LEITARTIKEL

Höchste Zeit zum Handeln

Die Unternehmen machen Gewinn, entlassen aber gleichwohl Mitarbeiter und verlagern Arbeitsplätze ins Ausland: Lufthansa und Deutsche Börse. Beschäftigte werden einem Fernsehbericht zufolge menschenunwürdig behandelt: Amazon. Händler und Manager...

Höchste Zeit zum Handeln

Die Unternehmen machen Gewinn, entlassen aber gleichwohl Mitarbeiter und verlagern Arbeitsplätze ins Ausland: Lufthansa und Deutsche Börse. Beschäftigte werden einem Fernsehbericht zufolge menschenunwürdig behandelt: Amazon. Händler und Manager erhalten grotesk hohe Millionen-Boni entweder für Geschäfte, die ihren Arbeitgeber längst ins Zwielicht gebracht haben, oder nur, um nach ihrem Abschied die Konkurrenz nicht zu beraten: Deutsche Bank und Novartis. Und eine OECD-Studie zeigt, dass Konzerne durch kluge Verrechnungen kaum mehr Steuern zahlen, während Normalarbeiter in der Regel auf eine Steuerlast von 30 % und mehr kommen: Starbucks, Apple & Co.Jede einzelne Nachricht mag erklärbar sein. Es geht um die Sicherung der Ertragskraft. Der Novartis-Manager hat auf die Millionengage inzwischen verzichtet. Im Fall der Steuertricks bewegen sich die Akteure sogar im Rahmen des geltenden Rechts. Und wieder andere Vorwürfe mögen nur Einzelfälle betreffen. Zurück bleibt indes ein ungutes Gefühl. Es verfestigt sich der Eindruck, dass unser ökonomisch-gesellschaftliches Gemeinwesen aus dem Gleichgewicht gekommen ist, ihm die menschliche Kategorie entwunden wurde, die Spitzen der Wirtschaft nur noch den Eigennutz im Blick haben. Inzwischen reagiert die Politik: Die Debatte über Managergehälter kommt in Fahrt, das Thema Leiharbeit wird auf die Tagesordnung gesetzt, Erbschaft-, Vermögen- und Reichensteuer werden debattiert und SPD sowie Grüne wollen die soziale Gerechtigkeit im Wahlkampf zum Dreh- und Angelpunkt machen.Dass dies in weiten Teilen der Bevölkerung durchaus verfangen kann, liegt in den Abstiegsängsten der Mittelschicht und einem immanenten diffusen Unzufriedenheitsgefühl begründet. Denn die ökonomischen Prozesse der jüngsten Zeit – Stichwort Finanzkapitalismus, Globalisierung und Hartz-Reformen – haben mächtige tektonische Verschiebungen mit sich gebracht. Sowohl der Armutsbericht der Bundesregierung als auch eine Bertelsmann-Studie zeigen das beunruhigende Bild, dass die Mittelschicht in Deutschland – die tragende Säule des gesellschaftlichen Lebens – bröckelt. Das hat etwas mit dem Steuersystem zu tun (Stichwort: Progression), aber auch mit der Lohnentwicklung, weil die Gehaltsdifferenzen immer größer werden. Während die Gewerkschaften harsch vor “überzogenen Lohnerhöhungen” gewarnt werden, scheint das für die obere Managerriege nicht zu gelten.Doch die Gesellschaft will das nicht weiter hinnehmen. Dass jetzt auch die FDP Mindestlöhne akzeptiert, ist ein Indikator für das veränderte Stimmungsbild. Die Gefahr ist groß, dass aus der diffusen Unzufriedenheit eine politische Dynamik entsteht, die auch unser Wirtschaftssystem hinwegspült. Erste Anzeichen sind in den Steuervorschlägen von SPD, Grünen und Linken sichtbar. Das wird sich in weitere Bereiche fortsetzen. Der Boden dazu ist bereitet: Eine Untersuchung des ARD-Deutschland-Trends zeigt: 77 % der Bürger sind inzwischen der Meinung, dass die Soziale Marktwirtschaft Reiche reicher und Arme ärmer macht.Es ist daher höchste Zeit, dass sich die Verteidiger unserer Wirtschaftsordnung formieren. Die Politik muss die Erosion der Mittelschicht stoppen. Die Steuerpolitik ist hier nur ein Ansatzpunkt. Und “die Wirtschaft” darf nicht mehr die Augen verschließen und in Beißhemmung verfallen, wenn sie Verfehlungen und Exzesse in ihren Reihen beobachtet. Die Öffentlichkeit interpretiert Schweigen als Duldung. Reine Bekenntnisse zu “Social Responsibility” reichen auch nicht mehr. Frühere Versprechungen eines “Kulturwandels” wurden ja auch nicht umgesetzt.Wirtschaft und Gesellschaft müssen einen neuen Konsens anstreben, in dessen Zentrum das Streben nach Leistungs- und Chancengerechtigkeit stehen muss. Dass die Bevölkerung dazu bereit ist, zeigt eine Allensbach-Umfrage: Forderungen nach Verteilungsgerechtigkeit, wie sie immer wieder in der Politik aufkommen, rangieren bei den Deutschen eher unter “ferner liefen”. Darauf lässt sich bauen. Die Bürger sind verständiger, als in vielen Arbeitgeberbüros unterstellt wird. Diese Haltung gilt es in den Unternehmensspitzen vorzuleben, die innerbetrieblichen Strukturen danach auszurichten, die eigenen (Gehalts-)Grenzen, die eigene gesellschaftliche Verantwortlichkeit zu definieren und dies glaubwürdig umzusetzen. Geschieht dies nicht, könnten sonst am Ende des politischen Prozesses schon bald Gesetze stehen, welche die Umverteilung zur obersten Maxime erklären.——–Von Stephan Lorz ——-Gehaltsexzesse, Fehlverhalten von Managern und kurzsichtige Profitmaximierung haben das Ansehen der Sozialen Marktwirtschaft beschädigt. Es droht ihre Demontage.