„Gedanklich nicht an der Landesgrenze stehenbleiben“
Herr Grau, Herr Kirchner, das Gesetz zur Umsetzung der europäischen Umwandlungsrichtlinie (UmRUG) ist vor kurzem in Kraft getreten. Worauf zielt die neue Regelung?
Grau: Der Gesetzgeber schafft für grenzüberschreitende Verschmelzungen, Spaltungen und Formwechsel in EU- und EWR-Ländern ein kompatibles und rechtssicheres Verfahren. Hierfür werden auch die Rechte der Minderheitsgesellschafter, Arbeitnehmer und Gläubiger vereinheitlicht und vornehmlich gestärkt. Die beteiligten Handelsregister sollen verstärkt miteinander kommunizieren und zusammenarbeiten.
Welche Vorteile ergeben sich für Unternehmen?
Kirchner: Das UmRUG ermöglicht grenzüberschreitende Strukturmaßnahmen für Unternehmen und Konzerne. Insbesondere sind nun erstmals harmonisierte gesetzliche Regelungen existent, die einen Formwechsel oder eine Spaltung grenzüberschreitend ermöglichen. Zuvor musste man sich durch wenig rechtssichere Konstruktionen der zum Teil eingespielten Praxis behelfen. Ein einheitliches Verfahren sorgt künftig für Rechtssicherheit und Vereinfachung. Unternehmen eröffnet sich die Chance, grenzüberschreitend durch Verschmelzungen Strukturen zu vereinfachen und durch Formwechsel beliebig aus den europäischen Gesellschaftsformen zu wählen. Dadurch erlangen sie insbesondere steuerliche Vorteile oder können Unternehmensteile unkompliziert abspalten.
Wo liegen Risiken?
Grau: Die für Unternehmen gesteigerte Flexibilität und Mobilität geht mit einem verstärkten Schutz von Minderheitsgesellschaftern, Arbeitnehmern und Gläubigern einher. Das hat zur Folge, dass das Verfahren einer aufwendigeren und komplexeren Dokumentation bedarf. Damit steigen die Anforderungen an eine Strukturmaßnahme. Lassen Geschäftsführer dies bei ihrer organisatorischen und zeitlichen Planung außer Acht, kann es zu unangenehmen Überraschungen kommen. So können etwa nicht antizipierte Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren oder eine mangelnde Abstimmung zwischen den Beteiligten schnell eine deutliche Zeitverzögerung und gesteigerte Kosten für die betroffene Umwandlungsmaßnahme bedeuten.
Worauf müssen Unternehmen achten?
Kirchner: Die größere Flexibilität erfordert von gewissenhaften Unternehmensleitern, ihren Blick nicht auf die nationale Rechtsordnung zu beschränken. Bei der Wahl der Rechtsform oder Konzernstruktur sind Fragen des Haftungsrisikos sowie Regelungen zur Kapitalausstattung und -erhaltung oder zur Arbeitnehmermitbestimmung nur wenige der zu beachtenden Aspekte. Es lohnt sich, gedanklich nicht an der eigenen Landesgrenze stehenzubleiben.
Grau: Zudem wurden teilweise die Pflichten der Beteiligten ausgeweitet. Daher sollte bereits im Vorfeld einer Umwandlungsmaßnahme genau geprüft werden, ob diese nach dem ausländischen Recht möglich ist oder Verzögerungen zu befürchten sind. Ein wichtiger Aspekt dessen ist die Arbeitnehmermitbestimmung. Es sollte stets ein enger Kontakt zu den Registergerichten gehalten werden.
Wie groß ist das Potenzial für grenzüberschreitende Umwandlungen?
Grau: Bei nicht zu unterschätzenden Herausforderungen in zeitlicher und materieller Hinsicht bedeutet das neue Gesetz für Kapitalgesellschaften ein großes Plus an Rechtssicherheit, Transparenz und Vereinfachung. Die Attraktivität grenzüberschreitender Umwandlungsmaßnahmen dürfte daher künftig, trotz noch offener Fragen, aufgrund der vielfältigen neuen Gestaltungsmöglichkeiten zunehmen.
Gelten die Regelungen auch für inländische Umwandlungen?
Kirchner: Die Regelungen gelten teils auch für inländische Umwandlungen. Hier ergeben sich verhältnismäßig wenige Neuerungen. Das Spruchverfahren, und damit die Möglichkeit einer Überprüfung der Entschädigung für Umwandlungsmaßnahmen, wurde für die Gesellschafter aller beteiligten Rechtsträger geöffnet. Wird in diesem Verfahren das Umtauschverhältnis nachträglich verbessert, können von nun an statt barer Zuzahlung auch zusätzliche Anteile gewährt werden.
Grau: Nach einer grenzüberschreitenden Umwandlungsmaßnahme sind Unternehmen außerdem an die Mitbestimmungsregeln des UmRUG derart gebunden, dass diese für alle innerstaatlichen Maßnahmen in den vier darauffolgenden Jahren gelten.
Dr. Tobias Grau ist Partner von CMS Deutschland und Simon C. Kirchner Rechtsanwalt bei der internationalen Wirtschaftskanzlei.
Die Fragen stellte Helmut Kipp.