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Polemik aus der Realwirtschaft

Börsen-Zeitung, 25.8.2012 Gut gebrüllt, die Herren! Mit dem Konterfei von BDI-Präsident Hans-Peter Keitel, Post-Chef Frank Appel und Linde-Vorstandsvorsitzendem Wolfgang Reitzle auf Seite 1 titelt das "Handelsblatt" in seiner aktuellen...

Polemik aus der Realwirtschaft

Gut gebrüllt, die Herren! Mit dem Konterfei von BDI-Präsident Hans-Peter Keitel, Post-Chef Frank Appel und Linde-Vorstandsvorsitzendem Wolfgang Reitzle auf Seite 1 titelt das “Handelsblatt” in seiner aktuellen Wochenendausgabe: “Die Realwirtschaft schlägt zurück”. Industrie-Präsident Keitel fordert: “Banken sind kein Selbstzweck. Sie müssen sich wieder mehr als Dienstleister der Realwirtschaft verstehen.” Und Reitzle sekundiert im “Manager Magazin”, die Finanzwelt habe sich “weitgehend von der Realwirtschaft abgekoppelt und ihre eigene Parallelwelt geschaffen, in der virtuelle Werte entstanden sind”.Ähnliche Bekenntnisse herausragender Vertreter der Realwirtschaft – von Franz Fehrenbach von Bosch über Jürgen Heraeus bis zu dm-Drogeriemarkt-Gründer Götz Werner – liest man derzeit in vielen Gazetten. In der Regel sind sie weder falsch noch für sich genommen polemisch. In der Summe erwecken sie jedoch den Eindruck, als handele es sich bei Banken in erster Linie um Zockerbuden, in denen verantwortungslose Manager ihre Gier befriedigen und zum Wohl der Volkswirtschaft nichts beitragen, sondern es eher gefährden. Sie bereiten den Boden für die gezielte Eskalierung durch Politiker vom Schlage des SPD-Chefs Sigmar Gabriel und die Kriminalisierung einer ganzen Branche.Es ist leicht, einem schon am Boden Liegenden noch einen Fußtritt zu verpassen. Aber haben sich die Kritiker aus den Reihen der Realwirtschaft schon mal Gedanken über ihre eigenen Versäumnisse, ihren Beitrag zur Finanz- und Bankenkrise gemacht? Wer bestimmt denn jenseits der staatlichen Regulierung das Tun der Banken? In erster Linie doch ihre Eigentümer und damit deren Vertreter in den Aufsichtsräten. Die Mitgliederliste der Banken-Aufsichtsräte liest sich wie das “Who’s who” der deutschen Realwirtschaft. Und die Aufsichtsräte?Nehmen wir jenes Institut, das hierzulande routinemäßig an den Pranger gestellt wird, wenn es gegen die Banken geht, die Deutsche Bank: Dort gehören dem Aufsichtsrat so respektable Repräsentanten der Realwirtschaft an wie Tilman Todenhöfer (Bosch), Henning Kagermann (einst SAP), Peter Löscher (Siemens), Johannes Teyssen (Eon), Karl-Gerhard Eick (einst Telekom und Arcandor), Klaus Rüdiger Trützschler (Haniel) und Werner Wenning (einst Bayer). Wäre es nicht an ihnen, dem Geschäftsmodell “ihrer” Bank jene Leitplanken zu geben, innerhalb deren es zum Wohl von Wirtschaft und Gesellschaft beiträgt? Wäre es nicht ihre Aufgabe, auf Grundsätze des Risikomanagements zu dringen, die systemische Risiken begrenzen oder gar nicht erst entstehen lassen?Es ist zu billig, heute die Hände in Unschuld zu waschen und mit guten Ratschlägen an die Banken aufzuwarten. Gehen wir zehn Jahre zurück, in jenes Jahr, als Josef Ackermann zum Vorstandssprecher der Deutschen Bank ernannt wurde, als das Platzen der New-Economy-Blase gerade verkraftet und zum Aufbruch in die Scheinblüte bis zur Subprime-Krise geblasen wurde. Damals saßen von der Realwirtschaft Karl-Hermann Baumann (Siemens), Henning Kagermann (SAP), Berthold Leibinger (Trumpf), Michael Otto (Otto-Versand), Tilman Todenhöfer (Bosch) und Albrecht Woeste (Henkel) im Kontroll- und Beratungsgremium der Deutschen Bank. Nicht weniger prominent waren bei Commerzbank und anderen Häusern, bis hin zur IKB, die Aufsichtsräte mit führenden Industriemanagern besetzt.Wie oft mussten sich nach der Jahrtausendwende deutsche Banken, die den klassischen Firmenkredit anboten, aus der Industrie fehlende Fantasie vorwerfen und vor allem innovative Finanzmarktprodukte der angelsächsischen Konkurrenz vorhalten lassen! Die Hausbankbeziehung, das war doch gestern. Am Horizont leuchteten immer raffiniertere Verbriefungsvehikel, mit denen sich totes Kapital aus den Bilanzen der Realwirtschaft für Finanzierungen mobilisieren ließ. Jeder Basispunkt zählte. Welche Risiken damit bei der finanzierenden Bank hängen blieben und zum Klumpenrisiko heranwuchsen, welche an den Markt weitergereicht wurden – der Realwirtschaft war es egal und konnte es auch egal sein. Denn ihr Geschäft war ja nicht das Bankgeschäft.Wie viele Familienunternehmer machten heimlich Kasse, ließen ihre Unternehmen finanziell ausbluten, gegen die Wand fahren oder gaben sie den “Heuschrecken” anheim? Wenn damals Gier und Kasinomentalität herrschten, dann auch in der Realwirtschaft. Golden Handshakes, vorzeitige Vertragsverlängerungen und optionsbasierte Vergütungsexzesse waren kein Exklusivrecht der Bankenwelt. Aufsichtsräte waren es, und dort vor allem die Vertreter der Realwirtschaft auf der Kapitalseite, die der Selbstbedienung in den Banken über immer üppigere Bonusregeln Vorschub leisteten und sich insgeheim freuten, wenn auf der Hitliste der Großverdiener ganz oben nicht ihr eigener Name, sondern der von Josef Ackermann auftauchte. Er wurde zum Buhmann der Neidgesellschaft, in dessen Schatten es sich der Rest von Corporate Germany gut gehen lassen konnte. Zocken ohne BankenChance und Risiko müssten wieder in vernünftigem Verhältnis stehen bei den Banken, so die wohlfeile Empfehlung aus der Realwirtschaft. Aber wehe, die Kreditwirtschaft verlangt für Unternehmenskredite Konditionen, die das Risiko angemessen berücksichtigen. Dann sind jene, die jetzt den moralischen Zeigefinger in Richtung Banken heben, die Ersten, die vor einer Kreditklemme warnen und die Banken an ihre gesellschaftliche Verantwortung bei der Finanzierung der Realwirtschaft erinnern.Wie schön, dass die Realwirtschaft für Kasino und Zockerei die Banken inzwischen gar nicht mehr braucht. Am Markt für Mittelstandsanleihen kann man Anleger auch direkt und ohne Bankenbeteiligung über den Löffel balbieren (siehe Interview Seite 2). Wie bitte, das dürfe man nicht alles in einen Topf werfen? Genau. Deshalb bitte etwas Mäßigung und Differenzierung, wenn es um die angeblichen Abzocker in der Finanzwirtschaft geht!—– c.doering@boersen-zeitung.de——–Von Claus Döring ——-Gier und Kasinomentalität sind kein Exklusivrecht der Bankenwelt, sondern auch in der Realwirtschaft zuhause.