SERIE: DIE REFORM DER DAX-INDEXREGELN (1)

Wirecard löst große Indexreform aus

Deutsche Börse schlägt als Konsequenz des Skandals erhöhte Corporate-Governance-Anforderungen vor

Wirecard löst große Indexreform aus

Der Wirecard-Skandal hat die Deutsche Börse veranlasst, eine umfassende Reform der Regeln für ihre Dax-Indizes vorzuschlagen. Die Kernpunkte der Reform, mit denen Konsequenzen aus dem Skandal gezogen werden sollen, setzen an der Corporate Governance an.Von Christopher Kalbhenn, FrankfurtKaum ein Ereignis hat den deutschen Finanzplatz so stark erschüttert wie der Bilanzfälschungsskandal beim Zahlungsabwickler Wirecard. Jahrelang konnte ein börsennotiertes Unternehmen seine Bilanzen mit Fantasiezahlen aufblähen, was ihm letztlich zum Aufstieg in den Dax verhalf.Der Skandal wird zu umfangreichen Veränderungen führen, die etwa die Bilanzprüfer und die BaFin betreffen. Auch die Deutsche Börse ist betroffen. Der Skandal ist der Auslöser bzw. Anlass für eine umfassende Reform der Regeln für die Indizes der Dax-Familie. Bis zum 4. November läuft die Marktkonsultation, in deren Rahmen sich Marktteilnehmer zu den von der Deutschen Börse zur Diskussion gestellten Regelveränderungen äußern sollen. Ihre Ergebnisse und damit die Veränderungen, die dann tatsächlich im kommenden Jahr umgesetzt werden, werden am 13. November bekannt gegeben.Als unmittelbare Konsequenz aus dem Wirecard-Skandal schlägt die Deutsche Börse erhöhte Corporate- Governance-Anforderungen vor. So sollen Dax-Unternehmen, die ihre Quartalsergebnisse nicht fristgerecht vorlegen, künftig per Fast Exit, d.h. umgehend aus dem Index entfernt werden. Für alle Unternehmen der Dax-Auswahlindizes gilt dies bei verspäteter Vorlage der testierten Jahresberichte. Parallel zur Indexreform fordert die Deutsche Börse eine Änderung im Börsengesetz, die es ihr ermöglichen soll, nach dem Prinzip “naming and shaming” künftig Verstöße gegen Publizitätspflichten öffentlich zu machen.Der drohende Indexausschluss bei Verstoß gegen Veröffentlichungspflichten erhöht den Druck auf säumige Emittenten. Die Regel hätte zudem dazu geführt, dass die Aktie der Wirecard, die die Frist für die Vorlage eines testierten Jahresberichts deutlich überschritten hat, wesentlich früher und nicht erst nach der Insolvenz ausgeschlossen worden wäre. Sie hätte auch im Fall von Steinhoff gegriffen. Auch dieses Unternehmen, dessen Aktie 2015 in Frankfurt an die Börse ging und 2016 in den MDax aufgenommen wurde, wurde der Bilanzfälschung überführt. Da das Unternehmen aber, anders als Wirecard, nicht in die Insolvenz ging, gab es im Dax-Regelwerk keinen Ansatz für den Indexrauswurf. 2018 stieg der Titel in den SDax ab, um im Dezember 2019 auch aus diesem Index auszuscheiden, ehe er im März 2020 wieder in den SDax aufgenommen wurde und im September wieder rausflog.Darüber hinaus schlägt die Deutsche Börse vor, das Vorhandensein eines personell besetzten Prüfungsausschusses im Aufsichtsrat zur Pflicht zu machen. Zur Überprüfung dieser Regel soll die jährliche Entsprechenserklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex herangezogen werden. Firmen, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, bleibt der Zugang zu den Auswahlindizes verwehrt. Indexunternehmen ohne Prüfungsausschuss soll eine Kulanzfrist von mindestens zwölf Monaten eingeräumt werden, um Abhilfe zu schaffen. Aktien säumiger Unternehmen sollen im Rahmen der regulären vierteljährlichen Indexüberprüfung per Fast Exit aus den Indizes entfernt werden. Für die meisten Indexfirmen bedeutet die Pflicht keinen Einschnitt. Nur ein Dax-Unternehmen, die Merck KGaA, hat keinen Prüfungsausschuss, außerdem zwei MDax- und elf SDax-Firmen. Fragwürdiger ESG-AusschlussEin weiterer Vorschlag, der keinen Bezug zum Wirecard-Skandal hat, sieht die Einführung eines ESG-Ausschlusskriteriums vor. Unternehmen, die mehr als 10 % ihres Umsatzes mit kontroversen Waffen erwirtschaften, sollen aus den Indizes ausgeschlossen werden. Der Vorschlag ist umstritten. So stellt sich u.a. die Frage, warum gerade dieses Ausschlusskriterium herangezogen wird und andere nicht. Der Dax-50-ESG-Index hat als weitere Ausschlusskriterien Tabakprodukte, Kraftwerkskohle und Kernenergie. Auch aufgrund der Tatsache, dass es diesen ESG-Index gibt und Investoren sich daran orientieren können, erschließt sich der Sinn des Vorschlages nicht. Ein erster Reformschritt wurde bereits im August getan. Die Deutsche Börse geriet ins Fadenkreuz der Kritik, nachdem Wirecard am 25. Juni Insolvenz angemeldet hatte, weil es laut den bestehenden Regeln nicht möglich war, die Aktie unmittelbar aus dem Index zu entfernen. Danach konnte der Titel erst nach dem nächsten Indexprüfungstermin entfernt werden, womit er bis zum 21. September ein Dax-Wert geblieben wäre. Bei den ebenfalls der Deutschen Börse gehörenden Stoxx-Indizes ging es dagegen schnell. Am Abend des 26. Juni, einem Freitag, teilte Stoxx mit, dass Wirecard umgehend aus dem Stoxx Europe 600 entfernt wird, am darauf folgenden Dienstag war die Aktie nicht mehr in dem Index enthalten. Unter dem Druck des Marktes stieß die Deutsche Börse Mitte Juli ein schnelles Marktkonsultationsverfahren an, als dessen Ergebnis die sofortige Entfernung insolventer Unternehmen aus den Dax-Indizes beschlossen wurde. Nach Inkrafttreten der Veränderungen am 19. August wurde Wirecard am 21. August aus dem Dax und dem TecDax entfernt.