Goldene Zeiten für die Pharmaindustrie
Goldene Zeiten für die Pharmaindustrie
Abnehmprodukte treiben Eli Lilly und Novo Nordisk an – Innovationen auch bei Demenz und Krebs zu erwarten
Der Pharmasektor blieb zuletzt hinter dem globalen Aktienmarkt zurück, obwohl Eli Lilly und Novo Nordisk dank ihrer Abnehmpräparate immer wertvoller wurden. Fortschritte bei Datenanalyse und Gensequenzierung dürften schon bald enorme Innovationen in der Branche freisetzen – auch in anderen Medizinfeldern.
Von Tobias Möllers, Frankfurt
Auf den ersten Blick sieht es wie ein Widerspruch aus: Während der globale Aktienmarkt im vergangenen Jahr um sagenhafte 24% zulegen konnte, verbesserte sich der Healthcare-Sektor nur um vergleichsweise bescheidene 4,3%. Und das, obwohl es auch in diesem Sektor mindestens zwei große Gewinner gab, die auch in diesem und in den nächsten Jahren weiter wachsen dürften und ihren Aktionären entsprechend Freude bereiten.
Die Rede ist von Eli Lilly und Novo Nordisk. Der Konzern aus Indianapolis ist gemäß Marktkapitalisierung das größte Gesundheitsunternehmen der Welt. Novo Nordisk ist nicht nur das größte Gesundheitsunternehmen Europas, sondern, seit die Dänen im vergangenen Jahr an LVMH vorbeiziehen konnten, sogar das größte Unternehmen Europas. Der Marktwert der beiden Unternehmen ist laut Rund Sand-Holm vom DNB Healthcare Fund allein 2024 um weitere 200 Mrd. Dollar und damit um rund 20% gestiegen. Das Duo steht damit allein für 13% des gesamten Sektors. Der Grund für den enormen Erfolg der beiden Unternehmen sind Produkte gegen Fettleibigkeit, die am Markt voll einschlugen. Bei Novo Nordisk lautet der Name des Wundermittels Wegovy und daneben gibt es auch das Diabetes-Medikament Ozempic. Eli Lilly überzeugte Markt und Analysten mit dem in Abnehmspritzen verabreichten Mounjaro.
Doch warum strahlte der Erfolg der beiden Spitzenreiter nicht auf den gesamten Sektor aus, der die schlechteste Performance seit über zwei Jahrzehnten verbuchte? Für Steven Smith, Investment Director bei der Capital Group, gibt es dafür eine ganze Reihe von Gründen: „Die Aufregung um die Chancen durch künstliche Intelligenz (KI) zusammen mit der Erwartung, dass die Zentralbanken in den Industrieländern die Zinssätze auf dem aktuellen Niveau halten oder sogar senken könnten, führte 2023 zu einem risikofreudigen Umfeld – zum Nachteil von defensiven Sektoren wie dem Gesundheitssektor.“
Dazu kommen noch weitere Faktoren. So ermögliche es der in den USA verabschiedete Inflation Reduction Act (IRA) dem US-Krankenversicherungsprogramm Medicare, Arzneimittelpreise direkt mit den Pharmaunternehmen auszuhandeln. „Auch wenn die so vereinbarten Preise erst ab 2026 gelten werden, könnte dies bereits jetzt eine Neubewertung der betroffenen Pharmaunternehmen auslösen“, erklärt Smith. Zu einer solchen Neubewertung von Pharmaunternehmen komme es bisher etwa alle 15 Jahre, u.a. weil Patente auslaufen. Dies könne sich durch den IRA nun auf einen Zeitraum von neun bis 13 Jahren verkürzen.
