IM INTERVIEW: GUY WAGNER, BANQUE DE LUXEMBOURG

"Die EZB allein kann die Krise nicht lösen"

Chief Investment Officer: Geldpolitik treibt Jagd nach Rendite an - Niedrige Zinsen kein kurzzeitiges Phänomen - Starker Dollar wird ein Problem für US-Exporte

"Die EZB allein kann die Krise nicht lösen"

Guy Wagner von der Banque de Luxembourg hält im Interview der Börsen-Zeitung fest, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Krise allein nicht lösen kann. Die EZB-Politik führt laut Wagner zu einem Verhalten der Investoren, das gefährlich werden könnte. Denn die Investoren würden immer stärker in bestimmte Assets getrieben, die noch einen Renditeaufschlag bieten.- Herr Wagner, nutzen die Regierungen die von Mario Draghi, Chef der EZB, gekaufte Zeit in einem hinreichenden Ausmaß für Reformen?Nein, das machen sie nicht. Aber dabei geht es nicht nur um die Peripherieländer der Eurozone. Es werden im Euroraum insgesamt recht wenige Reformen angegangen. Ohne Frage sind Strukturreformen immer sehr schwierig durchzusetzen, da sie auf starken Widerstand treffen. Als besorgniserregend stufe ich allerdings den Fall Frankreich ein, das immer mehr an Wettbewerbsfähigkeit verliert. Die Lohnstückkosten steigen dort stark an. Das ist in Spanien beispielsweise nicht der Fall. Dort sinken die Lohnstückkosten.- Wie hoch ist das Risiko, dass es zu einem erneuten Ausbruch der Euro-Krise kommt?Das Risiko ist vorhanden, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, ist schwer abzuschätzen. Die strukturellen Probleme werden weiterhin nicht gelöst. Zwischen dem Norden der Eurozone und dem Süden besteht weiterhin eine große Ungleichentwicklung. Im Grunde genommen bräuchten wir eine Abwertung der Währungen im Süden gegenüber dem Norden der Eurozone. Aber das ist aus bekannten Gründen nicht möglich. Hier zeigen sich die Probleme der Währungsunion.- Droht die EZB-Politik zu scheitern?Sie ist bereits mehr oder weniger gescheitert. Die EZB hat die Zinsen gesenkt, was aber nichts gebracht hat. Die Ankündigung von Mario Draghi von Juli 2012, alles für das Überleben des Euro zu tun, hat damals genügt, um an den Märkten für Beruhigung zu sorgen. Das genügt heute aber nicht mehr. Man sieht eben nun, dass die EZB allein die Krise nicht lösen kann. Nun wird an den Märkten ein Quantitative Easing erwartet, also weitere unkonventionelle Maßnahmen, um die Zinsen zu drücken. Aber was soll das bringen? Die Zinsen sind doch schon sehr niedrig. Die Zinsen sind nicht das Problem. Es tritt eben offen zutage, dass die Länder der Währungsunion nicht für eine einheitliche Währung gemacht sind. Das ist das Ergebnis einer rein politischen Entscheidung.- Wie sollen die Anleger auf das Niedrigrenditeumfeld reagieren?Vor allem müssen die Anleger mal einsehen, dass die niedrigen Zinsen beziehungsweise Renditen kein Phänomen oder Problem dieser Tage sind, das sich auf kurze Sicht schnell erledigt. Das wird noch lange anhalten. Infolge der niedrigen Renditen gehen viele Anleger Risiken ein, die sie nicht wirklich einschätzen können. Mancher meidet vielleicht Aktien, weil ihm das Risiko hier zu hoch ist. Stattdessen geht er lieber in High-Yield-Anleihen. Viele Unternehmen nutzen die günstigen Konditionen am Markt für Mittelaufnahmen und bauen eine sehr hohe Verschuldung auf. Infolge der Jagd der Anleger nach Rendite sind die Renditen deutlich gefallen, und die Spreads haben sich kräftig eingeengt. Und so mancher Anleger unterliegt vielleicht der Fehleinschätzung, dass eine 3-Prozent-Rendite bei High-Yieldern noch adäquat das Risiko widerspiegelt. Man sollte dann doch lieber auf Dividendenstrategien setzen.- Wie beurteilen Sie denn die Aussichten von Aktien?Ein vorsichtiger Anleger kann mit Qualitätsaktien aus den USA, Asien oder Europa auf Basis realistischer Annahmen langfristig im Schnitt 6 bis 8 % Performance erzielen.- Wann erwarten Sie den ersten Zinsschritt der Fed?Der Markt stellt sich derzeit darauf ein, dass es im zweiten oder dritten Quartal so weit sein wird. Sollte die US-Konjunktur bis dahin gut laufen und auch die Aktien- und Immobilienmärkte nicht gerade zur Schwäche neigen, bin ich ebenfalls der Meinung, dass zu jenem Zeitpunkt der erste Zinsschritt der Fed erfolgen wird. Sollte – nicht zuletzt wegen struktureller Probleme in den USA – das Wachstum sehr anfällig sein, was ich durchaus einkalkuliere, könnte sich der erste Zinsschritt auch auf das Jahr 2016 verschieben.