Kläger machen in Karlsruhe Druck

Streit über EZB-Anleihekäufe geht in die nächste Runde - Akteneinsicht und Urteilsvollzug gefordert

Kläger machen in Karlsruhe Druck

Drei Monate nach seinem spektakulären Urteil muss sich das Bundesverfassungsgericht erneut mit dem Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank beschäftigen: Mehrere Kläger wollen Einsicht in geheime Dokumente – und den Ausstieg der Bundesbank erzwingen. An den Erfolgsaussichten gibt es Zweifel.Von Stefan Reccius, FrankfurtKurz vor Ablauf einer wichtigen Frist geht der juristische Schlagabtausch über die billionenschweren EZB-Anleihekäufe in die nächste Runde. Drei Monate nach dem spektakulären Urteil des Bundesverfassungsgerichts wenden sich nach Informationen der Börsen-Zeitung mehrere der 18 Kläger erneut an Karlsruhe. Ein erster Antrag auf Erlass einer Vollstreckungsanordnung ist am Freitag beim Bundesverfassungsgericht eingegangen. Das bestätigte ein Sprecher auf Anfrage.In einem ersten Schritt wollen der CSU-Politiker Peter Gauweiler und eine Klägergruppe um AfD-Gründer Bernd Lucke, der die Partei 2015 verlassen hat, per Eilantrag Dokumente einsehen, die die Europäische Zentralbank (EZB) via Bundesbank nach Berlin geschickt hat. Sie sollen die Verhältnismäßigkeit der Anleihekäufe belegen, sind aber unter Verschluss. Anträge, den Ausstieg der Bundesbank aus dem Kaufprogramm zu besiegeln, dürften folgen.In dem Rechtsstreit geht es um das 2015 begonnene “Public Sector Purchase Programme” (PSPP). Die Karlsruher Richter hatten am 5. Mai geurteilt, die EZB habe ihr währungspolitisches Ziel – eine Inflationsrate von knapp 2 % – nicht mit den wirtschaftspolitischen Auswirkungen abgewogen und so ihre Kompetenzen überschritten. Seitdem hängt das Damoklesschwert der Verfassungswidrigkeit über den Anleihekäufen.Via PSPP haben EZB, Bundesbank und andere Euro-Notenbanken Staatsanleihen im Wert von 2,26 Bill. Euro erworben. Die Richter gaben der EZB drei Monate Zeit für den Nachweis der Verhältnismäßigkeit. Sonst müsse die Bundesbank aussteigen. Diese Frist läuft Mittwoch aus. Nun sieht alles danach aus, dass sich das Bundesverfassungsgericht, das nach Auskunft eines Sprechers von selbst nicht aufs Neue aktiv würde, anschließend erneut inhaltlich mit dem PSPP auseinandersetzen muss.Die EZB hat auf das Urteil reagiert, auch wenn sie betonte, allein das Urteil des Europäischen Gerichtshofs sei bindend, der das PSPP im Dezember 2018 billigte. So ließ sie Bundesregierung und Bundestag acht Dokumente zukommen. Dabei handelt es sich zum Teil um öffentlich zugängliche Dokumente wie Protokolle von EZB-Ratssitzungen und Stellungnahmen vor Gericht. Andere hat die EZB hingegen als vertraulich eingestuft. Nach Informationen der Börsen-Zeitung handelt es sich dabei unter anderem um Mitschriften einer EZB-Ratssitzung im Jahr 2014, als noch keine Protokolle veröffentlicht wurden. In jenem Jahr legte die EZB ihr Anleihekaufprogramm auf. Problem VerhältnismäßigkeitBei der Verhältnismäßigkeitsprüfung lässt das Urteil viel Interpretationsspielraum. Der EU-Abgeordnete Sven Simon, der es begrüßte, sagte der Börsen-Zeitung: “Ich halte das Urteil für vollumfänglich erfüllt.” Der CDU-Mann und Berichterstatter des EU-Parlaments für den Jahresbericht zur EZB hatte sich selbst mit der Bitte um Aufklärung an die EZB gewandt. Die von EZB-Chefin Lagarde unterzeichnete Antwort sei “überraschend detailreich” ausgefallen. Darin verweist die EZB darauf, dass sie in Szenarioanalysen stets prüfe, ob ihre Ziele mit dem Einsatz anderer Instrumente mit geringeren Nebenwirkungen zu erreichen wären. Auch mit Blick auf die übersandten Dokumente hält Simon die geforderte Prüfung für “hinreichend”. Er gehe deshalb “davon aus, dass die Anträge keine Chance haben werden”. Europarechtler Schalast sagt, er könne sich “nicht vorstellen, dass das Bundesverfassungsgericht den Konflikt weiter eskalieren wird”. Aber so habe er auch vor dem 5. Mai gedacht.