TECHNISCHE ANALYSE

Trübe Aussichten für den deutschen Leitindex

Von Christian Henke*) Börsen-Zeitung, 20.5.2020 Als Analyst wird man von Freunden oder Bekannten auf der Straße oder im Supermarkt, natürlich unter Einhaltung des Mindestabstandes, gefragt, ob nun die Zeit gekommen ist, um wieder Aktien zu kaufen....

Trübe Aussichten für den deutschen Leitindex

Von Christian Henke*)Als Analyst wird man von Freunden oder Bekannten auf der Straße oder im Supermarkt, natürlich unter Einhaltung des Mindestabstandes, gefragt, ob nun die Zeit gekommen ist, um wieder Aktien zu kaufen. Nach der Kursimplosion im März eine durchaus gerechtfertigte Frage. In dem besagten Monat wurde die Börsenwelt auf den Kopf gestellt. Nach den Tiefstständen konnte der deutsche Leitindex eine Erholung starten. Ist nun das Schlimmste überstanden, und können die Anleger wieder zur Normalität zurückkehren? Darauf wollen wir in dem folgenden Artikel eine Antwort finden.Im Februar war die Welt für die meisten Anleger noch in Ordnung. Der Dax hatte am 20. desselben Monats ein neues Rekordhoch erklommen. Zu diesem Zeitpunkt sah es nach einer Fortsetzung der Kletterpartie aus. Und dann schlug das Coronavirus wie eine Bombe auf den internationalen Aktienmärkten ein. Zwar war Wochen zuvor Covid-19 durchaus bekannt; dass die Lungenerkrankung die Börsen dermaßen in die Tiefe reißen würde, war eine mehr als unangenehme Überraschung. Ausgehend vom 19. Februar, einen Tag vor dem Kursabsturz, bis zum Tief der Talfahrt am 16. März büßte der Dax um mehr als 40 % an Wert ein. Technische Ampel auf RotInnerhalb weniger Wochen rauschte der Dax gen Süden. Das bis dato schöne Chartbild bekam einige tiefe Kratzer. Mitte März musste der aus dem Jahr 2003 stammende langfristige Aufwärtstrend widerstandslos der Angebotsseite überlassen werden. Dass es nicht noch tiefer ging, war den ehemaligen Höchstständen aus dem Jahr 2007 bei 8 150 Punkten zu verdanken. Diese Unterstützung konnte der Kursexplosion standhalten. Ende März schloss der deutsche Leitindex wieder über dem besagten Aufwärtstrend. Allerdings ist das Schlimmste immer noch nicht überstanden. Der charttechnische Supergau konnte aber erst einmal verhindert werden. Widerstände vor der BrustIm Wochenchart ist die derzeitige Situation gut zu erkennen. Zuletzt hat das heimische Börsenbarometer versucht, die Kurslücke vom 9. März zu schließen. Probleme bereiten aber die Unter- und Oberseite der besagten Ausbruchslücke bei 11 097/11 421 Punkten sowie die fallende exponentielle 10-Wochen-Durchschnittslinie bei 11 224 Zählern. Damit es mittelfristig wieder in höhere Gefilde gehen kann, sollten zudem das 61,8 -Prozent-Fibonacci-Level bei 11 589 Punkten und die exponentielle 200-Tage-Linie bei aktuell 11 790 Zählern ebenfalls zurückerobert werden. Erst dann könnte es wieder in Richtung der psychologischen Marke bei 13 000 Punkten gehen. Trendwende nicht in SichtEine weitere Form der Ortsbestimmung ist die Anwendung von technischen Indikatoren auf Sicht von beispielsweise vier und zwanzig Monaten. Wir wenden an dieser Stellen einen Indikatorenmix an, bestehend aus den altbekannten “Dinosauriern” exponentieller Durchschnitt, Bollinger-Bänder, Momentum, Rate of Change (ROC), Relative-Stärke-Index (RSI) und Williams %R. Für ein neues mittelfristiges Einstiegssignal sollte der Kurs des Basiswertes oberhalb des exponentiellen Durchschnitts und des oberen Bollinger-Bandes aus dem Handel gehen. Beim Momentum und ROC wäre ein Schlusskurs über der Nulllinie und beim RSI und Williams %R oberhalb der Marke bei 50 wünschenswert. Umgekehrt liegen Verkaufssignale vor. Ende März hatten sich sämtliche der genannten Indikatoren auf die Seite der Bären geschlagen. Dies sowohl auf Basis der zurückliegenden vier als auch auf Sicht der letzten zwanzig Monate. Von einer Trendwende hin zum Guten ist das hier erwähnte Indikatorenmodell noch weit entfernt. Schwacher Sommer belastetEin weiteres interessantes Instrument in der technischen Analyse ist die Saisonalität. Hierbei werfen wir einen Blick auf die Kursentwicklung der vergangenen dreiunddreißig Jahre. Es fällt auf, dass der Mai gar nicht so schlecht ist wie sein Ruf. Bei der rein visuellen Betrachtung des Wonnemonats betrug die Trefferquote in den letzten neunzehn Jahren 55 %. Mit anderen Worten, der Dax konnte im Mai öfter zulegen als verlieren. Schlechter sieht es dagegen im Sommer aus. Sowohl an den US-Märkten als auch hierzulande ging es in der Vergangenheit von Mitte Juli bis Mitte Oktober abwärts. Dieses saisonale Muster könnte dem Dax zusätzlich einen Strich durch die Rechnung machen. Bärenmarkt-RallyAls Fazit kann man festhalten, dass sich der deutsche Leitindex in einer ausgeprägten Bärenmarkt-Rally befindet. Im Augenblick ist nicht mehr drin als eine Erholung innerhalb des intakten Abwärtstrends. Erst oberhalb der Widerstände bei 11 590/11 790 Punkten könnte sich die Situation weiter entspannen. Die beschriebenen technischen Indikatoren kommen ebenfalls zu diesem Schluss. Des Weiteren könnte die Saisonalität dem Dax Steine in den Weg legen. Positiv zu nennen ist aber, dass der Dax seinen langfristigen Aufwärtstrend aus dem Jahr 2003 zurückerobern konnte. Dieser liegt im Wochenchart momentan bei 9 285 Punkten und sollte nicht mehr hergegeben werden. *) Christian Henke ist Senior Market Analyst bei IG.