In der ESG-Bewertung ist kein Konsens möglich
Von Jan Schrader, Frankfurt
Was macht einen nachhaltigen Fonds aus? Ist es der strikte Ausschluss umstrittener Geschäfte, um nicht mit Streumunition, Atomkraft, Massentierhaltung, Pornografie, Kohlestrom und Kinderarbeit einen Gewinn zu erzielen? Oder kommt es eher darauf an, von allen potenziell fragwürdigen Unternehmen – und davon gibt es bei strenger Betrachtung reichlich – diejenigen herauszufiltern, die in ihrem Metier den größten Sinn für gesellschaftliche Verantwortung zeigen? Oder ist es besser, umstrittene Konzerne nicht etwa zu meiden, sondern gezielt auszusuchen, um sie als kritischer Aktionär auf den Pfad der Nachhaltigkeit zu lotsen?
Weil es keinen Konsens gibt, was eine nachhaltige Kapitalanlage ausmacht, kommen auch Bewertungssysteme zu unterschiedlichen Ergebnissen – ähnlich wie bereits ESG-Ratingagenturen für Einzelunternehmen. So fallen die Fondsbewertungen der Stiftung Warentest und der Analysefirma Morningstar regelmäßig auseinander (siehe Grafik). Die Stiftung Warentest gibt den Ausschlüssen von 29 umstrittenen Feldern sowie den zugehörigen Umsatzschwellen insgesamt viel Gewicht, bewertet aber auch Anlageprozesse wie die Existenz eines unabhängigen Ausschusses. Nach dieser Lesart sind etwa die globalen Aktienfonds der Nachhaltigkeitsadressen Ökoworld und GLS Bank besonders streng.
Morningstar wiederum erfasst im „Sustainability Score“ die ESG-Risiken auf Grundlage der Einzelwerte im Portfolio und greift dabei auf die eigene Ratingagentur Sustainalytics zurück. Gerade eine Positivauswahl der jeweils besten Unternehmen je Branche (Best in Class) kann sich also gemäß dieser Methode auszahlen. Diese Übung beherrschen offenbar auch die Fonds von Pictet und Oddo BHF, obwohl die Vehikel bei der Stiftung Warentest im Mittelfeld landen.
Wieder einen anderen Ansatz verfolgt das Fondssiegel der Initiative Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG): Es arbeitet ebenfalls mit Ausschlüssen, legt aber ein Augenmerk auf die Verwurzelung der ESG-Anlageprozesse, die von der Universität Hamburg im Rahmen einer Kooperation evaluiert werden. So attestiert das Siegel dem globalen Aktienfonds der österreichischen Bankengruppe Erste Group hohe Standards, doch die Datenbank „Faire Fonds“, hinter der die NGOs Facing Finance und Urgewald stehen, macht in diesem Produkt einen hohen Anteil kontroverser Unternehmen aus. Der „Erste Responsible Stock Global“ hat unter anderem den Konzern Apple stark gewichtet, der laut „Faire Fonds“ etwa wegen Berichten über miese Arbeitsbedingungen auf der Liste der kontroversen Titel steht. Nachhaltig? Das liegt im Auge des Betrachters.
Unberücksichtigt bleibt mitunter das konkrete Engagement des Fondsmanagements. So zeichnen sich Fonds von DWS, DekaBank, Union Investment, Oddo BHF und Pictet laut Stiftung Warentest zwar durch ein „hohes“ Engagement aus, während die Vehikel von Ökoworld und GLS Bank „mittleren“ Einsatz zeigen. Doch auf die Bewertung hat das keinen Einfluss. Auch der Morningstar-Score und „Faire Fonds“ beachten das konkrete Engagement nicht.
Eindeutig mehrdeutig
Für Fondsbranche, Vertrieb und Anlegerschar mögen unterschiedliche Ergebnisse ärgerlich sein, doch mangelnder Konsens ist keineswegs ein neues Phänomen in der Kapitalanlage. Geschäftliche Perspektiven einzelner Firmen sind ohnehin umstritten, und auch zur grundlegenden Strategie der Aktienauswahl gibt es keine einheitliche Lösung.
Über den Kern von Ethik wiederum streiten seit jeher die Gelehrten, die Finanzbranche wird das Problem nicht lösen. Die Vorstellung, dass Gewinnstreben grundsätzlich nicht mit ethisch fragwürdigen Geschäften verknüpft sein darf, führt leicht zu strengen Ausschlusskriterien. Steht indes eine messbare Wirkung im Mittelpunkt, sollten Fonds viel eher von umstrittenen Firmen einen Wandel einfordern. Ohnehin haben die meisten Menschen eine unterschiedliche Haltung zu diversen Themen, von Atomkraft über Glücksspiel und Alkohol bis hin zur Steuermoral. Eine ESG-Schablone gibt es nicht.