Das Thema Fettleibigkeit dürfte dabei ein wesentlicher, aber nicht der einzige Wachstumstreiber für Unternehmen aus der Gesundheitsbranche bleiben. Nach Schätzungen der World Obesity Federation könnte bis 2035 mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung fettleibig sein. Die Gesamtkosten für die Behandlung von damit zusammenhängenden Krankheiten dürften sich dann auf 4 Bill. Dollar summieren – pro Jahr. Eine gute Nachricht ist das zumindest für Eli Lilly und Novo Nordisk, deren GLP1-Medikamente eine Gewichtsabnahme von 15 bis 20% versprechen und die derzeit auch auf ihre Wirksamkeit gegen Leber-, Nieren- und Herzkreislauferkrankungen getestet werden. Neuere Versionen der Hoffnungsträger sollen sogar einen Gewichtsverlust von 25 bis 30% ermöglichen.
Hohe Bewertung
Die Aktien der beiden Unternehmen haben sich in den vergangenen drei Jahren vervierfacht und weisen nun sehr hohe KGVs aus. Während das KGV der Europäer bei über 40 liegt, werden die Amerikaner sogar mit einem KGV von über 100 bewertet. Bei einem Nullwachstum würde es also über 100 Jahre dauern, bis man seine Investition zurückerhält, erklärt DNB-Mann Sand-Holm. Für den Experten ist das allerdings kein Warnzeichen, vielmehr sei der Markt aktuell mit Blick auf das Wachstumspotenzial der Abnehmprodukte noch zu vorsichtig. „Bei dem vom Markt angenommenen Wachstum wird das KGV sowohl beim aktuellen Aktienkurs als auch bei den geschätzten Gewinnen im Jahr 2030 auf unter 20 sinken“, so Sand-Holm. Der Markt gehe bisher von einem Umsatzwachstum von rund 180% bei Eli Lilly und von rund 130% bei Novo Nordisk bis zum Jahr 2030 aus. Der Weltmarkt für diese Medikamente könne bis 2030 aber sogar ein Volumen von über 100 Mrd. Dollar erreichen, das von den Märkten in dieser Größenordnung bisher nicht eingepreist sei. Die DNB hält beide Aktien daher weiter für attraktiv, auch wenn sie hohe Wachstumserwartungen zu erfüllen hätten.
Der Markt biete auch noch Platz für weitere Akteure, auch wenn diese zurzeit noch weit hinter den beiden Großen zurückliegen. Die DNB nennt hier das US-Unternehmen Viking Therapeutics und die dänische Zealand Pharma, die ein Kooperationsabkommen mit Boehringer Ingelheim abgeschlossen haben. Beide Unternehmen hätten interessante Medikamenten-Kandidaten, die derzeit in der klinischen Prüfung seien. Diese Produkte kämen aber nach Einschätzung von DNB nicht vor Ende 2027 auf den Markt. Daneben hätten AstraZeneca und Roche weitere Kandidaten für die Adipositas-Behandlung übernommen.
Auch die Capital Group sieht glänzende Aussichten für die Pharmaindustrie. „Wir stehen am Beginn einer goldenen Ära für den Gesundheitssektor“, resümiert Investment Director Smith. Healthcare stehe aktuell an der Spitze innovativer Forschung und Entwicklung. Neben den Produkten gegen Fettleibigkeit nennt die Capital Group noch zwei wesentliche Felder, in denen – neben KI-Hoffnungen – die Fortschritte bei Datenanalyse und Gensequenzierung ihre „enorme Innovationskraft“ zeigen könnten: Krebs ist laut WHO die zweithäufigste Todesursache weltweit. Nach Schätzungen von Vantage Market Research könnte der Onkologiemarkt bis zum Jahr 2030 durch die Entwicklung neuer Krebsmedikamente von derzeit 305 Mrd. Dollar im Jahr auf 556 Mrd. Dollar anwachsen.
Drittes großes Thema für die Gesundheitsexperten der Capital Group ist Demenz, wobei Alzheimer 60 bis 70% aller Demenzfälle ausmacht. Auch hier gebe es deutliche Fortschritte bei der Entwicklung neuer Behandlungsansätze. „Ermutigende Ergebnisse“ hat im letzten Jahr das Medikament Donanemab gebracht, mit dessen Hilfe eine Verlangsamung des kognitiven Abbaus um 35% gelungen sei. Hersteller des Wundermittels ist ein alter Bekannter: Eli Lilly.