„Eine Versicherung auf das politische Handeln“
Stefan Paravicini.
Herr Hauser, Klimaschutzdifferenzverträge sollen die Transformation der Industrie beschleunigen. Wäre ein entsprechendes CO2-Preissignal nicht effizienter?
Der alleinige Weg über den CO2-Preis ist in Anbetracht der zeitlichen Dringlichkeit der Industrietransformation aus unserer Sicht nicht sinnvoll. Klimaschutzverträge (CCFDs) können kurzfristig wirken, indem sie die jetzt dringend erforderlichen Investitionen in klimafreundliche Technologien absichern. Mittelfristig muss die Industrietransformation dann durch die Reform des europäischen Emissionshandels (EU-ETS) und einen Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) getragen werden. Diese Umsetzung wird aber mehr Zeit in Anspruch nehmen.
CCFDs sind ein Überbrückungsinstrument, bis der CO2-Preis die Transformation übernimmt?
Der politische Prozess für die Reform des EU-ETS und die Einführung eines CBAM ist an regulatorisch definierte Fristen gebunden. Dass diese Maßnahmen kommen, gilt als gesetzt. Aber wir brauchen CCFDs als schnelles Absicherungsinstrument, damit wir keine Zeit verlieren. Die Verträge müssen so ausgestaltet sein, dass sie mit der zu erwartenden und nötigen Reform des EU-ETS vereinbar sind. Eine kohärente Bepreisung der CO2-Emissionen soll dann im weiteren Verlauf sicherstellen, dass der Markt klimafreundliche Grundstoffe nachfragt und sie zum Standard werden.
Wie müssen CCFDs ausgestaltet werden, damit sie ihre Wirkung möglichst effizient entfalten?
Die CCFDs haben mehrere Aufgaben. Einerseits sollen sie helfen, die Produktion der energieintensiven Grundstoffindustrien wie Stahl, Zement und Chemie in Richtung Klimaneutralität zu transformieren. Andererseits sollen sie auch dem branchenübergreifenden Aufbau von strategischer Infrastruktur für die Dekarbonisierung unseres gesamten Energie- und Wirtschaftssystems dienen – etwa für die Wasserstoffwirtschaft, erneuerbare Energien und den Transport sowie die Speicherung von CO2. Wenn wir bei der Ausgestaltung der Verträge beides berücksichtigen, erzielen wir einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen, der über die Transformation der Grundstoffindustrie hinausgeht.
Wie sollen die Verträge konkret geschlossen werden?
Zunächst muss der Transformationsbedarf von den politischen Entscheidungsträgern quantifiziert werden. Wir haben in einer Studie definiert, welche Investitionen aus unserer Sicht für den Umbau in den Sektoren Stahl, Zement und Ammoniak bis 2030 sinnvoll sind, auch mit Blick auf den Markthochlauf für Wasserstoff. Jetzt braucht es einen Prozess mit klaren Kriterien, in dem sich Unternehmen für CCFDs bewerben können. Dadurch entstehen Vergleichbarkeit und Wettbewerb. Bewerbungen mit Konzepten, die ökonomisch sinnvoll sind, weil CO2-Emissionen zu vergleichsweise geringen Kosten sinken und gleichzeitig positive Effekte in anderen Branchen erzielen, kommen dann in die engere Auswahl.
Erhalten die Projekte einen Standardvertrag?
Für die Umsetzung der ersten ausgewählten Projekte sollten die Verträge spezifisch die Mehrkosten der klimaneutralen Alternative gegenüber der marktgängigen Technologie quantifizieren und entsprechend absichern. Zugleich braucht es ein fortlaufendes Monitoring, um eine Überförderung auszuschließen. Auf Basis der gesammelten Erfahrungen können CCFDs dann bis zu einem gewissen Grad standardisiert werden.
Wie hoch ist der Governance-Aufwand?
Wirksame und ökonomisch klug ausgestaltete Klimaschutzverträge sind komplex. Daher sind sie aus unserer Sicht vornehmlich ein Instrument für strategisch wichtige Anlagen in der Grundstoffindustrie, welche als Anker für den Aufbau der strategischen Infrastruktur dienen können und bei denen viel CO2-Einsparpotenzial besteht.
Die Ampel plant für die Finanzierung mit Verpflichtungsermächtigungen über 20 Mrd. Euro. Wie hoch ist der Finanzierungsbedarf?
Das Design der Verträge und ihr Zusammenspiel mit anderen Politikinstrumenten entscheiden darüber, welche Mittel letztendlich benötigt werden. Wir gehen davon aus, dass es sich um Garantien handelt und dass die Höhe der tatsächlich benötigten Zahlungen über die Laufzeit der CCFDs durch ambitionierte Klimapolitik deutlich gesenkt werden kann. Am Ende steht das Ziel, dass klimafreundliche Technologien marktgängig sind und sich als Standard etablieren.
Wenn die Klimapolitik ihre Versprechen einlöst, fallen die Kosten für CCFDs geringer aus?
Die geltende Regulierung in Deutschland und Europa ist noch nicht in Einklang mit dem Ziel der Klimaneutralität. Deshalb müssen wir zwei Szenarien berücksichtigen. Eines mit hohen Kosten, wenn die Politik es nicht schafft, die erforderlichen Maßnahmen und Instrumente auf den Weg zu bringen. Und eines, bei dem die Kosten geringer sind, weil die Politik ihre Hausaufgaben gemacht hat. Wie groß der Spielraum ist, zeigen unsere Berechnungen, nach denen die Kosten für diese Technologieförderung in der Produktion von Stahl, Ammoniak und Zement zwischen 10 Mrd. und maximal 43 Mrd. Euro liegen können. Sie fallen umso geringer aus, je erfolgreicher der Aufbau von Infrastrukturen voranschreitet, je schneller die Kosten für erneuerbaren Strom und Wasserstoff gesenkt werden und je konsequenter die Reform der CO2-Bepreisung und der Aufbau grüner Leitmärkte umgesetzt werden. Deshalb sehen wir Klimaschutzverträge als eine Versicherung auf das erfolgreiche politische Handeln.
Was steht in der Police?
Die Regierung sagt den Unternehmen: Wir wissen, dass eure Investitionen nicht warten können, bis alle Reformprozesse abgeschlossen sind. Deswegen geben wir euch einen Klimaschutzvertrag, der die Risiken des politischen Handelns absichert. Wenn die Politik diese Risiken mindert – etwa durch die oben beschriebenen Reformen –, dann sinkt der Finanzierungsaufwand für den Staat und gleichzeitig entstehen Wettbewerbsvorteile für klimafreundliche Produkte. Schlussendlich liegt es aber in der Verantwortung der Unternehmen der Grundstoffindustrie, ihre Standorte zukunftsfest zu machen und sich als Vorreiter der klimaneutralen Transformation aufzustellen.
Das Interview führte