Im BlickfeldKreuzfahrtschiffbauer in Not

Meyer Werft benötigt schnellen Ausweg aus der Krise

Das Passagieraufkommen bei den Kreuzfahrtreedereien erreicht kurz nach der Corona-Pandemie bereits neue Bestmarken. Doch der Schiffbauer Meyer Werft in Papenburg steckt in der Krise. Und die Zeit drängt.

Meyer Werft benötigt schnellen Ausweg aus der Krise

Meyer Werft benötigt schnell Ausweg aus der Krise

Der Boom bei Kreuzfahrten setzt sich nach der Coronakrise fort. Doch der Schiffbauer aus Papenburg ist in Not. Nun drängt die Zeit.

Von Carsten Steevens, Hamburg

Sie haben Namen wie „Disney Wish“, „Carnival Jubilee“ oder „Odyssey of the Seas“: Kreuzfahrtschiffe, die in den vergangenen Jahren von der Meyer Werft in Papenburg konstruiert und gefertigt wurden. Im Emsland entstehen Luxusliner renommierter Reedereien. Die Schiffsbauwerft mit den zwei größten überdachten Baudocks gilt als modernste weltweit. Das Unternehmen, das 2018 das erste Kreuzfahrtschiff ablieferte, das mit einem emissionsarmen Flüssigerdgasantrieb ausgerüstet ist, sieht sich als Technologieführer in der Branche. Doch gegenwärtig befindet sich dieses Unternehmen in einer ernsten Lage. Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) spricht von einer „existenziellen Krise“.

Politik alarmiert

Politik und die Gewerkschaft IG Metall sind alarmiert. Es geht um die Zukunft einer fast 230 Jahre alten Werft mit mehr als 3.000 Mitarbeitern und tausenden weiteren Zulieferbeschäftigten in einer strukturschwachen Region. Die Zeit drängt, die Finanzierung ist nur bis September gesichert. Bis dahin muss eine langfristige Finanzierung, die bis 2028 reichen soll, stehen. Insgesamt ist von rund 2,8 Mrd. Euro die Rede, um auch die anderen Standorte wie Turku in Finnland weiterzuführen. Davon sollen etwa 2,4 Mrd. Euro auf die Schiffs- bzw. Bauzeitfinanzierung entfallen, um sicherzustellen, dass dauerhaft gebaut werden kann. Zudem geht es − aktuellen Aussagen zufolge − um neues Eigenkapital über 400 Mill. Euro.

Rekorde bei Passagierzahlen

Die Krise der Meyer Werft, neben Fincantieri in Italien und der französischen Chantiers de l’Atlantique einer der drei großen Kreuzfahrtschiffbauer in Europa, mutet auf den ersten Blick paradox an. Während Werften in Europa im Handelsschiffbau gegenüber asiatischen Werften schon seit Jahren keine Rolle mehr spielen, wird das Geschäftsmodell Kreuzschifffahrt weiterhin als intakt angesehen. Nach dem pandemiebedingten Rückgang um mehr als 80% verglichen mit 29,7 Millionen im Jahr 2019 liegen die Buchungszahlen inzwischen bereits wieder auf Vorkrisenniveau. Das Geschäft mit Schiffsreisen hat sich für die Mitgliedsreedereien des Branchenverbandes CLIA (Cruise Lines International Association) nach dem Ende der Coronakrise schnell erholt − schneller als andere Urlaubsformen. Verbandsangaben zufolge erreichte das globale Passagieraufkommen im vorigen Jahr mit 31,7 (i.V. 20,4) Millionen einen neuen Rekordstand, während der Tourismussektor insgesamt um 12% unter den Vergleichszahlen von 2019 blieb. Und die CLIA geht von einer Fortsetzung des Aufschwungs aus: Für 2024 wird ein Plus auf 34,7 Millionen Kreuzfahrtpassagiere avisiert. Die 40-Millionen-Marke dürfte aktuellen Prognosen zufolge 2027 in Sichtweite kommen.

„Die Kreuzfahrt hat sich rasant von der Pandemie erholt, schon 2023 konnten wir mehr Gäste auf unseren Schiffen begrüßen als im Jahr 2019“, sagt CLIA-Deutschlandchef Georg Ehrmann. Der Trend setze sich „zusehends fort, was uns die finanziellen Möglichkeiten gibt, neue hochmoderne und fortschrittliche Schiffe in Auftrag zu geben sowie neue Technologien für Umwelt- und Klimaschutz schrittweise in der gesamten Flotte zu implementieren“.

Reedereien ordern wieder

Die Urlaubsform Kreuzfahrt, so stellt auch der Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) in seinem jüngsten Jahresbericht fest, habe durch die Pandemie nichts von ihrer Attraktivität eingebüßt. Die Reedereien kehrten in ihre Erfolgsspur zurück, und inzwischen würden auch wieder erste Neubaubestellungen auf den europäischen Werften platziert.

