IM GESPRÄCH: MICHAEL MEISTER, BUNDESFINANZMINISTERIUM

Regierung will Aufseher und Finanzbranche entlasten

Zusammenspiel von Finanzmarktgesetzen soll künftig regelmäßig zu Beginn jeder Legislaturperiode geprüft werden - Kein Zinsdeckel für Dispokredite in Sicht

Regierung will Aufseher und Finanzbranche entlasten

Die Klagen der Branche über die strikte Regulierung stoßen auf offene Ohren: Die Regierung wolle – wenn möglich – die Last schmälern, sagte Finanzstaatssekretär Michael Meister im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.Von Grit Beecken und Angela Wefers, BerlinDie Bundesregierung will Wirkung und Wechselwirkung der Vielzahl neuer Vorschriften evaluieren – und dies nicht nur einmalig, sondern regelmäßig zu Beginn einer Legislaturperiode. Dies kündigte Finanzstaatssekretär Michael Meister im Gespräch mit der Börsen-Zeitung an. Die erste Konsultationsrunde mit der Branche, eine Premiere, läuft derzeit. Meister erwartet, dass der Bericht bis zur Jahresmitte dem Gesetzgeber, also dem Bundestag, vorliegen wird. Der Finanzausschuss wird die Ergebnisse der Analyse bewerten.CDU/CSU-Fraktionsvize Ralph Brinkhaus hatte jüngst mit Blick auf die Evaluierung der Finanzmarktregulierung konstatiert, es mache keinen Sinn, wenn etwa die europäischen Vorgaben in Deutschland bürokratischer umgesetzt würden als in anderen Ländern. Ob der Gesetzgeber auf den Ministeriumsbericht hin aktiv wird, ließ Brinkhaus offen.Im Koalitionsvertrag hatten CDU, CSU und SPD sich darauf verständigt, das Zusammenwirken von Regulierungsmaßnahmen “auf Praktikabilität und Zielgenauigkeit” hin zu überprüfen. Im praktischen Prozess ist dabei die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) eingeschaltet, die derzeit Branchenvertreter befragt.Bereits im November hatte die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) für das Bundesfinanzministerium in einem Positionspapier im Umfang von fast 40 Seiten auf vielfältige Inkonsistenzen in der Finanzmarktregulierung hingewiesen und Vorschläge gemacht, wie die Regulierungsprozesse aus Sicht der Branche verbessert werden könnten. Das Papier zielt darauf ab, widersprüchliche Anforderungen an die Unternehmen sowie Konflikte aufzuzeigen, die sich in der praktischen Umsetzung der Regulierungsmaßnahmen herauskristallisiert haben.”Bei einzelnen Beschlüssen kann man Interdependenzen nicht im Auge haben”, sagte Meister. Grundsätzlich bekennt sich die Bundesregierung aber zu dem von der BaFin vertretenen Grundsatz, dass Markteingriffe einer Kosten-Nutzen-Analyse standhalten müssen. Bei der nun anstehenden Prüfung gehe es nicht nur darum, die Lasten der Branche zu untersuchen, sondern auch darum, den Aufwand für die Aufseher zu reduzieren, machte Meister deutlich. Die regulatorischen Ziele bleiben von der Evaluierung unberührt. “Aber wenn wir an verschiedenen Stellen Doppelarbeit verursachen, schauen wir uns das genau an”, versprach Meister.”Erstmalig, aber nicht einmalig” wird diese Evaluierung nach den Worten des Staatssekretärs sein. Künftig soll in jeder Wahlperiode die Regulatorik auf den Prüfstand gestellt werden. Während der Auftakt schon fast zur Halbzeit der Legislaturperiode kommt, dürfte dafür künftig idealerweise der Anfang einer Regierungszeit anvisiert werden. Dennoch bleiben auch in der Amtszeit von Schwarz-Rot noch zwei Jahre Zeit für mögliche gesetzgeberische Korrekturen, bevor die nächste Bundestagswahl ansteht, rechnete Meister vor. Deutschland als VorreiterIn der Gesetzgebung zur Regulierung der Finanzbrache behält sich Berlin weiterhin vor, schneller als Brüssel zu sein, auch wenn die nationale Gesetzgebung nach einer europaweiten Harmonisierung unter Umständen wieder angepasst werden muss. Vertreter der Finanzbranche klagen regelmäßig, ein Teil der Doppelarbeit werde auch durch das regelmäßige Vorpreschen Deutschlands in regulatorischen Fragen verursacht. So nehmen Regelwerke wie das Verbot ungedeckter Leerverkäufe, die Verschärfung der Vorgaben für den Hochfrequenzhandel oder das noch in der parlamentarischen Beratung in Berlin befindliche Kleinanlegerschutzgesetz Inhalte vorweg, die auch auf europäischer Ebene schon geregelt worden sind oder noch