- Wie weit wird die Fed den Leitzins in dem dann startenden Zyklus erhöhen können?Ich gehe von 1 % als Obergrenze aus. Das Wachstum der US-Wirtschaft wird aller Voraussicht nach schwach bleiben nicht zuletzt aufgrund der Bremswirkungen des weiterhin anhaltenden Entschuldungszyklus. Des Weiteren gibt es in den USA das große Problem der hohen Verschuldung des Staates. Schon vor diesem Hintergrund werden die Zinsen nicht so weit angehoben.- Welche konkreten weiteren Maßnahmen seitens der EZB im Kampf gegen die Disinflation und die drohende Deflation erwarten Sie demnächst noch?Ich stelle mir die Frage, was sie überhaupt noch machen kann. Die schwache Kreditnachfrage in der Eurozone kommt vor allem dadurch zustande, dass die Unternehmen skeptisch in die Zukunft blicken und eben keine konjunkturelle Verbesserung sehen. Wie heißt es doch: Man kann den Esel zum Wasser führen, aber ihn nicht zwingen zu trinken. Die schwache Kreditnachfrage ist eine Folge des fehlenden Vertrauens in die Entscheidungsträger.- Werden die Maßnahmen, die bereits ergriffen wurden, und die jetzt diskutierten Unternehmens- und Staatsanleihekäufe erfolgreich sein?Es gibt an den Märkten hohe Erwartungen an die EZB-Politik. Aber ich weiß nicht, was diese Politik bringen soll. Die EZB-Politik führt zu einem Verhalten der Investoren, das auch gefährlich werden kann. Die Investoren werden immer stärker in bestimmte Assets getrieben, die noch einen Renditeaufschlag bieten. Das ist nicht positiv. Dass die EZB auch noch Gold kauft, wie mancher im Markt vermutet, würde mich sehr wundern. Denn die Zentralbanken sind mit dem hohen Goldpreis nicht gerade glücklich gewesen.- Bleibt vor diesem Hintergrund das Niedrigrenditeumfeld in der Eurozone intakt?Ja, das wird es bleiben, es sei denn, die EZB verspielt bei der Umsetzung der Maßnahmen das Vertrauen an den Märkten, und die Anleiherenditen schießen nach oben.- Wie weit kann die zehnjährige Bundrendite noch fallen?Theoretisch kann sie bis auf 0 % fallen. Der tiefe zehnjährige Marktzins offenbart doch, wie schwach das nominale Wachstum in der Eurozone ist. Sollte sich die Deflationsgefahr noch verstärken, kann es durchaus in Richtung von 0,5 % gehen.- Am Devisenmarkt wird über eine Rückkehr zur Parität von Euro und Dollar gesprochen. Ist dies eine realistische Perspektive?In den USA ist das Quantitative Easing ausgelaufen. In der Eurozone ist das Gegenteil der Fall. Das ist gut für den Dollar und schlecht für den Euro. Das wird an den Märkten gespielt. Doch man muss sich bewusst sein, dass kein Land an einer starken Währung interessiert ist. Ein starker Dollar wird ein Problem für die Exporte der USA. Eine Parität erscheint mir daher schwer vorstellbar. Sollte das Wachstum nicht zuletzt wegen der Dollarstärke schwächer ausfallen, könnte es sein, dass die Zinserhöhung in den USA nicht kommt.- 2014 war das Jahr des Dollar, der gegenüber Euro und Yen bislang deutlich aufgewertet hat. Welche Erwartungen an die US-Leitzinsen sind in dem aktuellen Kursniveau vom Markt bereits eingepreist?Ich würde das mit 75 bis 100 Basispunkten ansetzen.- Was würde eine weitere Lockerung der EZB-Geldpolitik für die kleineren europäischen Währungen wie die Schwedenkrone oder den Schweizer Franken bedeuten?Beim Schweizer Franken sehe ich dann weiteren Aufwertungsdruck. Er wird von den Anlegern weiter als sicherer Hafen angesehen, wenn der Euro zur Schwäche neigt. Als Nächstes stellt sich die Frage, ob die Schweizer Nationalbank dann tatsächlich verteidigen will an der Marke von 1,20 Franken oder ob sie eine gewisse Aufwertung zulässt. Die schwedische Krone sehe ich nicht so sehr als sicheren Hafen an und sehe auch kein direktes Zusammenwirken der schwedischen Währung mit einem schwächeren Euro.- Wie wird sich der Ölpreis auf längere Sicht entwickeln?Ich bin kein Ölexperte. Der schwächere Ölpreis ist unter anderem Ausdruck der rückläufigen Nachfrage, also auch der schwächeren Konjunktur. Allerdings drücken auch die erneuerbaren Energien auf den Ölpreis. Investitionen in erneuerbare Energien machen aber nur bei einer bestimmten Höhe des Ölpreises Sinn. Diese wird mit um die 90 Dollar je Barrel angegeben. Gehen die Investitionen in erneuerbare Energien also zurück, gibt es dort auch weniger Angebot, es kommt zu einer höheren Nachfrage nach Öl. Auf längere Sicht halte ich einen höheren Ölpreis für möglich.—-Das Interview führte Kai Johannsen.