Vorsicht, Trinkwasser!
Als der Aktienkurs des Haushaltswaren- und Arzneimittelherstellers Reckitt in der vergangenen Woche sackte, waren die Nachrichtenagenturen mit Erklärungen schnell zur Stelle. Die Reckitt-Aktie gebe nach, so war auf dem Ticker zu lesen, weil die Deutsche Bank vor dem „Risiko einer schwachen Grippe- und Erkältungssaison“ gewarnt habe. Ein anschauliches Beispiel, was herauskommt, wenn sich Journalisten die Perspektive von Unternehmen zu eigen machen. Dann wird der milde Verlauf der diesjährigen Grippesaison schnell zum Risiko.
Die klassischsten Exempel für solche sprachlichen Verzerrungen liefert die Berichterstattung über Themen der Versicherungswirtschaft. Mancher Journalistenkollege übernimmt da allzu eilfertig den Duktus der Branche. Etwa, wenn Aktuare vom „Langlebigkeitsrisiko“ berichten. Bei allem Verständnis für die Sorgen einer unzureichenden finanziellen Vorsorge von Menschen, die mehr als 100 Jahre alt werden: „Langlebigkeitsrisiko“ geht gar nicht. Für die Leser übrigens, die mit der Berufsbezeichnung Aktuar wenig anfangen können, sei an den Spott erinnert, mit dem die Versicherungsmathematiker oft überzogen werden: Aktuare, so lautet eine Redensart, sind Menschen, die eigentlich Buchhalter werden wollten, denen dafür aber der Esprit fehlte.
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Die Assekuranz ist auch an anderer Stelle sehr geschickt darin, Sachverhalte sprachlich umzudeuten. Das gilt etwa für die „Versicherungsprämie“. Dabei geht es schließlich um den Beitrag, den der Versicherungsnehmer berappen muss – warum der ausgerechnet „Prämie“ genannt wird, ist schwer nachvollziehbar.
Die Liste der Beispiele ließe sich fortsetzen. Etwa wenn ein Verlust in einen „negativen Überschuss“ schöngefärbt wird. Oder wenn – andersherum – ein funktionierender Wettbewerb vom Unternehmenssprecher als „eingeschränkte Preissetzungsmacht“ schlechtgeredet wird. Viele dieser Beispiele entsprechen der kalauerhaften Formulierungskunst eines Woody Allen, der für eines seiner Bühnenstücke den wundervollen Titel „Vorsicht, Trinkwasser!“ wählte. Dumm nur, dass es die PR-Profis im Gegensatz zum US-Filmregisseur meistens bierernst meinen.
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Die „Tageszeitung“, die „taz“, hat sich einmal den Spaß erlaubt, das Treiben der Euphemisten in den Presseabteilungen der Unternehmen aufs Korn zu nehmen. Sie hat seinerzeit versprochen, einen Tag lang nur „gute Nachrichten“ zu melden. So wurde etwa der Zweispalter „Alcatel streicht 800 Stellen“ umgetauft in „800 Alcatel-Beschäftigte haben künftig mehr freie Zeit“. Man mag das für zynisch halten. Dann aber sollte man auch ein Störgefühl entwickeln, wenn Unternehmen melden, dass sie Personal „freisetzen“.
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Die Praxis der aufhübschenden Umformulierung in der Wirtschaft findet natürlich auch bei der Betitelung von Positionen ihren Ausdruck. Für die Stelle des Leiters der Putzkolonne ist die Bezeichnung des Head of Facility Management ja auch wohlklingender. Und alle Inhaber von Positionen, für die dem Arbeitgeber nichts Gescheites einfällt, kann man ja zur Not als Vice President, Senior Associate oder Deputy Counsel adeln.
Durchaus kreativ sind Unternehmen seit Jahren auch, wenn es um ihre Selbstdefinition geht. Man wird schwerlich eine Firma finden, die sich als Hersteller von Pestiziden zu erkennen gibt, dann doch wohl eher als „Life Science Pioneer“. Und übrigens: Falls Sie sich je gewundert haben, warum in der Presse Adidas, Puma, Nike & Co. regelmäßig als „Sportartikler“ bezeichnet werden, obwohl der Duden diesen Begriff überhaupt nicht kennt, dann seien Sie aufs Presserecht verwiesen. Einige der Unternehmen bezeichnen sich gerne als Sportartikelhersteller, obwohl sie mit der Produktion im eigentlichen Sinne nicht mehr viel zu tun haben. Wenn aber Journalisten die Konzerne als reine Händler bezeichnen, drohen Unterlassungserklärungen. „Sportartikler“ ist da so etwas wie ein Kompromiss.