Die Grillsaison startet
Notiert in Brüssel
Die Grillsaison startet
Von Detlef Fechtner
Der ehemalige EU-Kommissar Günther Oettinger gehört normalerweise nicht zu denen, die wie ein HB-Männchen in die Luft gehen. Aber in Ausnahmefällen ist auch seine Zündschnur kurz. Dann nämlich, wenn jemand behauptet, EU-Kommissare seien überhaupt nicht demokratisch legitimiert und kontrolliert, dann redet sich Oettinger schnell in Erregung – und erinnert daran, dass er als angehender EU-Kommissar einst mehrere Stunden beinharter Kreuzverhöre im EU-Parlament überstehen musste.
Genau diese Hearings stehen in den nächsten Tagen den Nach-Nachfolgern Oettingers bevor. In Brüssel startet wieder die „Grillsaison“. Alle designierten EU-Kommissare und vorgeschlagenen EU-Vizepräsidenten müssen sich zwischen 4. und 12. November jeweils drei Stunden lang den Fragen der EU-Abgeordneten stellen.
Keine Formsache
Wer glaubt, bei den Anhörungen handele es sich um eine reine Formsache, irrt. Erfahrungsgemäß kegelt das EU-Parlament ein oder zwei Kandidaten im Zuge der Hearings aus dem Rennen und wirbelt damit die zuvor sorgsam ausgetüftelte Balance mächtig durcheinander – zwischen Männern und Frauen, Nord und Süd, West und Ost, großen EU-Mitgliedern und kleinen sowie zwischen Sozialdemokraten, Liberalen und Christdemokraten.
Die Lettin Ingrida Urde fiel einst bei den Abgeordneten durch, weil sie Ungereimtheiten bei der Finanzierung früherer Wahlkampagnen nicht überzeugend ausräumen konnte. Die Bulgarin Rumjana Schelewa stieß wegen dubioser Geschäfte und ebensolcher Geschäftsfreunde ihres Ehemannes auf Vorbehalte im EU-Parlament. Der Italiener Rocco Buttiglioni provozierte mit Aussagen über die Rolle der Frau und über Homosexuelle Widerstand gegen seine Berufung zum EU-Kommissar. Die Slowenin Alenka Bratusek fiel bei den Abgeordneten in Ungnade, weil sie zu Themen rund um Energie und Klimaschutz nicht ausreichend sprechfähig war, obwohl sie gerade diese Zuständigkeiten im Kollegium übernehmen sollte. Und die Französin Sylvie Goulard beging den Fehler, erklären zu wollen, warum sie aufgrund von Ermittlungen gegen sie zwar ihren Ministerposten in Frankreich abgegeben hatte, aber kein Problem für ihre Kandidatur als EU-Kommissarin erkannte.
Mindestens zwei Wackelkandidaten
In den nächsten zwei Wochen dürften vor allem der Ungar Oliver Varhely und der Italiener Raffaele Fitto um den Segen des EU-Parlaments bangen. Fitto gilt als Vertrauter von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ist allein schon deshalb für einige eine „persona non grata“. Für ihn könnte allerdings sprechen, dass potenzielle Alternativen noch EU-kritischer sein dürften. Der Ungar Varhely wiederum, der bereits EU-Kommissar ist, hat sich den Unbill vieler Abgeordneter spätestens in dem Moment zugezogen, als er im Glauben, sein Mikrofon sei abgeschaltet, in einer Plenarsitzung des EU-Parlaments zum Westbalkan über die Abgeordneten spottete, die sich seinerzeit gerade zu Wort gemeldet hatten: „Wie viele Idioten sind noch übrig?“