LEITARTIKEL

Tanker in Seenot

Wenn ein Tanker in Seenot gerät, muss das Schiff vor der eigentlichen Rettung stabilisiert werden. Sind Ladung und Schiff erst gesichert, können die Rettungstrupps einen Moment durchatmen, bevor sie sich daranmachen, den Koloss in einen sicheren...

Tanker in Seenot

Wenn ein Tanker in Seenot gerät, muss das Schiff vor der eigentlichen Rettung stabilisiert werden. Sind Ladung und Schiff erst gesichert, können die Rettungstrupps einen Moment durchatmen, bevor sie sich daranmachen, den Koloss in einen sicheren Hafen zu schleppen. Ungefähr an diesem Punkt befindet sich die deutsche Lebensversicherung. Die Situation ist ernst, aber derzeit stabil. “Unsere Prognose, dass die Versicherer zumindest auf kurze und mittlere Sicht ausreichendes Stehvermögen haben, ist nach wie vor aktuell”, hat BaFin-Präsident Felix Hufeld der Branche vor wenigen Tagen bescheinigt.Die zahlreichen Maßnahmen, mit denen Unternehmen, Regulierer und Gesetzgeber auf die durch das Dauerzinstief verursachte existenzielle Krise der Lebensversicherer reagiert haben, entfalten ihre Wirkung. Die Deutsche Bundesbank hat dem 2014 in Kraft getretenen Lebensversicherungsreformgesetz bereits erhebliche Wirkung attestiert. Seit 2011 sind die Lebensversicherer überdies verpflichtet, eine Zinszusatzreserve zu bilden, um die hohen Garantieversprechen aus der Vergangenheit dauerhaft erfüllen zu können. Sie beträgt kumuliert bereits 32 Mrd. Euro.Wie ernst die Lage aber dennoch ist, zeigt die immer schnellere Absenkung des Garantiezinses. Die letzte Kürzung auf 1,25 % ist noch keine zwei Jahre her, da wird schon der nächste Schritt Richtung 0,9 % Anfang kommenden Jahres angekündigt. Wie notwendig die Absenkung ist, zeigen die jüngsten Äußerungen der Branchenschwergewichte Allianz und Debeka, die immerhin zu den finanziell ganz Soliden gezählt werden. Die Allianz fährt das klassische Garantiegeschäft stark zurück und nimmt dafür sichtbare Umsatzeinbußen in Kauf, die nicht gerade imagefördernd sind. Die Debeka, bis vor kurzer Zeit noch eiserne Verfechterin des traditionellen Geschäftsmodells der Lebensversicherer, hat einen Teil des Neugeschäfts mit 1,25-Prozent-Garantien eingestellt.Das klassische Modell der deutschen Lebensversicherung stirbt schneller als von manchem erwartet. In der Branche kommen neue Produkte mit abgespeckten Garantien zuhauf auf den Markt. Das Veränderungstempo nimmt zu. Die zahlreichen Chefwechsel in der Assekuranz – von Oliver Bäte bei der Allianz bis zu Marcus Nagel bei der Zurich – dürften dazu beitragen. Denn der Neue an der Spitze will in der Regel zügig Duftmarken hinterlassen bzw. – um im Bild zu bleiben – an der Spitze des Seenotrettungstrupps Akzente setzen. Ansatzpunkte sind genügend vorhanden. Die Versicherer haben ihren Handlungsspielraum, selbst aktiv gegen die Krise zu kämpfen, zwar schon genutzt, aber längst noch nicht ausgereizt.Die Kosten sind in vielen Häusern immer noch zu hoch. Vor allem bei den Abschlusskostenquoten hat sich laut Statistik des Branchenverbands GDV bisher nicht viel getan. In Sachen Verwaltungskosten hegt so mancher Manager die Hoffnung, dass die Verlagerung auf Run-off-Plattformen den Aufwand für alte Garantiebestände schmälern könnte. Die Branche wartet gespannt auf das Pilotprojekt. Bereits im Herbst vergangenen Jahres hat die Frankfurter Leben die Übernahme eines Bestands der Basler Versicherungen bei der BaFin beantragt – die Genehmigung lässt auf sich warten. Es wäre das erste Mal, dass ein Portfolio mit klassischen Garantien auf eine Run-off-Plattform käme. Wenn die Aufsicht anhand dieses Falls die konkreten Anforderungen an solche Transaktionen formuliert, könnte das weitere Deals nach sich ziehen.Auch bei der Überschussbeteiligung haben die Lebensversicherer noch etwas Puffer. Die laufende Verzinsung beläuft sich in diesem Jahr im Durchschnitt auf 2,79 %. Das ist im Vergleich zu früheren Jahren nicht mehr viel, heißt aber auch, dass alle Kunden, die seit 2004 eine klassische Police abgeschlossen haben, immer noch mehr als den Garantiezins erhalten. Auch hier ist noch etwas Spielraum da, wenn es ganz eng wird.Ungefährlich ist die Lage bei Weitem nicht. Die verschärfte Krise im Kleinen wird sich vielleicht bald im Pensionskassen-Lager beobachten lassen. Hier hat die BaFin gerade Alarm geschlagen. Im schlimmsten Fall drohen den Betriebsrentnern Leistungskürzungen. Und das ist auch das, was langfristig auf Lebensversicherungskunden zukommen könnte. § 314 im Versicherungsaufsichtsgesetz lässt die Kürzung von Garantiezusagen zu, um so die Insolvenz eines Lebensversicherers abzuwenden. Der in Seenot geratene Tanker ist noch weit vom sicheren Hafen entfernt.——–Von Antje KullrichDie Lage der Lebensversicherer ist ernst, aber stabil. Die Branche hat noch ein paar Puffer. Langfristig aber könnten hohe Garantiezusagen gekürzt werden.——-