Angst am Himmel über Amerika
Am Himmel über Amerika macht sich Angst breit
In den USA und Kanada kommt es gehäuft zu öffentlichkeitswirksamen Luftfahrtunglücken. Von der Trump-Regierung angestoßene Entlassungen bei der Aufsicht FAA schüren die Sorge von Passagieren um die Flugsicherheit.
Von Alex Wehnert, New York
Über dem Toronto Pearson International Airport herrscht am 17. Februar Schneetreiben, es sind die Überbleibsel eines Sturms, der in den vorangegangenen zwei Tagen über die Provinz Ontario hinweggezogen ist. Die Maschine der Endeavor Air aus Minneapolis, eine unter dem Banner der Muttergesellschaft Delta fliegende Bombardier CRJ900LR, nimmt zunächst noch stetigen Kurs auf die Landebahn – dann folgt ein heftiger Aufsetzer. Die Schwanzflosse und ein Flügel brechen ab und gehen in Flammen auf, das Flugzeug rutscht über den weiß gepuderten Asphalt, dreht sich nach rechts und kommt schließlich kopfüber zum Stehen. Die schockierenden Videoaufnahmen des Unfalls machen schnell auf Social Media die Runde, die 76 Passagiere und vier Crewmitglieder können ihr Glück kaum fassen, mit dem Leben davongekommen zu sein. Die 21 Verletzten werden binnen vier Tagen aus dem Krankenhaus entlassen.
Gehäufte Unglücke
Der Unfall stellt allerdings nur eins von mehreren Luftfahrtunglücken dar, die Amerika im bisherigen Jahr erschüttern – und leider nicht immer so glimpflich ausgehen. Ende Januar stieß ein Militärhelikopter über dem Potomac River mit einer Maschine der American Airlines zusammen, die aus Wichita, Kansas, kam und sich im Anflug auf den Ronald Reagan National Airport bei Washington, D.C. befand. Dabei kamen alle 67 Menschen an Bord der beiden Luftfahrzeuge ums Leben, es handelt sich somit um das tödlichste Flugunglück in den Vereinigten Staaten seit 23 Jahren.
Kurz darauf stürzt ein Learjet 55 der Flugambulanz Jet Rescue auf dem Weg nach Mexiko in ein Wohnviertel von Philadelphia ab. An Bord befinden sich ein Mädchen, das zuvor über Monate am Shriners Children’s Hospital in der größten Stadt Pennsylvanias behandelt wurde, ihre Mutter und vier weitere Personen. Der Crash kostet insgesamt sieben Leben, 19 weitere Menschen werden durch die Explosion verletzt. Der nächste Schock folgt, als am 6. Februar eine einmotorige Cessna Caravan der Bering Air eine Stunde nach dem Start in Unalakleet, Alaska vom Radar verschwindet. Die Küstenwache findet das Wrack der Pendlermaschine nach eingehender Suche auf dem Meereis, der Pilot und die neun Passagiere überleben nicht.
Die Unfälle sorgen dafür, dass sich am Himmel über Amerika zunehmend Angst breitmacht. Und die Administration von US-Präsident Donald Trump droht das Vertrauen in die Flugsicherheit nun noch zu untergraben. Denn im Zuge der Einsparmaßnahmen des von Milliardär Elon Musk geführten Department of Government Efficiency (DOGE) setzte die Luftfahrtaufsicht FAA über das vorvergangene Wochenende 400 Mitarbeiter vor die Tür, die weniger als ein Jahr lang bei der Behörde beschäftigt waren.
Der Ende Januar angetretene US-Verkehrsminister Sean Duffy beeilte sich darauf, resultierende Sorgen vor einer Unterbesetzung in der Flugsicherung zu dämpfen. „Kein einziger Fluglotse oder sicherheitsrelevanter Mitarbeiter wurde entlassen“, schrieb der ehemalige Reality-TV-Start auf Social Media. Die Gewerkschaft Professional Aviation Safety Specialists widersprach dem unmittelbar: Mehr als 130 der ausgemusterten Beschäftigten hätten Fluglotsen und die für die Luftfahrtfahrtsicherheit zuständigen Technologien direkt oder indirekt unterstützt.
Vorwurf blinder Kürzungen
Darunter seien Wartungstechniker, die Kontrolleinrichtungen der Flugsicherung reparierten, oder IT-Spezialisten, die für Updates an digitalen, von Piloten für die Navigation genutzten Karten zuständig seien. Entlassene Mitarbeiter erheben den Vorwurf, dass sich weder das Verkehrsministerium noch die FAA-Führung der Bedeutung der gestrichenen Jobs bewusst und bei den Kürzungen blind nach Kostenstelle vorgegangen seien.
Duffy betont, die 400 vor die Tür gesetzten Beschäftigten fielen gegenüber der gesamten Personaldecke der FAA, die mit 45.000 Mitarbeitern als größte zivile Behörde innerhalb der US-Regierung gilt, kaum ins Gewicht. Luftfahrtexperten halten dagegen, dass für die Flugsicherung insbesondere im aktuellen Umfeld jeder Mitarbeiter zähle.
