Traditionsbestand des Aufsichtsrechts kritisch auf Tauglichkeit prüfen

Vorteile der Verbindung von Finanzdienstleistungen und Internetwirtschaft im Fokus

Traditionsbestand des Aufsichtsrechts kritisch auf Tauglichkeit prüfen

Von Kai SchaffelhuberPartner, Experte im Bereich Kapitalmarktrecht Frankfurter Büro von Allen & Overy LLP undDennis KunschkeSenior Associate, Experte im Bereich Kapitalmarktrecht Frankfurter Büro von Allen & Overy LLPDie Verbindung von Finanzdienstleistungen und Internetwirtschaft drängt sich aufgrund der Nichtkörperlichkeit der Finanzdienstleistungen geradezu auf: Da Geld und Finanzinstrumente praktisch schon seit geraumer Zeit entmaterialisiert sind und nur noch in der digitalen Sphäre existieren (aus der sie sich nur gelegentlich wieder materialisieren, etwa wenn Bargeld am Geldautomaten abgehoben werden muss, weil mobile Bezahlverfahren noch nicht hinreichend weit etabliert sind), brauchen auf sie bezogene Dienstleistungen während ihres gesamten Lebenszyklus die digitale Sphäre niemals zu verlassen.Das letzte insoweit rechtlich noch bestehende Hindernis – nämlich der Medienbruch, der durch das Erfordernis körperlicher Anwesenheit bei der Identifizierung nach dem Geld-wäschegesetz entstand – wurde bereits Anfang 2014 beseitigt, indem nunmehr eine “persönliche Anwesenheit” auch dann angenommen wird, wenn die am Identifizierungsverfahren Beteiligten zwar nicht physisch, aber im Rahmen einer Videoübertragung visuell wahrnehmbar sind sowie gleichzeitig eine sprachliche Kontaktaufnahme möglich ist und in diesem Zusammenhang eine Überprüfung der Identität des Vertragspartners anhand eines Identifikationsdokuments vorgenommen werden kann.Man kann allerdings auch nicht ernsthaft behaupten, dass die traditionelle Kreditwirtschaft das in der Digitalisierung liegende Effizienzpotenzial nicht erkannt hat; auch wenn sicher zutreffend ist, dass sie es derzeit häufig noch nicht optimal ausnutzt. Gerade derjenige Bereich der Internetwirtschaft, der in den letzten Jahren ganze Wirtschaftszweige “disrupted” hat – nämlich die auf Disintermediation (“cut out the middleman”) und Spezialisierung (“Unbundling”) zielende Plattformökonomie – stößt jedoch in der Finanzwirtschaft sehr schnell an rechtliche Grenzen.Zum einen kann hier schon die bloße Vermittlerrolle als solche zur Annahme erlaubnispflichtiger Dienstleistungen führen (etwa bei Vermittlungsleistungen im Hinblick auf Finanzinstrumente, Vermögensanlagen und Versicherungsverträge), zum anderen stößt auch die unmittelbare Leistungserbringung von Privaten an Private (peer-to-peer) auf Vermittlung eines Plattformbetreibers häufig sehr schnell an rechtliche Grenzen, weil das Gesetz die Leistungserbringung als solche selbst dann erlaubnispflichtig macht, wenn sie lediglich in kleinem Umfang erfolgt und rechtssicher handhabbare Bagatellausnahmen fehlen. In diesem Zusammenhang stellt das Finanzmarktaufsichtsrecht aufgrund der mit dem Status als beaufsichtigtes Unternehmen verbundenen zeit- und kostenintensiven Anforderungen eine massive Markteintrittsschwelle dar. Ein Ausprobieren neuer Geschäftsmodelle im kleinen Maßstab durch Start-ups wird dadurch massiv erschwert.Da viele Rechtsordnungen auch die grenzüberschreitende Erbringung solcher Dienstleistungen aus dem Ausland heraus an Inländer als erlaubnispflichtig ansehen, hilft die Wahl eines Standorts mit geringeren oder keinen aufsichtsrechtlichen Anforderungen insoweit nur sehr eingeschränkt. Aufgrund der Verschiedenheit der aufsichtsrechtlichen Vorgaben ist zudem auch das Ausrollen von in einem nationalen Markt erfolgreichen Geschäftsmodellen in andere Märkte mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten verbunden; durch diese rechtliche Abschottung nationaler Märkte wird ein ganz zentraler Vorteil der Internetökonomie massiv konterkariert.In der Praxis führt das derzeit häufig dazu, dass Disintermediation und Unbundling nur in wirtschaftlicher Hinsicht erfolgen, nicht dagegen in rechtlicher Hinsicht. Der spezialisierte Plattformbetreiber muss ein beaufsichtigtes Institut zwischenschalten, das rechtlich als Erbringer der Dienstleistung fungiert, das aber aufgrund der Ausgestaltung der zugrunde liegenden Vertragswerke die wirtschaftlichen