Laut dem Branchenverband CLIA stehen bis 2028 aktuell 37 Schiffe in den Orderbüchern. Doch gehören die Nachwirkungen der Pandemie zu den externen und internen Faktoren, die für die Misere der Meyer Werft angeführt werden. Reedereien streckten Aufträge. Neue Schiffe wurden verspätet abgenommen. Deswegen seien auch Zahlungen später eingegangen, so Niedersachsens Wirtschaftsminister Lies.

Zu hohe Kosten

Als Problem erweist sich in diesem Zusammenhang die Systematik bei der Schiffsfinanzierung mit 20% Anzahlung und einer Rate von 80% erst bei Ablieferung von Schiffen, die inzwischen 1,5 Mrd. Euro und mehr kosten. Das eingeschwungene Modell, dass die Werft die Bauphase mit Anzahlungen aus Neubestellungen und Krediten finanziert, war nach Beginn der Pandemie nicht mehr tragfähig. Nicht zuletzt in Anbetracht anderer Bedingungen für die staatlich unterstützten Konkurrenzwerften in Italien und Frankreich wird zur Reduzierung der Finanzierungskosten für die Meyer Werft auch über andere Modelle wie zehn 10-%-Raten je nach Baufortschritt diskutiert.

Dass Kosten etwa für Materialien ohne Anpassungsklauseln in Neubauverträgen in die Höhe schnellten, wurde dem Schiffbauer ebenso zum Verhängnis wie Managementfehler, die international tätige Werft nicht wie einen internationalen Konzern mit allen notwendigen Strukturen geführt zu haben. Um eine Restrukturierung der von einem neuen Management mit CEO Bernd Eikens und dem Restrukturierungsspezialisten Ralf Schmitz geführten Werft wird seit Monaten gerungen. Wohl vorläufige Einsparziele, die einen Abbau von 440 Stellen vorsehen, stehen im Raum. Noch in diesem Monat wird mit einem Ende März bei Deloitte in Auftrag gegebenen IDW-S6-Sanierungsgutachten gerechnet, das Banken und Dritten aufzeigen soll, wie die Fortführungsprognose für die Zukunft aussieht.

Zuversicht im Management

Das Management zeigt sich zuversichtlich. Intern wird den Beschäftigten mit Verweis auf die starke Stellung der Werft am Markt, positive Signale in Kundengesprächen, auf ein konstruktives Miteinander seitens der Politik sowie auf vertrauensvoll angelaufene Gespräche mit der Gewerkschaft Mut gemacht. Doch vieles steht für eine Stabilisierung der Werft, die in diesem und im kommenden Jahr dem Vernehmen nach unterausgelastet sein wird, noch in der Schwebe. Die Bereitschaft von Banken etwa, die bei Landesbürgschaften für einen Anteil von 80% bei Finanzierungen selbst 20% der Risiken übernehmen müssten. Was beihilferechtskonform möglich wäre, muss ebenfalls geklärt werden. Offen ist auch die Rolle des Bundes.

Der soll einspringen. „Wir brauchen den Bund als Partner, um Lösungen zu finden, um eine dauerhafte Stabilität der Werft zu haben“, so Niedersachsens Wirtschaftsminister Lies. Die Meyer Werft habe eine Bedeutung für ganz Deutschland. Sollte sich in den kommenden Wochen kein privater Investor finden, der für Eigenkapital sorgt, dürften die Hoffnungen auf dem Bund liegen, sich zumindest temporär zu engagieren.

Hoffnung auf den Staat

„Für uns ist entscheidend, dass es einen verantwortungsvollen Investor gibt“, sagt Daniel Friedrich, Bezirksleiter IG Metall Küste. Das könne auch ein privater Dritter sein. „Allerdings sehen wir nicht, dass in der Kürze der Zeit ein umfangreicher Verkaufsprozess möglich ist.“ Durch eine Beteiligung des Bundes und/oder des Landes Niedersachsen würde Zeit gewonnen, um den Betrieb zu stabilsieren und neu aufzustellen. „Unabhängig von einer Beteiligung wird es den Staat brauchen, um die nötigen Kredite für die Schiffbaufinanzierung abzusichern“, so der Gewerkschafter.

Welche Bedingungen die Meyer Werft für Bürgschaften und Kapitalstärkung erfüllen müsste? Wichtig sei eine gesellschaftsrechtliche Neuordnung als Konzern mit Sitz in Deutschland, erklärt Friedrich. Dadurch werde dann auch die Einrichtung eines mitbestimmten Aufsichtsrats und eines Konzernbetriebsrats möglich, wie es für Unternehmen dieser Größe in Deutschland üblich sei. Derzeit hat die Muttergesellschaft der Werft ihren Sitz in Luxemburg.

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