geregelt werden – beispielsweise durch die überarbeitete Finanzmarktrichtlinie Mifid II.Bei Letzterer zeichnet sich schon jetzt ab, dass die deutschen Bestimmungen nicht eins zu eins übernommen werden. Daher wird die Branche die entsprechenden Teile nach Inkrafttreten der Richtlinie erneut implementieren müssen. Dies nimmt die Regierung in Kauf und sieht darin die Chance, ihre Vorstellungen mit Nachdruck in Brüssel durchsetzen zu können. “Bei den Regeln für ungedeckte Leerverkäufe haben wir den Standard gesetzt, das war absolut erfolgreich”, sagte Meister. Das könne zwar nicht immer funktionieren – aber auch in diesen Fällen habe das Vorpreschen einen Vorteil. “Wir nehmen an den Brüsseler Gesetzesvorhaben teil und lassen unsere Erkenntnisse einfließen”, betonte der Staatssekretär.Auch mit dem Kleinanlegerschutzgesetz hat Berlin die Nase vorn vor Brüssel, sehr zum Leidwesen der Finanzbranche. Mit der Novelle werden hierzulande die Emittenten künftig den Zielmarkt ihrer Produkte definieren müssen, noch bevor die europäische Regelung zieht. Diese Forderung ist nämlich ebenfalls in verschiedenen Brüsseler Regelwerken enthalten, zum Beispiel in der Mifid II, Packaged Retail and Insurance-Based Investment Products (Priips) oder dem Key Investor Information Document (KIID). Die Finanzbranche fürchtet daher auch hier nötige Anpassungen, wenn die europäischen Regeln in Kraft treten. Doch Meister zeigte sich überzeugt: “Wir müssen jetzt was tun.”Neue Bereiche geht die Regierung mit Bedacht an. So erfasst das Kleinanlegerschutzgesetz auch die neue Form der Schwarmfinanzierung. Der Schutz der Anleger soll aber nicht zur Hürde für junge Unternehmer mit guten Ideen werden. “Beim Crowdinvesting gehen wir in einen ganz neuen Bereich hinein und schauen uns den sehr genau an”, sagte Meister. Überhaupt gehe es bei dem vielfach kritisierten Gesetz nicht darum, den Bürger zu bevormunden. “Der mündige Bürger braucht bei der Entscheidungsfindung vollständige Informationen”, forderte der Politiker.Auf mündige Bürger setzt Meister auch bei den Zinsen für Dispositionskredite. Schwarz-Rot hat entschieden, dass Banken und Sparkassen künftig intensiver informieren müssen, damit Kreditnehmer nicht in die Kostenfalle laufen. Einen Zinsdeckel für diese Darlehen lehnt Meister indessen ab. “Ein Dispodeckel wäre ein Markteingriff. Und was kommt dann als Nächstes? Eine Untergrenze für Sparbuchzinsen?” Dass diese Neuregelung nun zur Verwunderung mancher in der Kreditbranche ausgerechnet als Teil der nationalen Umsetzung der EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie den Weg der Gesetzgebung nimmt, dafür nannte Meister praktische Gründe. Mitunter seien auch Aspekte zu regeln, die mit dem im Namen bezeichneten Regulierungsgegenstand nichts zu tun haben, um die Inhalte des Koalitionsvertrags umzusetzen. Dies führt dazu, dass im Referentenentwurf der Wohnimmobilienkreditrichtlinie nun auch eine Beratungspflicht zum Dispokredit auftaucht.Wenig Hoffnung kann sich die Kreditwirtschaft machen, dass auch die freien Finanzvermittler unter die Aufsicht der BaFin gestellt werden. Dieses Petitum verfolgt die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) schon seit langem und machte nun in den parlamentarischen Beratungen zum Kleinanlegerschutzgesetz erneut einen Vorstoß in diese Richtung. Mit dem Gesetz will die schwarz-rote Koalition mehr Transparenz auf dem Grauen Kapitalmarkt schaffen. Die Aufsicht über die Anbieter außerhalb von Banken und Sparkassen soll dem Gesetzentwurf zufolge aber bei den Gewerbeämtern bleiben. Mit ihrer Kritik daran ist die Kreditbranche nicht allein, sondern sieht sich in seltener Allianz mit den Verbraucherschützern.Meister verteidigte die Entscheidung. Die Aufsichtsbehörde stehe vor einer enormen Ausdehnung, um flächendeckend im Land vertreten zu sein. Die Mitarbeiterzahl müsse erheblich aufgestockt werden. Die Gewerbeämter hingegen seien bereits breit aufgestellt. Zudem könnte ein solcher Schritt der Verlagerung weg von den Gewerbeämtern auf Bereiche ausstrahlen. Was für den Finanzsektor gilt, könnte etwa auch im Umweltschutz gefordert werden. Einen Präzedenzfall will die Regierung lieber nicht schaffen.