GASTBEITRAG

Wohin mit dem Geld?

Börsen-Zeitung, 12.11.2015 Je länger die Niedrigzinsphase andauert, desto stärker drängen sich die niedrigen Zinsen in die Kapitalanlage - insbesondere bei langfristigen Investoren. Dazu gehören auch Versicherungen und Pensionseinrichtungen mit...

Wohin mit dem Geld?

Je länger die Niedrigzinsphase andauert, desto stärker drängen sich die niedrigen Zinsen in die Kapitalanlage – insbesondere bei langfristigen Investoren. Dazu gehören auch Versicherungen und Pensionseinrichtungen mit langen Zahlungsverbindlichkeiten. Und es trifft sie quasi doppelt: Denn sie müssen festen Mindestzinsverpflichtungen aus vergangenen Tagen der Hochzinsphase nachkommen. Was machen?Ratschläge gibt es viele. Es vergeht kaum ein Tag ohne eine alarmierende Studie mit apokalyptischen Prognosen. Im Folgenden sehen wir uns nun die gängigen Empfehlungen mal etwas genauer an und prüfen diese auf ihren Gehalt.Erst kürzlich war im “Wall Street Journal” zu lesen, dass für Versicherungen entsprechend einer Studie eines sehr großen US-Vermögensverwalters die Gelegenheiten, auf den Anleihe- und Aktienmärkten zu investieren, so selten geworden sind, dass sie lieber ihr Vermögen in bar halten, als es zu investieren. So erwarten viele, dass die Kassehaltung im nächsten Jahr zunehmen wird. Immer noch ChancenDie Befürchtungen sind zu hoch gegriffen. Die Kapitalmärkte bieten immer noch Chancen. Wer allerdings einseitig auf sichere Staatsanleihen und Pfandbriefe setzt, der wird aufgrund der niedrigen Zinsen nicht weit kommen. Der Anleger muss das breite Spektrum der Anleihemärkte nutzen. Dabei geht es nicht darum, eindimensional mehr Spreadrisiken einzugehen, sondern wohldosiert und mit der richtigen Streuung zu agieren. Cash kann schon allein deswegen keine Alternative sein, weil eine Versicherung auf eine langfristig ausgerichtete Kapitalanlage nicht verzichten kann. Aufgrund ihrer langlaufenden Zahlungsverbindlichkeiten käme es sonst zu einer unerwünscht hohen Kapitalbindung.Eine weitere Möglichkeit ist, den Blick über den Tellerrand der Anleihen zu richten. Große Versicherungen diversifizieren vermehrt in alternative und illiquide Assetklassen wie Infrastruktur. Dafür ist der Aufbau spezifischer Kompetenz notwendig, um die damit zusammenhängenden Risiken umfassend beurteilen zu können. Dies ist für kleinere Anleger aufgrund der geringeren Anlagesummen nicht ohne Weiteres möglich, große Versicherungen profitieren zudem von ihrem globalen Know-how in der Versicherungstechnik. Infrastruktur bietet vor allem den Vorteil sehr langfristiger Cash-flows mit Laufzeiten von zum Teil 50 Jahren und mehr.Eine Zunahme der Kassenhaltung kann umgekehrt rational geboten sein und folgt dann aber meist vorübergehenden taktischen Überlegungen. Hintergrund ist die geringere Liquidität der Kapitalmärkte aufgrund der strengeren Regulierung von Banken, die nicht mehr wie früher ihre Funktion als Marketmaker an den Kapitalmärkten ausüben können. Ein Ausweg für Vermögensmanager von Versicherungen ist, nur Titel mit entsprechender Qualität zu halten, die bei engen Märkten durchgehalten werden können, ein anderer, höhere Liquidität vorzuhalten, um nicht in den Zwangsverkauf getrieben zu werden. Vermehrte Kassenhaltung ist also sehr leicht vorstellbar, aber nicht als Antwort auf fehlende Anlagealternativen, sondern zur Sicherstellung von Liquidität in volatilen Zeiten. Riskantes KerngeschäftDieser Tage wurde auch von einer Studie von Towers Watson berichtet, dass deutsche Pensionseinrichtungen stärker diversifizieren sollten. Mit Blick auf weltweite Portfolios wird bemerkt, dass diese mindestens 50 % mehr Aktien enthielten und mehr als sechsmal so viele Immobilien und alternative Anlagen. Hier gleichen sich die Ergebnisse: Wer mehr Rendite braucht, der soll stärker ins Risiko gehen. Auch die Studie des US-Vermögensverwalters kommt zu diesem Schluss.Für