Sustainability

Weniger nachhaltig, als es scheint

Bis zu einer nachhaltigen Investmentindustrie dauert es noch. Da hilft auch der Best-in-Class-Ansatz nicht viel.

Weniger nachhaltig, als es scheint

Von Daniel Zulauf, Zürich

Nachhaltige Anlagen treffen den Nerv der Zeit. Das bestätigen die am Montag veröffentlichten Marktstudien des Forums für Nachhaltige Anlagen (FNG) für Deutschland und von Swiss Sustainable Finance für die Schweiz in eindrücklicher Weise.

Im vergangenen Jahr hat die Summe der in Deutschland unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien (ESG) investierten Vermögen um 25% auf 335 Mrd. Euro zugenommen. In der Schweiz belief sich der Anstieg sogar auf 31% auf 1,5 Bill. sfr (vgl. Grafik). Selbst wenn man die Wachstumszahlen um den günstigen Einfluss der Kursentwicklung an den Finanzmärkten korrigiert, verbleiben in beiden Ländern starke Zunahmen.

Doch die spektakulär anmutenden Zahlen sind mit einiger Vorsicht zu genießen. Von einer nachhaltigen Investmentkultur, die diesen Namen wirklich verdient, ist die Assetmanagement-Industrie beider Länder noch ein großes Stück entfernt.

In der Schweiz ist das Wachstum hauptsächlich dem Umstand geschuldet, dass sich eine stark wachsende Zahl der befragten Banken und Vermögensverwalter zur systematischen Einbeziehung von ESG-Kriterien in die Finanzanalyse (ESG-Integration) bekennt. Viele suchen auch den Dialog mit den Unternehmen, um ihre Rolle als Aktionäre aktiver wahrzunehmen.

Doch von einer nachhaltigen Anlagepolitik kann deshalb noch lange nicht gesprochen werden. Das Volumen von in der Schweiz aufgelegten nachhaltigen Themenfonds, in denen der Fondsmanager ein vergleichsweise enges Selektionskorsett berücksichtigen muss, bewegt sich auf tiefem Niveau (74 Mrd. sfr) unterdurchschnittlich schnell vorwärts (+19%).

Auch das sogenannte „Impact Investing“, das auf die Lösung konkreter sozialer oder umweltbezogener Probleme abzielt, spielt mit einem Volumen von 86 Mrd. sfr immer noch nur eine Nebenrolle – obwohl das Segment im Berichtsjahr die höchste Zuwachsrate (+70%) vorweisen konnte.

Der „Best in Class“-Ansatz, der in der Fondsindustrie nach wie vor der Standard ist und eine weit stärkere Filterfunktion ausübt als andere nicht ausschließende Screening-Ansätze, macht mit einem Volumen von 159 Mrd. sfr (+28%) ebenfalls nur etwa 10% des von der Schweizer Statistik angegebenen Gesamtvolumens des nachhaltigen Anlagemarktes aus. In der deutschen FNG-Statistik nahmen die Geldanlagen, die unter Verwendung des Best-in-Class-Ansatzes ausgewählt wurden, um zwei Drittel auf 160 Mrd. Euro zu. Diese im Vergleich zur Schweiz stärkere Zunahme dürfte mit dem engeren Definitionsspielraum der deutschen Statistik zusammenhängen.

„Großes Durcheinander“

Die Verbreitung des Best-in-Class-Ansatzes sei kein Zeichen für die Qualität einer nachhaltigen Finanzindustrie, sagt ausgerechnet der Nachhaltigkeitspionier Reto Ringger, der als Erfinder des Dow Jones Sustainability Index und damit als Begründer des Ansatzes gilt. „Wenn sich ein Anbieter mit dem Best-in-Class-Ansatz immer noch als fortschrittlich darstellen will, dann ist das eine sehr einfache Form von Nachhaltigkeit. Ein Exxon-Investment wird nicht nachhaltiger, wenn es in einem Portefeuille etwas tiefer gewichtet wird“, so der Gründer und CEO der Zürcher Globalance Bank. Nachhaltigkeit sei mit Blick auf Klimaziele keine relative Sache mehr.

Ringger kritisiert auch die fehlende Transparenz. „Es herrscht ein großes Durcheinander. Jede Bank hat eine eigene Methodik und ein eigenes Nachhaltigkeitslabel. Für den Anleger ist das nicht mehr überschaubar.“ Diese Feststellung mag auch Sabine Döbeli von Swiss Sustainable Finance nicht kontern. Viele Anbieter sähen in der eigenen Methodik noch eine Differenzierungsmöglichkeit. Auch das wird sich ändern müssen, damit die Statistik eine stärkere Aussagekraft erhält.