Online-Marktplatz profitiert vom starken Kreditgeschäft
Geld oder Brief
Mercadolibre: Stark dank zwei Standbeinen
Von Tobias Möllers, Frankfurt
Der 2. August 2024 hat eine Zeitenwende an den lateinamerikanischen Aktienmärkten markiert. Wertvollstes Unternehmen der Region gemessen am Marktwert war nicht länger der brasilianische Mineralölkonzern Petrobras, sondern die E-Commerce-Plattform Mercadolibre. Das 1999 in Argentinien gegründete Unternehmen hat einen rasanten Aufstieg zu einem der größten Marktplätze der Welt hinter sich und muss auch den Vergleich mit dem in den USA und Europa dominierenden Amazon nicht scheuen. Die E-Commerce-Plattform hat eine führende Marktstellung in Brasilien, Kolumbien, Chile, Ecuador, Mexiko, Uruguay, Peru und Costa Rica. Gut die Hälfte seiner Einnahmen (52,5%) erzielt der Konzern in Brasilien, Argentinien (22%) und Mexiko (20%) sind danach die beiden wichtigsten Märkte.
Großes Wachstumspotenzial
Der Erfolg spricht sich herum. So erklärte erst kürzlich der Vermögensverwalter Georg von Wallwitz im Gespräch der Börsen-Zeitung: „Bei Einzelaktien gibt es auch in den Emerging Markets überzeugende Titel. So halten wir zum Beispiel den südamerikanischen E-Commerce-Pionier und Platzhirsch Mercadolibre seit mehreren Jahren in unserem Aktienfonds.“ Jüngst stufte Fitch Ratings den Marktplatz von Gründer und CEO Marcos Galperin erstmals auf Investment Grade herauf. Für das Unternehmen spreche die robuste, finanzielle Flexibilität und eine positive langfristige Nachfrage. Bei Moody's und S&P Ratings steht das Unternehmen mit Sitz in Buenos Aires und Montevideo noch eine Stufe unter Investment Grade. Nach einem satten Kursplus von über 30% allein in diesem Jahr kommt das unter dem Kürzel „Meli“ an der Nasdaq notierte Unternehmen auf eine Marktkapitalisierung von über 100 Mrd. Dollar. Auch S&P Ratings sieht eine Verbesserung bei den Kreditkennzahlen und ein starkes Geschäftswachstum. Dabei ist Mercadolibre inzwischen weit mehr als ein Online-Marktplatz. Das Unternehmen investiert seit Jahren in sein stark wachsendes Fintech-Geschäft und eifert hier der brasilianischen Nu Holdings, einer der größten digitalen Bankplattformen der Welt, nach. Schon 40% des Umsatzes kommen aus dem Segment Kredite, Zahlungsdienste und Anlageprodukte, wobei „Meli“ zunächst mit Privatkrediten begann und nun auch auf Kreditkarten setzt, bei Nu war es umgekehrt.
Im 3. Quartal 2024 verzeichnete der E-Commerce-Riese eine Steigerung des Umsatzes um 35% auf 5,3 Mrd. Dollar, der Gewinn wuchs um 11%, satte sieben Millionen Neukunden kamen in diesem Zeitraum dazu. Dennoch wurde die Aktie an der Börse abgestraft und fiel nach den Quartalszahlen um deutliche 16%. Anlegern missfiel, dass die Marge von Mercadolibre zuletzt von 14,3% auf 10,5% sank. Die Zahlen erklären sich mit den stark gestiegenen Investitionen in eine Expansion des Geschäfts mit Kreditkarten und weitere Logistikinvestitionen. Auch eine Abwertung des brasilianischen Real gegenüber dem Dollar belastete das Ergebnis. Auf der anderen Seite hat sich das Geschäft mit Kreditkarten binnen eines Jahres fast verdreifacht, dabei bietet die Fintech-Tochter des Unternehmens, MercadoPago, diese bisher nur in Brasilien und Mexiko an. Mercadolibre verspricht sich davon eine höhere Kundenbindung und eine größere Anzahl an Transaktionen.
Analystenvotum eindeutig
Trotz des jüngsten Rückschlags an der Börse ist das Votum der Analysten, die Mercadolibre beobachten, dann auch sehr eindeutig: Von 29 Analysten raten 25 zum Kauf und vier zum Halten der Aktie, zum Verkauf rät niemand. Das Kursziel für die Aktie, die zuletzt bei um die 2.100 Dollar gehandelt wurde, sehen etwa Morgan Stanley und Citi bei 2.450 Dollar. Für das Unternehmen spricht nach Ansicht der meisten Analysten, dass die Durchdringung mit Kreditkarten und von E-Commerce und damit von beiden Standbeinen in den Stammmärkten von Mercadolibre noch unterentwickelt ist und der Markt in diesem Bereich in den nächsten Jahren stark wachsen dürfte. Wie groß das Wachstumspotenzial ist, zeigt ein Blick in den Rückspiegel: Lag der Umsatz 2018 noch bei 1,4 Mrd. Dollar, hat er sich binnen fünf Jahren auf 14,4 Mrd. Dollar im Jahr 2023 verzehnfacht.
Ein weiterer Pluspunkt des Unternehmens ist die große Innovationsbereitschaft. So gibt „Meli“ inzwischen über die Fintech-Tochter MercadoPago den Stablecoin „Meli Dollar“ aus. Zudem ist der Konzern in seinen Stammmärkten seit vielen Jahren so etabliert, dass etwaigen Konkurrenten wie den chinesischen Unternehmen Temu und Shein ein Einstieg in diesen Märkten erkennbar schwerfällt. Hier lauert allerdings auch ein Schwachpunkt des Konzerns: Angesichts des enormen Wachstumspotenzials dürfte Mercadolibre in den nächsten Jahren einem zunehmenden Wettbewerb durch Unternehmen wie Amazon oder auch Rakuten ausgesetzt sein. Das könnte die Margen weiter unter Druck bringen. Auch das hohe Fremdwährungsrisiko wird das in den USA notierte, aber auf Süd- und Mittelamerika fokussierte Unternehmen kaum abstellen können. Was bleibt, ist eine aussichtsreiche Wachstumsgeschichte, die dank zwei Standbeinen sehr solide aufgestellt scheint.