Folgen der Dienstleistung grundsätzlich nicht treffen. Derartige Modelle sind in manchen Bereichen bereits seit langem erprobt (etwa bei Peer-to-peer Lending), während sie in anderen Bereichen noch in den Kinderschuhen stecken (etwa Peer-to-peer Trading und Social Trading für Finanzinstrumente und Zahlungsinstrumente), und insbesondere kleinere Institute haben hier Nischen gefunden. Gelegentlich hilft auch der Umweg über eine synthetische Erbringung, etwa wenn eine ihrem wirtschaftlichen Gehalt nach einer Finanzportfolioverwaltung entsprechende Dienstleistung dadurch erbracht wird, dass der Dienstleister (erlaubnisfrei) einen Index berechnet, der das Auszahlungsprofil eines Finanzinstruments bestimmt.Ob Bill Gates mit seinem Spruch “banking is essential, banks are not” recht behalten wird, bleibt daher abzuwarten. Allerdings werden diese Banken künftig sicher anders aussehen als heute, insbesondere sehr viel schlanker sein und weniger vom Zinsüberschuss denn von Provisionserträgen leben. Die Kooperation zwischen Banken und Plattformbetreibern läuft aus der Perspektive der Banken letztlich auf umfangreiche Funktionsauslagerungen hinaus, während es sich aus der Perspektive der Plattformbetreiber um eine Art Leihe der Erlaubnis handelt. Die Moderation dieses Spannungsfeldes im Hinblick auf die Zuweisung von Verantwortlichkeiten und Risiken ist die eigentliche Herausforderung an die mit der praktischen Handhabung des Finanzmarktaufsichtsrechts befassten Aufsichtsbehörden.Insoweit kann durch eine pragmatische Handhabung bestehender Bestimmungen der Marktzutritt für neue Geschäftsmodelle sichergestellt werden, ohne dass der Kunden- und Funktionsschutz darunter leidet. Es versteht sich nämlich von selbst, dass der Schutz der Gläubiger und Anleger sowie die Funktionsfähigkeit der Märkte nicht von der Form der Erbringung abhängig sein und durch eine Aufspaltung von Tätigkeiten auf mehrere Dienstleister umgangen werden dürfen.Allerdings stellt sich insoweit zumindest perspektivisch in vielerlei Hinsicht die Frage, ob bestimmte etablierte Schutzmechanismen nicht durch andere – der Internetwirtschaft angemessenere – ersetzt werden können: So könnten Technologien wie Blockchain durchaus geeignet sein, andere Vertrauensschutzmechanismen zu ersetzen, weil sie deren Zweck ebenso gut erfüllen. Aufgrund der derzeitigen Regelungsdichte des Finanzmarktaufsichtsrechts ist Derartiges allerdings grundsätzlich nicht durch pragmatische Handhabung des geltenden Finanzmarktaufsichtsrechts durch die zuständigen Behörden, sondern nur im Wege künftiger Gesetzgebung möglich und liegt tendenziell in eher fernerer Zukunft, da der heutige Gesetzgeber sich derzeit noch mit enormer Leidenschaft und Detailverliebtheit der Ausgestaltung der bestehenden Mechanismen widmet.In vielen Bereichen drängt sich eine Liberalisierung geradezu auf: Warum das isolierte Betreiben des Kreditgeschäfts – ohne Verbindung mit dem Einlagengeschäft und Fristentransformation – erlaubnispflichtig sein soll, ist nicht wirklich erklärbar und führt zu erheblichen Beschränkungen des Peer-to-peer Lending. Insoweit würde ein leistungsfähiges Marktverhaltensrecht evident ausreichen, die Beschränkung des Marktzugangs durch eine generelle Erlaubnispflicht kann allenfalls den Sinn haben, den Markt künstlich zu verengen, um bestehende Erlaubnisse wertvoller zu machen (“value of the charter”).Im Bereich des Zahlungsverkehrs ist nicht wirklich ersichtlich, warum sich Dienstleister nicht in deutlich weiterem Umfang als derzeit vorgesehen auf von anderen vorgenommene Kundenidentifizierungen verlassen dürfen – insoweit könnte bereits eine liberalere Handhabung der Aufsichtspraxis zu erheblichen Erleichterungen führen, ohne dass das Geldwäscherisiko signifikant steigt, wie das Beispiel anderer Staaten zeigt.Die Verbindung von Finanzdienstleistungen und Internetwirtschaft wird ihre Vorteile nur dann umfassend ausspielen können, wenn man willens ist, den gesamten Traditionsbestand des Finanzmarktaufsichtsrechts einer kritischen Prüfung im Hinblick auf seine fortbestehende Tauglichkeit zu unterziehen. Dies wäre auch für die etablierte Kreditwirtschaft mit erheblichen Vorteilen verbunden und könnte den Kundennutzen enorm steigern.