Im BlickfeldMega-Markt Abnehmspritzen

Nach der Gewichtszunahme folgt bei Novo Nordisk die Kursdiät

Abnehmspritzen haben Novo Nordisk 2024 zum börsenschwersten Unternehmen Europas gemacht. Die Pfunde sind wieder runter, aber Experten sind optimistisch für den Markt, auf dem auch die Schwergewichte Eli Lilly und Roche tätig sind.

Nach der Gewichtszunahme folgt bei Novo Nordisk die Kursdiät

Nach der Gewichtszunahme folgt die Kursdiät

Abnehmspritzen haben Novo Nordisk 2024 zum börsenschwersten Unternehmen Europas gemacht. Die Pfunde sind wieder runter, aber Experten sind optimistisch für den Markt.

Von Nadine Klees, Frankfurt

Der Hausarzt Dr. Tim Knoop aus Köln behandelt seit fast einem Jahr Patienten mit der Abnehmspritze Wegovy. Ein Medikament des dänischen Pharmakonzerns Novo Nordisk, dessen Wirkstoff eigentlich als Diabetes-Medikament gedacht war, aber mittlerweile auch bei Übergewicht eingesetzt werden darf. Knoop hält das Medikament für revolutionär. Er blickt nach mehreren Monaten in dankbare Gesichter seiner Patienten.

Euphorie an der Börse

Auch an der Börse haben Medikamente zur Fettreduktion im vergangenen Jahr für Euphorie gesorgt. Novo Nordisk setzte sich im Sommer an die Spitze der teuersten europäischen Unternehmen. Allerdings hat sich der Wert der Aktie seit Juni wieder nahezu halbiert. Mittlerweile ist SAP an Novo Nordisk vorbeigezogen. Hype vorbei, Geschichte beendet? Ganz im Gegenteil, glauben einige Analysten, so wie Kay Eichhorn-Schott, Portfoliomanager bei der Berenberg Bank: „Wir sind bei Abnehmmedikamenten noch im Anfangsstadium der Marktentwicklung“, erklärt er. Von einem Hype möchte er deshalb auch gar nicht sprechen. „Vor der Zulassung von Wegovy war der Markt praktisch nicht existent.“ 2024 habe Novo Nordisk mit dem Medikament mehr als 8 Mrd. US-Dollar Umsatz gemacht.

Potenzial von 150 Mrd. Dollar

Das Konkurrenzprodukt Zepbound des US-amerikanischen Wettbewerbers Eli Lilly erzielte 2024 bereits 4,9 Mrd. Dollar Umsatz, sodass Analysten hier ebenfalls mit einem rasanten Wachstum rechnen. Eichhorn-Schott beziffert das Potenzial dieses Marktes auf insgesamt 100 bis 150 Mrd. Dollar. Weitere Experten nennen ähnliche Zahlen. „In einigen Jahren sollte der Markt der Abnehmmedikamente damit eine solche Größe erreicht haben, dass nur noch der Markt für Krebsmedikamente deutlich größer sein dürfte“, so Eichhorn Schott. Auch der Portfoliomanager von Union Investment Markus Manns sagt: „Allein in den USA gibt es über 100 Mill. Personen mit Übergewicht.“ Selbst wenn nur ein Teil davon ein Mittel gegen Übergewicht nehme, entstehe ein enormer Markt. Zudem sind die Medikamente derzeit nur als Spritzen verfügbar, an Tabletten wird noch geforscht. Sobald diese auf den Markt kämen, vermuten Experten einen weiteren Schub.

Zwischen Optimismus und Skepsis

Optimismus auf der einen Seite – Skepsis und Zurückhaltung auf der anderen: Aktienanalyst Thomas Schiessle vom privaten Analyse-Haus EquiTS gibt zu bedenken, dass die Hoffnungen bereits auf großen Zahlen aufgebaut seien. Wenn Schiessle über das Thema spricht, fällt auch die Bezeichnung „Lifestyle Drug“. Es gehe eben auch darum, für wen das Medikament sei.

Dieses Vorurteil versucht der Mediziner Knoop zu entkräften, indem er beschreibt, wer zu ihm in die Praxis kommt: Menschen mit einer langen Leidensgeschichte, stark übergewichtig, meistens mitten im Berufsleben zwischen 30 und 60. Wenn in den Medien allerdings auch Meldungen kursieren, dass Elon Musk mit einer solchen Spitze mehrere Kilo verloren haben soll, entsteht natürlich ein ganz anderer Eindruck. Mit Musk haben die anderen Patienten allerdings gemeinsam, dass sie die Behandlung selbst zahlen müssen. Knoop rechnet vor, Patienten müssten je nach Dosis mit 170 bis 270 Euro monatlich rechnen. Dazu komme noch eine Ernährungsberatung. Er erzählt auch, dass viele seiner Kollegen noch zurückhaltend seien. Dabei sei Wegovy als Diabetes-Medikamente erprobt. Nur der Name sei ein anderer: Novo Nordisk verkauft sein Präparat bei Übergewicht unter dem Namen Wegovy. Wer Diabetes hat, erhält den gleichen Wirkstoff als Ozempic.

