VERFASSUNGSKLAGE

Gegen die Bulldozer

In der Bewältigung der Euro-Krise sind schon oft die Maßstäbe verloren gegangen. Und zwar nicht nur im Hinblick auf die Summen, die zur "Euro-Rettung" herangezogen worden sind. Schließlich ging es nicht mehr "nur" um Milliarden, sondern um Billionen...

Gegen die Bulldozer

In der Bewältigung der Euro-Krise sind schon oft die Maßstäbe verloren gegangen. Und zwar nicht nur im Hinblick auf die Summen, die zur “Euro-Rettung” herangezogen worden sind. Schließlich ging es nicht mehr “nur” um Milliarden, sondern um Billionen Euro und weit darüber hinaus. Auch das Recht, die einzige substanzielle Klammer für die Eurozone, wurde in Bulldozermanier niedergewalzt, um den Euro-Rettern freie Bahn zu geben: Stabilitätskriterien wurden aufgeweicht oder ganz gestrichen, das Bail-out-Verbot von Staaten umgedeutet in ein Bail-in-Gebot, Risiken vergemeinschaftet, nationale Parlamente kaltgestellt, und die EZB wird als Multifunktionstool genutzt – auch zur eigentlich verbotenen Staatsfinanzierung.Natürlich wurden die damit einhergehenden Risiken nie an die große Glocke gehängt. Vielmehr wurde von Solidarität geredet und Entscheidungen mit politischer Alternativlosigkeit begründet. Oft holte man sich erst im Nachhinein die Zustimmung in den Parlamenten ab, als es kein Zurück mehr gab. Viele Risiken wurden schlicht verleugnet oder mit europapolitischer Prosa zugedeckt. Und der Rest wurde in der geldpolitischen Sphäre abgeladen, in die niemand hineinschauen kann – und darf wegen der Unabhängigkeit der EZB. Mit dem Argument, den “geldpolitischen Transmissionsmechanismus” reparieren zu müssen, kann die EZB schließlich fast jede genuin politische Entscheidung begründen.Es ist das Verdienst des CSU-Politikers Peter Gauweiler, mit seinen Verfassungsklagen die europapolitischen Bulldozer gestoppt zu haben, bevor sie im Schwung der Euro-Rettung auch noch die demokratischen Kernbestandteile plattgemacht hätten, welche die “Wertegemeinschaft”, die sich Europa nennt, eigentlich ausmachen. Karlsruhe verlangte mehr Rechte für das Parlament in den neuen Euro-Institutionen und eine Vetoposition für Deutschland, um einen unkontrollierbaren “Haftungsautomatismus” zu verhindern. Ansonsten wäre das Königsrecht des Parlaments ausgehöhlt worden: das Budgetrecht.Schon mit der Klage gegen das OMT-Anleihekaufprogramm der EZB stieß Gauweiler indes an eine rechtliche Grenze: das Bundesverfassungsgericht gab ihm argumentativ zwar Recht, der Europäische Gerichtshofs stellte sich aber auf die Seite der EZB. Das dürfte auch bei der neuen Klage gegen das QE-Anleihekaufprogramm der EZB so geschehen. Zwei Gerichte, zwei inkompatible Denkschulen. Auch Europa scheint an einer imaginären Grenze angekommen zu sein.