EZB ringt um richtige Antwort
Wie umgehen mit dem unerwarteten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Staatsanleihekäufen? Diese Frage treibt die Euro-Notenbanker um. Eigentlich betrachten sie den Europäischen Gerichtshof als für sich maßgeblich. Andererseits will man den Konflikt mit Karlsruhe aber wohl auch nicht verschärfen.Von Mark Schrörs, FrankfurtDas Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den EZB-Anleihekäufen hat gestern auch viele Notenbanker überrascht und für Aufregung sowie hektisches Treiben hinter verschlossenen Türen gesorgt – nicht zuletzt in Frankfurt bei Europäischer Zentralbank (EZB) und Bundesbank. Die Karlsruher Richter haben unerwartet das 2015 gestartete Staatsanleihekaufprogramm PSPP (Public Sector Purchase Programme) für teilweise grundgesetzwidrig erklärt und der EZB drei Monate Zeit gegeben, um nachzubessern und die Verhältnismäßigkeit des Programms nachzuweisen – sonst werde man der Bundesbank die Teilnahme untersagen.Der EZB-Rat beriet gestern Abend in einer eilends anberaumten Schaltkonferenz über das Urteil. Anschließend hieß es in einer knappen Erklärung, das Urteil sei “zur Kenntnis genommen” worden. Der EZB-Rat sei nach wie vor fest entschlossen, “alles zu tun, was notwendig sei”. Zugleich wurde betont, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) PSPP für rechtens erklärt habe. Bereits in der Vergangenheit hatte die EZB stets erklärt, dass für sie als europäische Institution das maßgebliche Gericht der EuGH sei. Der EuGH hatte PSPP im Dezember 2018 – nach einer Vorlage von Fragen durch das Bundesverfassungsgericht – gebilligt.Bundesbankpräsident Jens Weidmann hatte vor dem Treffen mit Blick auf das Ultimatum aus Karlsruhe gesagt: “Der EZB-Rat hat nun eine Frist von drei Monaten, seine Abwägungen der Verhältnismäßigkeit des Programms darzulegen. Die Erfüllung dieser Vorgabe unter Beachtung der Unabhängigkeit des EZB-Rats werde ich unterstützen.”Zumindest einige in der EZB sind der Ansicht, dass der EZB-Rat auf die Aufforderung Karlsruhes eingehen sollte, um den Konflikt nicht zu verschärfen. Zugleich gibt es aber auch Sorgen, dass selbst damit dann nicht das Ende erreicht sei. Zudem könnte ein juristisch problematischer Präzedenzfall geschaffen werden, heißt es.Gleichwohl scheint irgendeine Art von Reaktion auf das Karlsruher Ersuchen wahrscheinlich – wenn auch noch offen ist, wie diese genau aussehen könnte. In der Tat ist nicht ganz klar, wie die EZB die Verhältnismäßigkeit zwischen dem währungspolitischen Ziel von PSPP – eine mittelfristige Inflationsrate von knapp 2 % zu erreichen – und den wirtschaftspolitischen Auswirkungen nachweisen soll. Tatsächlich hat die EZB eine ganze Reihe von Studien zu den geschätzten Effekten auf Wachstum und Inflation sowie zu den Vor- und Nachteilen veröffentlicht. Der Begriff der Verhältnismäßigkeit lässt zudem nach Einschätzung von Rechtsexperten viel Interpretationsspielraum (siehe auch Interview auf dieser Seite). Bundesbank droht KonfliktUnklar ist unter Experten auch, was genau passieren würde, wenn Karlsruhe der Bundesbank auftragen würde, keine Anleihen mehr zu kaufen. Denn sie wäre daran wohl nicht automatisch gebunden. Schließlich geriete sie in einen Normenkonflikt. Der EuGH hält das Kaufprogramm schließlich für voll vereinbar mit EU-Recht. Auch gibt es kontroverse Positionen darüber, inwieweit der Bundesbankchef im EZB-Rat durch Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts weisungsgebunden sein kann (siehe BZ vom 5. Mai).Während die Karlsruher Richter wegen der aus ihrer Sicht mangelnden Überprüfung der Verhältnismäßigkeit oder zumindest des fehlenden Nachweises ein Überschreiten der währungspolitischen Kompetenz der EZB attestieren, sehen sie zumindest keinen Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Das ist ein Teilerfolg für die EZB. Die Richter machten aber klar, dass sie strikte Beschränkungen sehen wollen – wie etwa die zeitliche Befristung, die Orientierung am EZB-Kapitalschlüssel und Kaufobergrenzen für einzelne Emittenten. Diese Vorgaben hatte teils auch der EuGH betont. Das könnte also künftig die Flexibilität der EZB einschränken.Was das Urteil – zumindest indirekt – für das jüngst aufgelegte Pandemie-Notfallkaufprogramm PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) bedeutet, ist noch nicht ganz klar: Einerseits dürfte die Verhältnismäßigkeit angesichts des historischen Wirtschaftseinbruchs infolge der Corona-Pandemie leichter zu begründen sein. Andererseits hat der EZB-Rat für PEPP etwa die Kaufobergrenzen ausgesetzt und weicht zumindest temporär deutlich vom Kapitalschlüssel ab, um gezielt Ländern wie Italien zu helfen. Das könnte die EZB mit Blick auf das Verbot der monetären Staatsfinanzierung in Erklärungsnöte bringen. Nicht wenige Beobachter erwarten neue Klagen in Karlsruhe gegen PEPP. Nach dem Urteil ist also wohl vor dem Urteil.