Euro-Wirtschaft schafft Mini-Plus
ba Frankfurt
Die Euro-Wirtschaft hat einen besseren Jahresabschluss 2022 hingelegt als erwartet. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der 19 Länder des gemeinsamen Währungsraums – also noch ohne das Anfang Januar beigetretene Kroatien – hat im vierten Quartal um 0,1% im Quartalsvergleich zugenommen (siehe Grafik). Ökonomen, die mit einem Schrumpfen um 0,1% gerechnet hatten, gilt die erwartete Winterrezession damit allerdings nur als verschoben. Denn die Aussichten bleiben trübe, auch wenn die befürchtete Gasmangellage vorerst ausgeblieben ist, die Inflation den Höhepunkt wohl überschritten hat und sich der Lieferkettenstress etwas entspannt hat.
Angesichts der zahlreichen Herausforderungen im vergangenen Jahr, so urteilt Christian Melzer von der DekaBank, „kann sich das Ergebnis beim BIP-Wachstum in Euroland für 2022 von 3,5% mehr als sehen lassen“. Im Vergleich zum Vorjahresquartal legte das Euro-BIP 1,9% zu.
Details zum vierten Quartal liefert Eurostat bei der ersten Schnellmeldung nicht. Laut den Länderdaten aus Deutschland, Frankreich und Spanien etwa hat insbesondere der private Konsum die Wirtschaft gebremst. Auch wenn sich die Konsumlaune zuletzt von Rekordtiefs aus verbessert hat – die hohe Inflation und die Sorgen über die kommenden Energierechnungen nagen an der Kaufkraft der Verbraucher. Jörg Angelé, Senior Economist beim Assetmanager Bantleon, etwa erwartet, dass die privaten Konsumausgaben um etwa 1,0% zum Vorquartal gesunken sind. Dies wäre mit Ausnahme der Corona-Pandemie der stärkste Konsumrückgang seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 1995.
Die „Zahlen zu den Einzelhandelsumsätzen im Dezember für Deutschland (−5,3%) und Frankreich (−1,3%, jeweils zum Vormonat) legen nahe, dass der private Konsum Ende des vergangenen Jahres regelrecht weggebrochen ist“ – und angesichts des erheblichen Rückgangs der real verfügbaren Einkommen geht Angelé nicht davon aus, „dass den Verbrauchern das Geld zu Beginn dieses Jahres bereits wieder locker sitzt“. Der deutsche Handelsverband HDE etwa erwartet für 2023 das stärkste Umsatzminus seit der globalen Finanzkrise im Jahr 2009 (siehe Bericht Seite 10). Die Länderdaten zeigen, dass aber auch die Binnennachfrage insgesamt schwach ausgefallen sein dürfte, wohingegen die Exporte gestützt haben – allerdings vor allem wegen deutlich schwächer ausgefallener Importe.
Als weiteren Belastungsfaktor benennen Ökonomen den aggressiven Zinsanhebungspfad von EZB und Fed. Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank, warnt etwa, dass „die Absatzmärkte in Übersee deshalb schwach bleiben werden, was der europäischen Industrie nicht gut bekommen wird“. Commerzbank-Ökonom Christoph Weil erinnert daran, dass „die Aktivität in der Bauwirtschaft wegen der höheren Finanzierungskosten bereits im dritten Quartal stagniert“ hat. Auch die Unternehmensinvestitionen dürften durch die höheren Refinanzierungskosten unter Druck kommen. Die vorerst weiter schwache Konjunkturdynamik wird die EZB aber nicht von ihrem Zinserhöhungskurs abbringen – der EZB-Rat dürfte am Donnerstag einen weiteren Schritt von 50 Basispunkten beschließen.
Unter den vier Euro-Schwergewichten gab es keine großen Wachstumsunterschiede: Während das BIP in Deutschland um 0,2% und in Italien um 0,1% geschrumpft ist, hat es in Frankreich um 0,1% und in Spanien um 0,2% zugelegt. In diesen Raten spiegelt sich die unterschiedlich hohe Abhängigkeit der jeweiligen Industrie von Energie, insbesondere Gas, wider. Den höchsten Anstieg unter den Euro-Ländern verzeichnete aber Irland mit +3,5%. Dieser aber, so erklärt Martin Moryson, Chefvolkswirt Europa der DWS, sei „durch die zahlreichen ausländischen Firmen, die dort aus Steuergründen ihren Sitz haben, verzerrt“. „Ohne Irland wäre das Wachstum in der Eurozone sogar auf 0% zurückgegangen“, ergänzt ING-Ökonom Bert Colijn. Laut Bantleon-Volkswirt Angelé hat sich das irische BIP seit 2015 verdoppelt, wohingegen es im Euroraum um 9,5% gewachsen ist.
Wertberichtigt Seite 2