Preise unterscheiden sich

Der Wirkstoff werde nicht nur unter anderem Namen verkauft, sondern auch zu unterschiedlichen Preisen. Schiessle kennt den Grund dafür: Die medizinischen Studien seien schließlich teuer und die Konzerne ließen sich das bezahlen. Allerdings habe dieser Preisunterschied dazu geführt, dass Ozempic auch im Internet auf „halbmedizinischen Plattformen“ gehandelt wurde, erklärt Professor Dr. Baptist Gallwitz von der Deutschen Diabetes Gesellschaft. Gallwitz spricht von einem „grauen Markt“. Das führe dazu, dass Diabetiker teilweise ihre Medikamente nicht mehr bekämen. „Ein Engpass besteht nach wie vor“, sagt Gallwitz.

Kapazitäten bremsen Kurs aus

Kapazitäten sind aus Analystensicht auch ein Problem beim Aktienkurs von Novo Nordisk – neben dem bestehenden Konkurrenzdruck und enttäuschenden Studienergebnissen des Nachfolgemedikaments Cagrisema. Es sei das erste Mal in der Pharmabranche, dass Wachstum von Produktionsengpässen ausgebremst werde, erklärt Eichhorn-Schott. Der Konzern habe neue Abfüllanlagen gekauft. Beim Abfüllen der Spritzen habe es Engpässe gegeben, aber auch bei den Stoffen, die man zur Herstellung brauche. Und: „Kapazitäten sind auch immer noch ein Thema bei Novo Nordisk.“ Das ist aus seiner Sicht auch der Grund dafür, dass das orale Medikament von Novo Nordisk noch nicht kommerziell vertrieben werde: Für Pillen brauche man noch mehr Wirkstoff als für die Spritzen – und das sei derzeit schlichtweg einfach nicht möglich.

Manns ergänzt: „Der Markt ist besorgt, da die Wegovy-Verschreibungsdaten in den USA nicht ansteigen, während das Konkurrenzmedikament Zepbound von Lilly seit Jahresanfang deutliche Wachstumsraten zeigt.“ Dies könne entweder bedeuten, dass Zepbound Marktanteile gewinne oder dass es bei Novo Nordisk immer noch Kapazitätsengpässe gibt. Definitiv kamen allerdings auch die Studienergebnisse zu Cagrisema schlecht am Markt an. „Die Daten waren gar nicht so schlecht“, erklärt Eichhorn-Schott. „Aber die Markterwartungen waren einfach höher.“ Cagrisema ist Studien zufolge zwar deutlich besser als der Vorgänger Wegovy, allerdings nur genauso gut wie Zepbound von Konkurrent Eli Lilly.

Engpässe besser im Griff

Eli Lilly hat anscheinend auch das Thema Engpässe besser im Griff. Der Konzern habe bei Novo Nordisk gesehen, wie groß die Nachfrage sei und rechtzeitig vorgesorgt, erklärt Eichhorn-Schott. Eli Lilly selbst erklärt, dass der Konzern gerade die ehrgeizigste Expansionsagenda in der Unternehmensgeschichte umsetze. „Seit 2020 haben wir mehr als 50 Mrd. US-Dollar in den Bau, die Erweiterung und den Erwerb von Anlagen in den USA und Europa investiert.“ Von diesem Ausbau profitiert nebenbei auch ein Ort in Rheinland-Pfalz: Im rheinhessischen Alzey baut der Pharmariese aus den USA eine Produktionsstätte. Hergestellt werden sollen hier eben diese Spritzen gegen Diabetes und Adipositas.

Langjährige Konkurrenten

Ansonsten hat Deutschland mit dem Thema wenig zu tun: Deutsche börsennotierte Pharmakonzerne, die auf dem Markt aktiv sind, sucht man vergebens. Für Experten ist das keine Überraschung: Denn der Ursprung liegt in den Diabetes-Medikamenten. Hier gibt es einige Unternehmen, die seit Langem führend sind – das sind vor allem Novo Nordisk und Eli Lilly. „Die Rivalität der beiden besteht in diesem Bereich seit etwa 100 Jahren“, erklärt Eichhorn-Schott. Kurzfristig in einen solchen Markt einzusteigen, sei teuer und nehme einige Zeit in Anspruch. „Aus diesem Grund sehen wir derzeit vermehrte Partnerschaften von großen Pharmaunternehmen und spezialisierten Biotechs.“

Das jüngste Beispiel, wie andere Pharmaunternehmen mithilfe von Kooperationen noch einen Teil vom Kuchen abbekommen wollen, zeigt der Schweizer Pharmariese Roche. Die Baseler haben vor wenigen Wochen eine Zusammenarbeit mit dem ebenfalls dänischen Unternehmen Zealand Pharma bekannt gegeben, das auch auf diesem Gebiet forscht. Ein auf den ersten Blick für Roche teurer Deal, der sich aber laut Analysten durchaus lohnen könnte. Anleger sahen das offensichtlich genauso: Die Aktie machte direkt einen ordentlichen Sprung nach oben. Seit Jahresanfang beträgt das Plus 20%. Mit Roche könnte laut Manns ein weiterer starker Konkurrent entstehen.

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