Die Behörde laufe schließlich trotz einer offensiveren Einstellungspolitik unter Trumps Amtsvorgänger Joe Biden auf einen Personalmangel zu. Von den 2.000 qualifizierten Bewerbern, die das Lotsenprogramm im 2024 eingestellt hat, dürfte gemäß dem statistischen Mittel während der Trainingszeit in den drei Jahren nach Jobantritt mindestens die Hälfte ausscheiden. Damit reichten die hinzugewonnen Kräfte kaum aus, um die 1.100 Fluglotsen zu ersetzen, die entweder regulär in den Ruhestand gegangen oder wegen der enormen Belastung durch den stressigen und verantwortungsvollen Job frühzeitig abgetreten seien.
Zugleich ringe die FAA schließlich mit einer überalterten technischen Ausstattung und einem deutlich gestiegenen Verkehrsaufkommen am Himmel über Nordamerika. Die Behörde überwacht laut eigener Aussage pro Jahr über 16,4 Millionen Flüge oder im Durchschnitt rund 45.000 pro Tag – also einen pro Mitarbeiter. Gerade der überfüllte Luftraum über der Bundeshauptstadt Washington bereitet Piloten und Sicherheitsexperten bereits seit Jahren Sorge.
Der Reagan National Airport, an dem sich auch der Katastrophen-Crash Ende Januar ereignete, wurde einst gebaut, um bis zu 15 Millionen Passagiere pro Jahr abfertigen zu können. Inzwischen reisen über ihn binnen zwölf Monaten 25 Millionen Menschen. Im Aviation Safety Reporting System der Luft- und Raumfahrtbehörde Nasa, in der Besatzungsmitglieder freiwillig, anonym und vertraulich Beschwerden einreichen können, finden sich dabei wiederholt Berichte über Beinahe-Zusammenstöße in Washington.
Bereits im vergangenen Mai flog ein Militärhelikopter dort demnach nur 91 Meter unter einem Passagierjet hindurch und löste damit eine Kollisionswarnung im Cockpit aus. Der Pilot gab an, vom Tower nie über den in unmittelbarer Nähe des Flugzeugs befindlichen Hubschrauber unterrichtet worden zu sein, wie Recherchen der Nachrichtenagentur Associated Press zeigen. In der Woche vor dem tödlichsten US-Flugunglück seit 23 Jahren mussten mindestens zwei Passagiermaschinen den Landeanflug abbrechen, weil Militärhelikopter im Weg waren. Kampfpiloten betonen zwar, dass ein Training unter realistischen Bedingungen, also in einem vollen Luftraum, für Militärflieger wichtig sei. Doch dass Army und FAA mit Übungsflügen mitten in der Nacht solch gewaltige Risiken für eine große Zahl an Zivilisten in Kauf nehmen, trifft bei Luftfahrtexperten und Politikern wie dem republikanischen Senator Josh Hawley (Missouri) auf Unverständnis.
Doch der Himmel über Washington droht noch voller zu werden. Denn der Kongress hat im vergangenen Jahr Beschränkungen gelockert, durch die Reagan National lediglich Nonstop-Flügen mit Abflug- oder Zielort in einem Radius von etwas über 2.000 Kilometern um Washington offenstand. Erklärte Absicht ist es, mehr Verbindungen in Westküsten-Metropolen wie Seattle und San Francisco und andere Langstrecken-Optionen zu schaffen. Schon bei Einreichung des Vorschlags 2023 meldeten Kritiker Sicherheitsbedenken an.
Die bis Januar amtierende stellvertretende FAA-Chefin Katie Thomson betonte, dass die Entlassungen bei der Behörde das angespannte Flugverkehrssystem zusätzlich unter Druck setzten. Das Vorgehen der Regierung sei „extrem, rücksichtslos und gefährlich“, betonte sie. Die Kontroverse um die FAA-Stellenstreichungen reiht sich damit ein in einen allgemeinen Aufschrei um die Einmischung des nicht gewählten, von Trump mit umfangreichen Kompetenzen ausgestatteten Privatmanns Musk bei Regierungsinstitutionen. Dessen Vorgehen bei Finanzregulatoren wie dem Consumer Financial Protection Bureau oder der Einlagensicherung FDIC droht laut Kritikern den Verbraucherschutz und die Finanzstabilität zu schwächen.
Airlines unter Druck
Das Vertrauen in die Flugsicherheit hat bereits gelitten. In Befragungen des National Opinion Research Center der University of Chicago gaben nach dem Crash in Washington zwei von zehn erwachsenen Amerikanern an, Flugreisen für sehr oder zumindest einigermaßen unsicher zu halten, im vergangenen Jahr waren es lediglich 12%. Zugleich streben kleinere Fluggesellschaften nach Konsolidierung, um im Wettbewerb mit der großen Vierergruppe aus United, Delta, American und Southwest nicht völlig den Anschluss zu verlieren. Dass sich am Himmel über Amerika zunehmend Angst ausbreitet, droht sie hart zu treffen.