Draghi muss es richten
Die Kommunalwahlen am Sonntag und Montag waren der erste Stimmungstest in Italien seit dem Amtsantritt von Premierminister Mario Draghi. Bei allen Besonderheiten und trotz der extrem niedrigen Wahlbeteiligung zeigte sich eine klare Tendenz: Die Populisten der 5-Sterne-Bewegung und der rechtsnationalen Lega von Matteo Salvini, die in schwere Flügelkämpfe verstrickt ist, sind daraus deutlich geschwächt hervorgegangen. Die Italiener wünschen sich offenbar weniger Streit und mehr Stabilität. Es sind die oft totgesagten Sozialdemokraten der PD, die einen klaren Wahlsieg davongetragen haben und künftig in vielen großen Städten des Landes regieren werden – auch wenn es etwa in Rom oder Turin noch Stichwahlen gibt.
Insofern haben die Wahlen Draghis Regierung gestärkt. Er stand zwar nicht selbst zur Wahl, doch gehören nun – mit Ausnahme der postfaschistischen Fratelli d’Italia – alle großen Parteien seiner Allparteienregierung an. Italien ist seit Draghis Amtsantritt im Februar ein anderes Land. Zumindest in der Wahrnehmung. Mit der Quasi-Impfpflicht, die Schritt für Schritt ausgeweitet wird, ist die Quote der vollständig Geimpften auf 80% gestiegen und die Corona-Pandemie weitgehend unter Kontrolle. Draghi hat einen glaubhaften Plan für die Verwendung der Mittel aus dem europäischen Aufbauprogramm erarbeitet, begleitet von einer umfangreichen Reformagenda. Die Investitionen wachsen in diesem Jahr um 15%, die Wirtschaft um 6%. Italien genießt wieder Vertrauen im In- und Ausland, und das neue Selbstbewusstsein spiegelt sich selbst im Sport wider: Neben der Fußball-Europameisterschaft haben italienische Mannschaften und Einzelsportler etwa bei den Olympischen Spielen mehr Medaillen als zuvor geholt.
Doch der Wahlkampf hat gezeigt, dass die Person Draghis, dessen Hauptunterstützer die Sozialdemokraten sind, die starken Gegensätze in Italiens Parteienlandschaft nur übertüncht. Diese könnten sich schon bald wieder zeigen. Denn Draghi ist nur vorübergehend Premierminister, ist nie gewählt worden und regiert unter wiederholtem Einsatz der Vertrauensfrage, um die zerstrittenen Parteien im Zaum zu halten. Er wird längstens bis zu den Parlamentswahlen 2023 im Amt bleiben – vorausgesetzt, er kandidiert nicht im nächsten Frühjahr für das Amt des Staatspräsidenten und es kommt zu vorgezogenen Wahlen.
Doch was kommt nach ihm? Er ist der Garant für die Stabilität und Verlässlichkeit der Politik. Wer soll nach ihm die Regierung führen, die strukturellen Reformen umsetzen, zu denen sich das Land verpflichtet hat? Wobei sich die Reformen bereits verzögern und Draghi auch nicht nur Reformer ist. So wird ernsthaft diskutiert, ob es auch künftig großzügige Vorruhestandsregelungen geben wird – obwohl sich das schon aus demografischen und haushalterischen Gründen verbietet. Auch die geplanten Hilfen für die Bank Monte dei Paschi di Siena oder die Alitalia-Nachfolgerin Ita vertragen sich nicht mit einer verantwortungsvollen und zukunftsgerichteten Politik.
Italien kann zwar auf eine solide industrielle Struktur vor allem mit einem stabilen Mittelstand bauen – es ist das zweitgrößte Industrieland der Eurozone. Doch das Land ist fragil, und Draghi hält es weiter für nötig, eine expansive Haushaltspolitik zu betreiben mit Hilfen für Unternehmen und Privathaushalte sowie Steuersenkungen. Er allein steht dafür, dass Italien die Herausforderungen meistert, und er allein hat das Vertrauen der Italiener und der Märkte. Dabei profitiert er von Faktoren, die er nicht bestimmen kann. Die Europäische Zentralbank garantiert dem Land trotz seiner gigantischen Schulden extrem niedrige Zinsen und kauft Staatsanleihen auf – und die EU hilft mit sehr günstigen Krediten und Zuschüssen von mehr als 200 Mrd. Euro. Draghi hofft, dass damit sowie mit den Reformen die Wirtschaft dauerhaft anspringt und dieses Wachstum hilft, die Schulden reduzieren zu können. Seine Ziele diesbezüglich sind jedoch wenig ehrgeizig: Erst 2030 sollen die Schulden auf den schon immens hohen Vorkrisenstand von 134% fallen.
Draghi wird nur kurz bleiben und muss diese Zeit gut nutzen. Sein Ziel ist es auch, mit seiner Autorität und im Bündnis mit Frankreich, Spanien, Portugal und anderen Südländern zu verhindern, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt in der bisherigen Form wieder Gültigkeit erlangt. Er strebt außerdem eine Verstetigung einer gemeinsamen europäischen Schuldenaufnahme an. Das aber geht nur, wenn da auch die europäischen Partner mitziehen. Eine Schlüsselrolle dabei spielt die künftige Bundesregierung.