Banking unter Palmen statt Wall Street
Von Norbert Kuls, New York
Florida ist für New York City ein bisschen das, was Mallorca für Deutschland ist. Die Balearen-Insel wird wegen ihrer vielen deutschen Urlauber scherzhaft das 17. Bundesland genannt. Der südliche US-Bundesstaat mit dem Spitznamen „Sonnenschein“ wird wegen der vielen New Yorker, die dort eine Zweitwohnung haben oder sich als Rentner niederlassen, gerne als sechster Stadtbezirk bezeichnet – nach Manhattan, Brooklyn, Queens, der Bronx und Staten Island.
Als New York im vergangenen Jahr zum Zentrum der Corona-Pandemie wurde, flohen New Yorker deswegen nicht nur in die umliegenden Vororte, sondern auch nach Florida – auch wenn das letztlich kein Refugium bot. Dazu gehörten prominente Finanzmanager an der Wall Street, die es nicht beim Homeoffice beließen, sondern teilweise ihre ganze Firma umsiedelten. Im Herbst und Winter jagte eine Schlagzeile die nächste. Der Hedgefonds-Gigant Elliott Management kündigte den Umzug seines Hauptquartiers aus dem Geschäftsviertel Midtown Manhattan nach West Palm Beach an. Die Beteiligungsgesellschaft Blackstone eröffnete ein Büro in Miami. Dazu halten sich beständig Gerüchte, dass die Investmentbank Goldman Sachs hunderte von Mitarbeitern ihrer Vermögensverwaltung von New York nach Miami verlegen will.
Auch der New Yorker Hochfrequenzhändler Virtu Financial richtete ein großes Büro in Palm Beach Gardens nördlich von Miami ein, wo Vorstandschef Doug Cifu in der Nähe ein Haus besitzt. Cifu, dem auch das in Miami ansässige Eishockey-Team Florida Panthers gehört, hatte schon seit Jahren über die Eröffnung einer Dependance in Südflorida nachgedacht.
Aber erst als er im April 2020 in einem wegen der Pandemie verwaisten Büro in Manhattan saß, rang er sich dazu durch. Virtu sei danach von Mitarbeitern „mit Interesse überschwemmt“ worden. „Für die überwiegende Mehrheit unserer Mitarbeiter ist es ein sehr attraktiver Wechsel des Lebenstils“, sagt Cifu. Ein Großteil der Anfragen sei von Mitarbeitern zwischen Ende 20 und Mitte 40 gekommen – also Leuten, denen man keine Rentnerallüren unterstellen würde. Virtu will allerdings seinen Hauptsitz in New York behalten, obwohl das Unternehmen eine Verkleinerung der Fläche in Manhattan in Erwägung zieht. Virtu geht außerdem davon aus, dass etwa ein Viertel der fast 1000 Mitarbeiter dauerhaft von zu Hause aus arbeiten werden.
Sonne, Strand und Golf sind nicht die einzigen Vorteile, mit denen Florida punkten will. Für eine Abwanderung von New York nach Florida gab es auch vor dem Ausbruch des Coronavirus Beispiele. Hedgefondsmanager Carl Icahn kündigte den kürzlich vollzogenen Umzug seiner Firma schon vor zwei Jahren an, weil ihm die Steuern in New York zu hoch waren. Im Gegensatz zum Bundesstaat New York erhebt Florida keine Einkommensteuern für Privatpersonen. Außerdem sind die Kosten für Büroimmobilien und die Lebenshaltungskosten niedriger. Zahlreiche Banken, darunter die Deutsche Bank in der Stadt Jacksonville, betreiben in Florida aus Kostengründen schon länger große Niederlassungen, in denen Back-Office-Abteilungen wie Personal oder Compliance angesiedelt sind. Dazu war Miami für Banken traditionell ein Tor nach Südamerika. Die Kreditkartengiganten Mastercard und Visa haben dort ihre Hauptquartiere für Lateinamerika und die Karibik.
Wieder zum Leben erwacht
Die Frage ist jetzt nur, wie nachhaltig der Exodus sein wird, nachdem die Pandemie in New York abgeflaut und die Stadt wieder zum Leben erwacht ist. Wirtschaftsförderer in Florida sind natürlich zuversichtlich. Nach Angaben von Kelly Smallridge, Präsidentin des Business Development Board im Landkreis Palm Beach, gibt es mehrere Anfragen von Finanzunternehmen aus dem ganzen Land, die dort neue Büros für Hunderte von Mitarbeitern eröffnen wollen. Smallridge schätzt, dass zuletzt mehr als 90 Finanzdienstleister in die Gegend gezogen sind. „Das Interesse ist nicht erlahmt. Die Pandemie hat klargemacht, dass es außerhalb der Wall Street Orte gibt, an denen sie Geschäfte machen können.“
Aber die Frage bleibt, ob die Top-Talente wirklich lange in Florida leben wollen. Nachdem der New Yorker Winter vorbei war, meldete Bloomberg jedenfalls, dass eine Reihe von Hedgefonds-Milliardären schon wieder von Florida gelangweilt ist. „Das Hauptproblem beim Umzug nach Florida ist, dass man in Florida leben muss“, ätzte Jason Mudrick, der mit seiner Gesellschaft Mudrick Capital 3 Mrd. Dollar verwaltet und seit mehr als zwei Jahrzehnten in Manhattan wohnt. „New York hat die intelligentesten und engagiertesten Menschen, die beste Kultur, die besten Restaurants und die besten Theater“, sagte er. „Jeder, der nach Florida zieht, um ein bisschen Geld zu sparen, verliert das alles.“ Laut einer Umfrage unter Hedgefondsmanagern zählen zu den wichtigsten Gründen für den Verbleib in New York der Zugang zu den besten Privatschulen für die Kinder und ein größeres Angebot an jungen, gut ausbildeten Fachkräften.
Zelte in New York
Der Hedgefonds Elliott bricht trotz der Verlegung des Hauptquartiers daher nicht alle Zelte in New York ab. Gründer Paul Singer will zwar sein Apartment in Manhattan verkaufen, bleibt aber im Nordosten des Landes. New York bleibt das größte Büro und ein neuer Außenposten im Hedgefondsmekka Greenwich, Connecticut, nördlich von New York wird ebenfalls größer sein als die Hauptverwaltung in Florida.
Insofern könnte es eine Weile dauern, bis Miami, Palm Beach oder eine andere Stadt im Sonnenstaat zu einem der wichtigsten amerikanischen Finanzzentren wird. Die Wirtschaftsförderer von Enterprise Florida führen Florida zwar schon als viertgrößten Finanz-Arbeitgeber unter amerikanischen Bundesstaaten. Auf der vielbeachteten Rangliste der wichtigsten globalen Finanzzentren, die von der Z/Yen Group veröffentlicht wird, steht aber New York weiter unangefochten an der Spitze. Außer New York schafften es zehn weitere nordamerikanische Städte auf die Liste, darunter San Diego und Calgary. Eine Stadt in Florida sucht man in dem Ranking – noch – vergeblich.