Bankensektors in Euroland mag der quantitative Ansatz, wie ihn Aufseher im Ausland schon bisher pflegten, naheliegen. Er birgt indes die Gefahr, dass die EZB derselben Daten- und Modellgläubigkeit verfällt, wegen deren Folgen sie gerade die internen Risikomodelle der Banken reformiert. Am subjektiven Urteil von Aufsehern führt gerade in Zeiten eines zunehmend standardisierten und industrialisierten Meldewesens kein Weg vorbei. Der Kollaps von Enron, der als der größte Fall von Prüferversagen gilt, war nicht deshalb möglich, weil das Management der Öffentlichkeit eine entscheidende Information vorenthalten hätte. Alle Informationen waren öffentlich – begraben aber unter einem Berg irrelevanter Angaben. Enron war ein Rätsel, kein Puzzle. Will sie sich bewähren, muss die EZB der Gefahr entgegenwirken, vor lauter Bäumen irgendwann den Wald nicht mehr zu sehen.——–Von Bernd NeubacherDie neue europäische Bankenaufsicht hat sich bereits einigen Respekt erarbeitet. Die Bewährungsproben stehen aber noch aus.——-