Mehr Kreditaufnahme trotz Schuldenbremse
Von Angela Wefers, Berlin
Die Schuldenbremse ist für die künftige Koalition aus SPD, Grünen und FDP einer der größten Klötze, die ihren großen Plänen auf dem Weg in eine klimaneutrale Wirtschaft im Weg stehen. Hinter den Kulissen gibt es vielfältige Überlegungen, wie die Finanznot behoben werden kann. Dabei ist diese zum Teil selbstgemacht. Zwar muss die künftige Regierung mit steigenden Sozialausgaben rechnen, die aus einer alternden Gesellschaft resultieren, aber es sind vor allem eigene Ausgabenwünsche, die sie ins Dilemma führen. Die Grünen haben im Wahlkampf versprochen, in einer Dekade 500 Mrd. Euro zusätzlich in den Klimaschutz zu investieren. Damit würde der jährliche Investitionshaushalt des Bundes auf 100 Mrd. Euro verdoppelt, obwohl schon jetzt mangels Planungskapazität nicht alle Gelder abfließen. Die FDP steht dafür, die Schuldenbremse wieder einzuhalten. Dies soll aktuell mit dem Bundeshaushalt 2023 wieder geschehen, nachdem die Schuldenbremse wegen der Coronakrise in diesem Jahr und 2020 vom Parlament ausgesetzt worden war. Für 2022 soll das noch einmal wiederholt werden.
Zu den Ideen, die Ifo-Chef Clemens Fuest ventilierte, zählt der Versuch, dass sich der Bund im nächsten (Ausnahme-)Jahr noch einmal ohne Limit der Schuldenbremse mit neuen Krediten vollpumpt, um aus diesen Reserven später zu schöpfen. Die Mittel könnten in einem Sondervermögen wie dem Energie- und Klimafonds geparkt werden. Die Lösung birgt aber nicht nur verfassungsrechtliche Risiken, die der neuen Regierung gleich auf die Füße fallen könnten, sie ist auch nicht nachhaltig. Die Schuldenbremse verlangt – anders als ihre Vorgängerregelung im Grundgesetz –, dass die übermäßige Verschuldung in einer Ausnahmesituation, in der die Schuldenbremse ausgesetzt wird, in späteren Jahren zurückgezahlt werden muss. Andernfalls würde die Finanzlast auf künftige Generationen verlagert und deren Finanzspielraum eingeschränkt. Im Übrigen wird der Bund durch diese Verpflichtung erstmals tatsächlich Schulden zurückführen. Denn auch in Zeiten der Haushaltsüberschüsse seit 2014 flossen die Gelder nicht in den Schuldenabbau, sondern in eine Reserve für die Flüchtlingskrise. Diese Mittel sollen nun von 2023 an helfen, die Schuldenbremse wieder einzuhalten.
Schwierige goldene Regel
Eine weitere Überlegung der Ampel weist zurück in diese Zeit der Vorgängerregelung der Schuldenbremse. Sie unterscheidet in konsumtive und investive Ausgaben. Die sogenannte „goldene Regel“ erlaubte eine Verschuldung in Höhe der Investitionen des Bundes. Nur bei einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts konnte die Regierung davon abweichen. Ein Zwang zur Rückzahlung der überbordenden Schulden war damit nicht verbunden. Die goldene Regel folgte dem Gedanken, dass Investitionen zu höherem Wachstum und mehr Steuereinnahmen führen, aus denen der Staat den Zins schultern und die Schulden zurückzahlen kann. Grünen-Co-Chef Robert Habeck skizzierte im Deutschlandfunk-Interview vor wenigen Tagen, dass die Ampel in diese Richtung denkt. Habeck differenzierte zwischen konsumtiven und investiven Ausgaben. Exemplarisch nannte er Sozialausgaben, Gehälter oder Mittel für verschuldete Kommunen als konsumtiv. „Dafür sollten keine Schulden und Kredite aufgenommen werden“, sagte er. Anders sieht es aus für „Gelder, die das Vermögen der öffentlichen Hand und das volkswirtschaftliche Vermögen in Deutschland bereichern“. Habeck nannte in einer Aufzählung neue Infrastrukturen wie Bahnlinien, Schulen, Bibliotheken – oder Schwimmbäder und Spielplätze. Auch „Gelder, die eine klimaneutrale Industrie schaffen“, seien kreditfinanzierbar, da sie „Werte für die nächsten Jahrzehnte“ schafften.
An diesen Aufzählungen zeigt sich, wie schwer die Abgrenzung zwischen konsumtiven und investiven Ausgaben des Staates ist. Tatsächlich geht es nicht um Beton und Stein. Künftige Produktivität müsste das Kriterium sein. Bei einer neuen Bahnlinie, die eine Region erschließt, ist dies viel klarer als bei einer Bibliothek oder einem Spielplatz. Schon bei der alten Schuldenregelung war der Interpretationsspielraum groß, wie eine Investition definiert wird. Die Regel war damit sehr anfällig und wurde deshalb durch die Schuldenbremse abgelöst.
Einen neuen Ansatz hat das Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW in die Debatte eingebracht. Die Wissenschaftler haben eine neue „Zukunftsquote“ konzipiert und Mittel identifiziert, die erst in mittlerer oder fernerer Zukunft einen Nutzen stiften. Für das Jahr vor der Pandemie, 2019, kommen sie auf 18,3% oder 65,3 Mrd. Euro – also mehr, als aktuell an Investitionen ausgewiesen wird. Aber auch dieser Ansatz birgt erhebliches Interpretationspotenzial.
Ganz konkret wird es am Donnerstag. Dann legen die Steuerschätzer ihre Prognose für die nächsten Jahre vor. Damit bekommen die potenziellen Koalitionäre Zahlen, mit denen sie operieren können.