Türkei

Erdogan will Wähler gnädig stimmen

In der Türkei steigt der Mindestlohn weiter stark. Bei der Kompensation für die hohe Inflation hat die Regierung die Wahlen 2023 im Blick. Das gilt auch für ein neues Kreditprogramm, das nun Gestalt annimmt.

Erdogan will Wähler gnädig stimmen

rec Frankfurt

Die türkische Regierung erhöht einmal mehr drastisch den Mindestlohn, um die Folgen der galoppierenden Inflation für ihre Bürger abzumildern. Zum neuen Jahr steigt der Mindestlohn um circa die Hälfte. Es ist die dritte Anhebung dieser Größenordnung binnen zwölf Monaten. Außerdem legt sie ein neues Kreditprogramm auf, das offiziellen Angaben zufolge der gesamten Bevölkerung Zugang zu günstigen Krediten verschaffen soll. Derweil legt die Notenbank nach einer Reihe hoch umstrittener Zinssenkungen fürs Erste eine Pause ein.

Mit Blick auf die anstehenden Wahlen ist die Wirtschaftspolitik von herausgehobener Bedeutung. In spätestens einem halben Jahr stehen in der Türkei Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan strebt eine weitere Amtszeit an, die von ihm geführte Regierungspartei AKP will ihre Mehrheit verteidigen. Um das zu verhindern, hat sich ein halbes Dutzend Oppositionsparteien zu einem Bündnis zusammengeschlossen. Sie gehen mit Erdogans Wirtschafts- und Währungspolitik hart ins Gericht.

Während die Wirtschaft robust wächst, ist die Inflation außer Kontrolle. Nach offiziellen Angaben liegt sie über 80%. Es gibt allerdings Hinweise, dass die amtlichen Daten geschönt sind und die Teuerung in Wahrheit viel eklatanter ist. Im Dezember wird die Inflationsrate auf Jahressicht zwar deutlich fallen. Das ist aber im Wesentlichen ein statistischer Effekt, der von dem Lira-Kollaps im Dezember 2021 herrührt. Als die Lira vor zwölf Monaten rapide an Wert verlor, verteuerte dies schlagartig die Einfuhren. Dieser sogenannte Basiseffekt fällt nun weg. Trotzdem ist weiterhin mit Inflationsraten im mittleren zweistelligen Bereich zu rechnen. Die Inflation hat sich also nochmals verschärft.

Lohnuntergrenze verbreitet

Die immensen Kaufkraftverluste will die Regierung nun kompensieren. Dafür hebt sie den Mindestlohn auf brutto 10008 Lira an. Das ist ein Plus von knapp 55%. Vor einem Jahr waren es noch weniger als 3600 Lira. Bereits zum Januar 2022 war der Mindestlohn um circa die Hälfte gestiegen. Zwischenzeitlich hat die Regierung den Mindestlohn im Juni außer der Reihe ein weiteres Mal angehoben (siehe Grafik).

Das ist für Millionen Beschäftigte von großer Bedeutung: Schätzungsweise zwei Fünftel beziehen den Mindestlohn. Die Regierung hält mit der Anpassung in etwa Schritt mit der allgemeinen Lohnentwicklung: Jüngsten Daten des Statistikamts Turkstat zufolge haben sich die Stundenlöhne in der Türkei binnen zwölf Monaten fast verdoppelt. Das nährt Sorgen vor einer Lohn-Preis-Spirale.

Notenbankchef Sahap Kavcioglu rechnet nach eigenem Bekunden nicht damit, dass die stark gestiegenen Löhne die Inflation befeuern. Die Zentralbank hat auf Geheiß Erdogans den Leitzins auf 9% abgesenkt, obwohl Experten das Gegenteil für angebracht halten. Am Donnerstag tastete sie den Leitzins nicht weiter an. Sie ist auf andere Weise darauf bedacht, die Wirtschaft zu unterstützen. So erwartet Muhammet Mercan, Türkei-Experte der niederländischen Bank ING, weitere „regulatorische Schritte zur Lockerung der Kreditbedingungen“. Notenbank und Finanzministerium haben Banken und Unternehmen bereits eine Reihe an Auflagen gemacht. So sind Banken gezwungen, ihre Fremdwährungsbestände zurückzufahren, wollen sie nicht höhere Mindestreserven vorhalten. Exporteure müssen einen Teil ihrer Einkünfte in Lira umtauschen, um weiterhin an Kredite zu kommen. Alles mit dem Ziel, die Landeswährung zu stabilisieren, ohne den Leitzins erhöhen zu müssen.

Unterdessen stattet das Finanzministerium große Staatsbanken mit umgerechnet circa 3,3 Mrd. Dollar frischem Kapital aus, um bald ein großes Kreditprogramm zu lancieren. Das berichten Nachrichtenagenturen. Erdogan hat ein Paket im Umfang von umgerechnet etwa 11 Mrd. Dollar angekündigt. Finanzminister Nureddin Nebati zufolge soll es „allen Bürgern“ offenstehen.

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