Tokio

Bier ist nicht immer Bier

Japans bekannteste Biermarke heißt ulkigerweise „Asahi Super Dry“ – obwohl man mit dem Adjektiv „trocken“ eigentlich Wein beschreibt. „Super Dry“ ist seit dem Verkaufsstart 1987 ein Hit in Kneipen und Supermarkt(kühl)regalen. (Getränkemärkte kennt...

Bier ist nicht immer Bier

Japans bekannteste Biermarke heißt ulkigerweise „Asahi Super Dry“ – obwohl man mit dem Adjektiv „trocken“ eigentlich Wein beschreibt. „Super Dry“ ist seit dem Verkaufsstart 1987 ein Hit in Kneipen und Supermarkt(kühl)regalen. (Getränkemärkte kennt man in Japan nicht.) Auch in vielen japanischen Restaurants in Deutschland finden Gäste diese Sorte auf der Karte.

Für sein wichtigstes Produkt lässt sich der Hersteller Asahi immer wieder Neues einfallen. Die jüngste Marketing-Idee entstand als Reaktion auf den Heimtrend in der Pandemie. Die Ingenieure entwickelten eine spezielle Dose, um einen Eindruck frisch gezapften Biers wie in der Kneipe zu erzeugen. Beim Anheben der Öffnungslasche zieht der Nutzer den ganzen Dosendeckel ab. Dank der besonderen Oberfläche der Innenwand entsteht eine frische Schaumblume. Die Dose dient zugleich als Trinkgefäß, da ihre Bauweise den gefährlich scharfen Metallrand versteckt. Die Nachfrage nach den 340 Milliliter „Fassbier“ mit dem Label „Frisch“ zum Preis von 217 Yen (1,64 Euro) ist so groß, dass Asahi im April die Auslieferung vorübergehend stoppen musste, um die Produktion hochzufahren.

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Damit hören die japanischen Experimente mit Biergetränken nicht auf. Ausländern versetzt die Angebotsvielfalt einen Schock. Was ist Bier, was Imitat? Meine Faustregel: Je teurer die Dose, desto eher handelt es sich um „richtiges“ Bier. 2 Euro sollte eine kleine Dose schon kosten, dann schmeckt der Inhalt wahrscheinlich „echt“. Denn je teurer das Produkt, desto malziger und damit bieriger mundet es, weil der japanische Staat Braugetränke nach dem Malzgehalt besteuert. Bei mehr als zwei Drittel Malzanteil vor dem Fermentieren ist der Steuersatz am höchsten. Diese Malzmenge erfüllt auch westliche Geschmacksansprüche recht gut. Das meine ich gar nicht abschätzig: Von gutem Bier verstehen die japanischen Getränkeriesen wirklich viel. Asahi zum Beispiel besitzt die ausländischen Leckerbiere Pilsener Urquell, Grolsch und Victoria Bitter.

Aber 2 Euro für eine Dose „richtiges“ Bier ist vielen Japanern zu teuer. Also haben die Brauer die Sorte „Happoshu“ erfunden. Wörtlich übersetzt heißt das „Schaumwein“. Gemeint ist ein bierähnliches Getränk mit einem Malzanteil unter 25%. Für europäische Zungen schmeckt dieser Bölkstoff schon erheblich gewöhnungsbedürftiger. Aber die Sorte setzte sich am Markt so schnell durch, dass die Hersteller – nicht gehindert durch ein lästiges Reinheitsgebot wie in Deutschland – schließlich nicht davor zurückgeschreckt sind, ganz ohne Malz zu „brauen“, um die Steuer komplett zu umgehen. Diese Kaltschalen firmieren als „Dai-San“ (dritte Biere).

Danach ließen sich die Brauereien in ihrem Neuerungsgeist gar nicht mehr aufhalten. Seit 2009 brachten sie eine Vielzahl von malzlosen und dazu noch alkoholfreien „Bieren“ auf den Markt. Etwa das All-Free von Kirin. Auf der Dose steht Alkohol 0,00%, Kalorien 0,0%, Kohlenhydrate 0,00% und Purine 0,00%. Aber der Kunde will betrogen werden – mit einer gezeichneten Gerstenähre und den Aufschriften „Aus der Bierfabrik“ und „Getränk mit Biergeschmack“. Das klingt verdächtig nach dem Einsatz von viel Chemie. Doch bei einem Preis von unter 1 Euro bleiben die Dosen trotz aller Verdachtsmomente nicht lange im Regal stehen, sodass sich diese Kategorie von „Bier“ inzwischen ebenfalls etabliert hat.

Die Zukunft gehöre eindeutig Braugetränken mit weniger oder gar keinem Alkohol, erklärte Asahi kürzlich, in Japan wie im Ausland. Laut seinem neuen Geschäftsplan will der weltweit siebtgrößte Brauer den Anteil dieser weniger berauschenden Sorten in den nächsten vier Jahren auf 20% seiner Produktmischung erhöhen. In Europa verkaufen sich die alkoholfreien Getränke Birell und Peroni Libera aus dem Konzernportfolio schon länger gut. In Japan hat Asahi vor zwei Monaten die Marke „Beery“ mit 3,5% Alkohol lanciert. Der japanische Staat reagiert wiederum auf seine Weise: Die Steuersätze auf alle Biergetränke werden seit Oktober 2020 schrittweise bis 2026 auf 47 Yen (0,36 Euro) je 350-Milliliter-Dose vereinheitlicht – unabhängig vom Malzgehalt.