Trotz kräftigem Lohnplus keine Lohn-Preis-Spirale
ast Frankfurt
Arbeitgeber und Gewerkschaften der Metall- und Elektroindustrie haben in ihrem Tarifkonflikt in der Nacht zum Freitag eine Einigung erzielt. Angesichts der hohen Inflation dürfen sich die Arbeitnehmer auf ein kräftiges nominales Lohnplus freuen: Der Tarifabschluss in Baden-Württemberg, der bundesweit übernommen werden soll, sieht 8,5% mehr Lohn in zwei Schritten sowie Einmalzahlungen von 3000 Euro netto vor. Deutschlands größte Gewerkschaft, die IG Metall, konnte damit sogar mehr durchsetzen als die geforderten 8%. Ökonomen rechnen dennoch nicht mit einer Lohn-Preis-Spirale.
„Nahtkante zur Eskalation“
Die Einigung sei an der „Nahtkante zur Eskalation des Konflikts“ gelungen, sagte Gewerkschaftschef Jörg Hofmann am Freitagmorgen. Bereits in den vergangenen drei Wochen hatten 900000 Beschäftigte sich immer wieder an Warnstreiks beteiligt. Hofmann zeigte sich mit dem Abschluss zufrieden. Er bringe den 3,9 Millionen Beschäftigten der Branche eine spürbare Entlastung angesichts der gestiegenen Preise. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Gewerkschaft damit einem realen Lohnminus zugestimmt hat, denn die Teuerungsrate in Deutschland liegt derzeit mit 10,4% so hoch wie seit 1951 nicht mehr und deutlich oberhalb des nun erzielten Abschlusses. Hauptgrund dafür sind die gestiegenen Energiekosten – besonders nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. Auch Lebensmittel kosten inzwischen deutlich mehr. Dass die Beschäftigten bis Juni 2023 auf die erste Erhöhung warten müssen, sorgte in sozialen Medien bereits für Protest und Austrittsankündigungen.
„Dieser Kompromiss ist angesichts der extrem schwierigen wirtschaftlichen Situation und der enormen Unsicherheiten sicherlich in vielen Punkten schmerzhaft und absolut an der Grenze dessen, was wir für die Mehrzahl unserer Mitglieder gerade noch für tragbar halten“, erklärte der Verhandlungsführer des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall, Harald Marquardt. Die Arbeitgeber setzen darauf, dass die deutsche Wirtschaft die derzeit einsetzende Rezession schnell überwindet und bis 2024 zu Wachstum zurückkehrt. Das Tarifpaket sei ein „Vorschuss auf hoffentlich bessere Zeiten“, erklärte Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf.
Mit ihrer Forderung nach 8% mehr Lohn hatte die IG Metall im Sommer eine Debatte über eine Lohn-Preis-Spirale losgetreten. Zahlreiche Stimmen aus Politik und Wirtschaft befürchteten, dass die hohe Inflation durch teure Tarifabschlüsse befeuert werden könnte. Und das wiederum zu weiteren noch höheren Tarifforderungen führen könnte.
Die Gefahr einer solchen Spirale sehen Ökonomen trotz des üppigen Lohnplus aber eher nicht. „8,5% plus Sonderzahlung ist hoch“, fasste etwa Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, zusammen. „Aber die Laufzeit über zwei Jahre macht es erträglich.“ Für die Europäische Zentralbank (EZB) sei das zwiespältig. Einerseits bedeute dies einen großen Lohndruck 2023. Andererseits sieht Schmieding aber keine Gefahr für eine Lohn-Preis-Spirale, da dem hohen Anstieg um 5,2% im Juni 2023 ein erträglicherer Anstieg von 3,3% im Mai 2024 folge. „Der Lohndruck nimmt im Zeitablauf wieder ab. Buckel statt Spirale.“
Ähnlich analysiert Carsten Brzeski, ING-Chefvolkswirt. Der Kompromiss werde zwar nicht ausreichen, um den durch die höhere Inflation verursachten Kaufkraftverlust vollständig auszugleichen, er mildere aber den Schaden ab. „Für die EZB bedeutet dies, dass die Zweitrundeneffekte gedämpft bleiben und dass ein geringerer, gedämpfter Inflationsdruck länger anhalten kann, als die Märkte derzeit glauben.“ Auch der Präsident des Ifo-Instituts in München, Clemens Fuest, erwartet keine Befeuerung der Inflation durch den Abschluss: „Die dauerhaften Lohnerhöhungen von gut 4% pro Jahr werden keine Lohn-Preis-Spirale auslösen.“
Kritik an Einmischung
Der Verband der Maschinenbauer (VDMA) übte nach dem Abschluss Kritik. Selten hätten Tarifverhandlungen unter so enormem Druck gestanden, sagte VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann. Ursache dafür sei nicht nur die hohe Inflation, sondern auch die Politik habe durch die Aufforderung an die Unternehmen, die Möglichkeit einer steuerfreien 3000-Euro-Pauschale zu nutzen, die Verhandlungen beeinflusst. „Hierfür mag es dieses Mal gute Gründe gegeben haben“, sagte Brodtmann und forderte: „Sogenannte Empfehlungen der Politik dürfen aber nicht zur Regel werden. Sie würden die Tarifautonomie beschädigen.“