Gastbeitrag

Schumpeter, KI und schöpferische Zerstörung

Der Prozess, in dem Innovationen alte Strukturen und Geschäftsmodelle obsolet machen und Platz für Neues schaffen, ist ein wesentlicher Treiber für wirtschaftlichen Wandel und Fortschritt.

Schumpeter, KI und schöpferische Zerstörung

Gastbeitrag

Schumpeter, KI und schöpferische Zerstörung

Die Thesen des Ökonomen bieten relevante Ansatzpunkte für Aktienanleger – und auch zum Verständnis von künstlicher Intelligenz

„Nichts ist so beständig wie der Wandel“ – der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter prägte den Begriff "schöpferische Zerstörung", um zu beschreiben, wie Innovationen alte Strukturen und Geschäftsmodelle obsolet machen und Platz für Neues schaffen. Dieser Prozess ist ein wesentlicher Treiber für wirtschaftlichen Wandel und Fortschritt. Die Wirtschaft ist kontinuierlichen Veränderungen unterworfen. Unternehmen, die den Wandel nicht annehmen, laufen Gefahr, von einem Herausforderer aus dem Markt verdrängt zu werden. Diese Beobachtung Schumpeters ist heute besonders relevant: Die enormen technologischen Fortschritte durch den Einsatz künstlicher Intelligenz haben das Potenzial, disruptiv auf die aktuellen Kräfteverhältnisse in einer Vielzahl von Branchen zu wirken. Es lohnt sich also, die innovativsten Unternehmen möglichst früh zu identifizieren und nur jene ins Portfolio zu nehmen, die von säkularen Wachstumstrends profitieren und ein nachhaltiges Unternehmenskonzept vorweisen. Aber wie soll man diese Unternehmen identifizieren?

Oligopole und Herausforderer

Schumpeter unterschied zudem zwischen Oligopolisten (oder sogar Monopolisten) und Herausforderern. Beide spielen in der Marktwirtschaft eine unterschiedliche Rolle. Oligopolisten sind etablierte Unternehmen, die in einer Branche dominieren und vorübergehend von ihren Marktpositionen profitieren können. Herausforderer dagegen sind innovative Unternehmer, die neue Ideen und Geschäftsmodelle einführen. Schumpeter betrachtete die Herausforderer als die Hauptmotoren wirtschaftlicher Entwicklung. Sie sorgen für Wettbewerb, indem sie die etablierten Monopole herausfordern und durch den resultierenden Innovationswettbewerb die schöpferische Zerstörung vorantreiben. Dieser Wettbewerbsprozess ist entscheidend für das langfristige Wachstum der Wirtschaft und den technologischen Fortschritt.

Auch Monopolisten innovativ

Der Begriff des Monopols wird in der Öffentlichkeit oft als inhärent verbraucherfeindlich verstanden, doch das ist zu kurz gedacht. Schon Schumpeter wusste, dass großen Innovationen oft auch große Investitionen vorangehen müssen, die nur monopolistische und oligopolartige Unternehmen stemmen können. Die Pharmaindustrie ist hierfür ein gutes Beispiel. Die Forschungskosten für die Entwicklung und Genehmigung neuer Medikamente wären für kleine und mittelständische Unternehmen unbezahlbar, doch auch hier ist der Markt stets in Bewegung. Das jüngste Beispiel ist Novo Nordisk, die in der Diabetesbekämpfung beinahe eine Monopolstellung innehat, durch eine Innovation in Form der Abnehmspritze Wegovy nun aber den Markt für Gewichtsreduktion erobert. Wegen der Wirkung als Appetitzügler und anderer gesundheitlicher Effekte hat die Innovation die Aktienkurse verschiedenster Oligopole von Süßwaren (Kraft) bis hin zu Dialyse (Fresenius) einbrechen lassen.

Bei der KI als Innovationstreiber kommt auch noch der Netzwerkeffekt zum Tragen. KI-Modelle verbessern sich umso stärker, je mehr Daten für ihr Training zur Verfügung stehen. Monopolisten wie Google oder Meta, die bereits aus anderen Geschäftsfeldern auf massive Datenmengen und Rechenleistungen zurückgreifen können, haben also einen deutlichen Wettbewerbsvorteil. Gleichzeitig bieten sich auch immer Chancen, dass Herausforderer durch Innovationen die Monopole durchbrechen und mitunter selbst zu Monopolisten werden. So verdrängte zum Beispiel Google selbst seinerzeit den einstigen Platzhirsch Yahoo.

Mit Schumpeter investieren

Mit dem Begriff „Schumpeter-Aktien“ lassen sich zum einen Unternehmen umschreiben, die in oligopolartigen Strukturen agieren (große Marktmacht, hohe Margen und hohe Eintrittsbarrieren) und nachhaltige Geschäftsmodelle besitzen. Diese Unternehmen erwirtschaften in allen Marktphasen relativ stabile Gewinne, die zu einem guten Teil als Dividenden ausgezahlt werden.

Zum anderen kann es lohnenswert sein, disruptive Unternehmen, die etablierte Marktteilnehmer herausfordern und über eine hohe Innovationskraft sowie sehr starkes Wachstum verfügen, auszuwählen, um an deren Umsatz- und Gewinnwachstum zu partizipieren. Besonders vorteilhaft sind Unternehmen, die beide Rollen einnehmen: So ist Microsoft beispielsweise im Bereich der Digitalisierung als Monopolist und bei KI-Themen gleichzeitig auch als Herausforderer unterwegs.

Zeit für einen Strategiewechsel

Durch das schwächere Gesamtwachstum und das auf Jahre hinaus schwierige Umfeld für Zykliker ist eine breite Investition in den Gesamtmarkt momentan nicht besonders attraktiv. Der Schumpeter-Ansatz ist also tatsächlich hochrelevant im aktuellen Marktumfeld. Es bestehen strukturelle Wachstumstrends wie Digitalisierung, demografischer Wandel, Dekarbonisierung und (digitale) Infrastruktur. Unter den Profiteuren der strukturellen Wachstumstrends lässt sich zwischen offensiveren Sektoren wie Technologie/IT und eher defensiveren wie Pharma/Gesundheit unterscheiden. Bei zyklischen Industriewerten sollte man hingegen eher zurückhaltend sein.

Eine offene Frage bleibt jedoch die Profitabilität der KI. Es ist durchaus möglich, dass die Konsumentenrendite bei Unternehmen, die KI intelligent anwenden, höher ausfällt als die Produzentenrendite der KI-Entwickler selbst. Diese Zahlen sind momentan noch schwer zu erheben. Die Konsumentenrendite beschränkt sich momentan noch zu einem großen Teil auf die Zeitersparnis von Schülern und Studenten, die sich ihre Hausarbeiten schreiben lassen. Mit dem weiteren Fortschritt der Technologie werden sich aber auch bald unter den Anwendern erste Sektoren- und Unternehmensgewinner hervortun. Ob dieses neue Feld der KI-Anwendungsexperten von den großen Monopolen oder den Herausforderern dominiert werden wird? Schumpeter wäre es vermutlich egal, Hauptsache, es entsteht etwas Neues.

Georg von Wallwitz

Geschäftsführender Gesellschafter
und Lead-Portfolio-
manager bei
Eyb & Wallwitz