Versicherungen ganz generell gilt, dass die Sicherheit Teil ihres Versprechens an ihre Kunden ist und daher Risikomanagement auch und vor allem in der Kapitalanlage an erster Stelle stehen muss. Das Kerngeschäft der Versicherungen ist per se riskant, doch die Erfahrungen und auch eine eingehende Risikoanalyse zeigen: In der Kapitalanlage ist die Risikoexponierung und entsprechend die Vulnerabilität am höchsten. Entsprechend muss die Kapitalanlage immer gut ausbalanciert sein, was in schwierigen Kapitalmarktphasen keine einfache Aufgabe ist. Dies erfordert in der Praxis einen hohen Analyse- und Überwachungsaufwand und ist ohne den Einsatz moderner IT nicht denkbar. Beträchtlicher AufwandGerade für kleinere Gesellschaften macht es oftmals wirtschaftlich keinen Sinn mehr, diese hohen Aufwände mit Blick auf das geringe Volumen auf sich zu nehmen. Hier bietet sich als Lösung an, das Kapitalanlagemanagement in Teilen oder vollständig auszulagern. Dies gilt analog auch mit Blick auf die Ausweitung des Anlagespektrums auf neue Assetklassen, um Renditechancen zu nutzen. Ob dies nun Emerging Markets, Small- und Mid Caps oder illiquide Assetklassen wie erneuerbare Energien oder Infrastruktur sind, der Aufwand ist beträchtlich.Was bei der Investition in illiquide Assetklassen gerne unterschätzt wird, ist weniger der einmalige Aufwand zur Vorbereitung, als vielmehr der laufende Aufwand der Betreuung, Überwachung und möglicherweise Fortführung unter anderen Vorzeichen.Transaktionskosten inklusive Due Diligence am Anfang einer Investition sind erheblich. Die laufenden Kosten der Überwachung des Betriebs und des Managements von Krisen und Störfällen belasten Managementkapazitäten, verlangen oftmals juristischen Beistand inklusive teurer Gutachten sowie die zyklusgerechte Planung und Umsetzung von Sanierungen und Modernisierungen. Zu den unangenehmsten Vorfällen gehören dabei politisch motivierte staatliche Eingriffe, die die Lebensdauer und Wirtschaftlichkeit einer Investition wesentlich beeinträchtigen können. Die politische Risikoexponierung ist daher ein wesentlicher Prüfpunkt. Bonitätsrisiken drohenEbenfalls empfohlen wird die vermehrte direkte Kreditvergabe von Versicherungen an Unternehmen. Der Investor begibt sich hier allerdings auf das schwierige Terrain der Bonitätsrisiken. Schon sichere Staatsanleihen erfordern heute ein tieferes Research und eine engere Begleitung, als dies noch vor der Finanzkrise der Fall war. Dies gilt umso mehr, je schlechter und schwankender die Bonität wird. Von kleineren Adressen, z. B. Mittelstandsanleihen, sollte der Investor schon allein aus Gründen der Marktgängigkeit und des Fehlens von externen Ratings die Finger lassen. Direkte Kredite sind grundsätzlich defensiv zu sehen, sofern diese nicht gesondert und großzügig besichert sind. Strikt an Qualität ausrichtenSelbst große Anleger sind stark gefordert, zu einem Bonitätsrisiko ständig eine eigene Meinung vorzuhalten, die sich in der Qualität auf dem Niveau eines externen Ratings befindet. Wer den Grundsatz “Kaufe nur, was du auch verstehst” ernst nimmt, wird um diese Anforderung nicht herumkommen. Der Aufwand ist zwar unangenehm hoch, doch haben die Erfahrungen gelehrt, dass er sich über den Zyklus und unter Berücksichtigung möglicher Krisen auf jeden Fall lohnt. Gerade eine Versicherung darf mit Blick auf ihre Kundenversprechen keine Abstriche bei einem strikt an der Qualität ausgerichteten Investmentprozess machen.Die klassischen Grundsätze einer guten Kapitalanlage – Diversifikation und Flexibilität – gelten zu allen Zeiten und verlangen nach immer wieder neuen Lösungen. Eindimensionale Heilsversprechen kann es nicht geben, und viele Lösungen sind nur für große institutionelle Investoren geeignet, die in der Lage sind, neue Assetklassen auch in einem herausfordernden Umfeld sorgfältig und umsichtig zu steuern.—-Philipp Waldstein, Geschäftsführer, Meag