LEITARTIKEL

Die Machtprobe

Auch das ist eine Folge der Pandemie: das wachstums- und ertragsstarke Geschäft der Internet-Riesen hat nochmals zusätzlichen Schub bekommen, während Unternehmen in anderen Branchen um ihre Existenz fürchten. Dies hat mit dazu beigetragen, dass die...

Die Machtprobe

Auch das ist eine Folge der Pandemie: das wachstums- und ertragsstarke Geschäft der Internet-Riesen hat nochmals zusätzlichen Schub bekommen, während Unternehmen in anderen Branchen um ihre Existenz fürchten. Dies hat mit dazu beigetragen, dass die Behörden diesseits und jenseits des Atlantiks das Gebaren von Facebook, Google und Co. genauer in Augenschein nehmen, um sicherzustellen, dass deren Stärke dem Gemeinwohl bestenfalls nützt – durch eine adäquate zielgerichtete Besteuerung – oder zumindest nicht schadet – durch eine effiziente Kartellaufsicht.Während der Fortschritt in der Steuerdiskussion durch vielfältig divergierende Interessen gehemmt wird und eine einheitliche Linie auf Ebene der OECD nicht absehbar ist, liegen Marktaufsicht und Übernahmekontrolle in Europa und den USA bei zwei durchaus mächtigen Behörden. Aber auch diese tun sich schwer, ihrer Aufgabe gegenüber den Internet-Riesen gerecht zu werden. So hat vor allem die US-Kartellaufsicht FTC die komplexen Herausforderungen bei der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts auf digitalen Märkten lange Zeit ausgeblendet. Die von der EU kritisierte Torwächterrolle von Google und Apple im Internet mit ihren beiden global dominierenden Plattformen wurde von den amerikanischen Behörden ebenso ignoriert wie der unbändige Datenhunger und die Datensammlung von Facebook oder Amazon samt der daraus entstehenden Marktmacht und den Missbrauchsgefahren.Das böse Erwachen kommt spät, die Machtprobe wird heftig. Die Brachialrhetorik der FTC bei ihrer Klage gegen Facebook, bei der sie gleich bis zum Äußersten geht und die Rückabwicklung der Übernahmen von Whatsapp und Instagram fordert, zeigt, wie tief die Behörde jahrelang geschlafen hat. Die gewiefte Übernahmestrategie von Facebook, junge innovative Unternehmen aufzukaufen, die zu gefährlichen Wettbewerbern zu werden drohten; sie stattdessen klug zu integrieren, um die eigene Marktmacht abzusichern, war zuvor auch bei anderen zu beobachten. Der Kauf von Youtube durch Google ist hier stellvertretend für zahlreiche andere Transaktionen zu nennen. Unternehmerische Weitsicht machte sich dabei die Defizite des Kartellrechts im Hinblick auf die Digitalwirtschaft zunutze: Wesentliches Maß der Dinge in der Übernahmekontrolle waren und sind Umsatzschwellen. Solche strategisch wichtigen Transaktionen blieben so komplett unter dem Radar . Dabei hätte schon die milliardenschwere Bewertung von Start-ups mit Umsätzen in allenfalls dreistelliger Millionenhöhe – der Kaufpreis für Whatsapp betrug einst 20 Mrd. Dollar – aufhorchen lassen müssen.Die Gefahren wurden nicht erkannt. Und so blieb das Kartellrecht bis heute in der Digitalwirtschaft ein stumpfes Schwert. Dieses nachzuschärfen, indem die Rückabwicklung genehmigter und Jahre zurückliegender Transaktionen ins Auge gefasst wird, ist in einem Rechtsstaat mit freiheitlicher Wirtschaftsordnung schwerlich denkbar – jedenfalls nicht ohne Ausgleich für die Facebook-Aktionäre. Denn der Internetkonzern verweist zu Recht darauf, über Jahre in die Entwicklung von Whatsapp und Instagram investiert zu haben. Überdies wäre eine Entflechtung der mächtigen Internetkonzerne als letztes Mittel ein ebenso zähes wie zeitlich aufwendiges Verfahren mit ungewissem Ausgang.Wichtiger wäre, die Fusionskontrolle zeitnah auf neue Füße zu stellen, die den Regeln der Internetwirtschaft Rechnung tragen. Dabei wird man um eine adäquate Bewertung von Daten nicht umhinkommen, denn sie sind der Rohstoff für die ertragreichen Digitalprodukte und -services der Konzerne. Ob der Vorstoß der EU gegen die marktbeherrschende Stellung der Torwächter, auf deren Plattformen Tausende Unternehmen und Millionen von Europäern für ihre Arbeit und ihre sozialen Kontakte angewiesen sind, zielführend ist, muss sich noch zeigen. Auflagen gegen Selbstbevorzugung und die Verpflichtung, bestimmte Datensätze mit Rivalen und Aufsichtsbehörden zu teilen, dienen dem Schutz des Wettbewerbs. Dass diese Vorkehrungen nicht im luftleeren Raum stehen, zeigen Verstöße von Google oder Amazon, gegen die die EU vorgegangen ist. Just fahren auch die Staatsanwälte von zehn US-Bundesstaaten schwere Geschütze gegen Google auf, wegen Manipulation im Werbegeschäft. Jedoch wird sich ein sachgerechtes Verfahren dafür nicht leicht finden lassen. Hier steht der behördliche Zugriff auf Daten im Konflikt mit dem Eigentumsrecht. Die Nachschärfung der Kartellinstrumente eilt, aber einfach ist sie nicht.——Von Heidi RohdeIm Umgang mit Facebook, Google und Co. kämpfen die Kartellwächter an vielen Fronten: Nicht nur Marktmacht, auch Übernahmekontrolle wurde sträflich vernachlässigt.——