Neuer Morgen für europäische Listings an Amerikas Börsen
Im Blickfeld
Neuer Morgen
für europäische Listings
in den USA
Das Kapitalmarktumfeld in den Vereinigten Staaten hellt sich auf. Nun wollen US-Börsenbetreiber erneut europäische Unternehmen anlocken – und stoßen bei diesen auf offene Ohren.
Von Alex Wehnert, New York
Für Listings europäischer Aktien in den Vereinigten Staaten bricht ein neuer Morgen an. Denn die Liquiditätszufuhr im US-Kapitalmarkt nimmt infolge der geldpolitischen Lockerungen der Federal Reserve zu, wie auch Amerikas führende Investmentbanken im Rahmen der Berichtssaison zum dritten Quartal unterstrichen.
So hob David Solomon, Vorstandschef von Goldman Sachs, ein „verbessertes operatives Umfeld“ hervor und betonte, bei den Kunden habe sich eine „signifikante Nachfrage“ angestaut. EY verweist darauf, dass einige große Deals die IPO-Volumina bereits im dritten Jahresviertel gestützt hätten und erwartet nach einer Zurückhaltung rund um die US-Wahlen im vierten Quartal einen „starken Markt für Erstnotizen“, wie es der für die Beratung zu amerikanischen Börsengängen zuständige Mark Schwartz formuliert.
Tiefer und liquider Markt
Dass die großen Börsenbetreiber der Vereinigten Staaten im Kampf um die Vormachtstellung am Listing-Markt auch stark auf Unternehmen aus Übersee setzen, hat Lynn Martin, die Präsidentin der New York Stock Exchange (Nyse,) Ende des vergangenen Jahres im Interview der Börsen-Zeitung deutlich gemacht. Die Wall Street biete „den Zugang zum breitesten Investorenpool, den es gibt“. Deshalb strebten auch bereits börsennotierte Unternehmen eine Doppelstruktur an, durch die sie weiter in ihrem Heimatmarkt präsent sein könnten und den tieferen und liquidieren US-Markt anzapfen könnten.
„Da der amerikanische Markt in der Regel aber eine höhere Liquidität bietet, laufen die Bewertungen für die Aktien doppelt gelisteter Unternehmen häufig auseinander“, sagte Martin. In der Folge wechselten Unternehmen mit ihrer Erstnotiz zunehmend in die USA, in denen sie für Investoren stärker sichtbar würden – das Beispiel von Linde, die sich 2023 ganz aus dem Dax zurückzog, ist Vertretern des Finanzplatzes Frankfurt in düsterer Erinnerung. Die Attraktivität eines Wechsel gälte „für alle ausländischen Unternehmen – Deutschland ist aber sicher ein Markt, auf den wir uns scharf fokussieren“, führte die Nyse-Chefin aus.
Neben bereits in Europa notierten Unternehmen stehen an der Wall Street und am Times Square, an dem die technologiefokussierte Nasdaq ansässig ist, insbesondere frische Listing-Kandidaten aus dem Ausland im Fokus – bei denen die New Yorker Marktbetreiber auf offene Ohren stoßen. „Es gibt kaum einen deutschen oder europäischen Börsengang einer gewissen Größe, bei dem sich nicht die Standortfrage stellt“, sagt Lars Rüve, European Counsel bei der Kanzlei Sullivan & Cromwell. Neben dem Heimatbörsenplatz und den großen europäischen Alternativen wie London und Amsterdam stehe dabei häufig New York im Fokus.
Trend kehrt sich um
„Anfang des Jahrtausends sahen wir eher einen Trend zum Delisting deutscher Unternehmen von US-Börsen“, betont Clemens Rechberger, US-Partner bei Sullivan & Cromwell in Frankfurt. Vor allem die Mandantengespräche mit Unternehmen aus Wachstumsbranchen wie der Biotechnologie über US-IPOs nähmen inzwischen ein Vielfaches des Raums ein, den sie noch vor fünf Jahren beansprucht hätten. Mit den Impfstoffherstellern Biontech und Curevac entschieden sich zwei deutsche Firmen, die in ihrer Forschung laufend hohen Investitionsbedarf besitzen und für die es deshalb besonders attraktiv ist, den amerikanischen Kapitalmarkt anzuzapfen, für ein New Yorker Listing. Dass mit der Schuhhersteller Birkenstock im vergangenen Jahr eine deutsche Traditionsmarke in den USA an die Börse gegangen sei, setzte laut Rechberger ebenfalls ein starkes Signal – auch wenn der Start kursseitig durchwachsen ausfiel.
Die Entscheidung der Unternehmen für eine US-Notiz ist dabei auch durch die Marktsituation getrieben. „Die USA sind für viele deutsche Unternehmen wie Birkenstock der größte Abnehmermarkt“, sagt Steffen Topf, Managing Partner und Co-Leiter der Capital Markets Practice beim Industrieversicherungsmakler Marsh. Zudem versuchten Anbieter mit B2B-Geschäft, durch ein US-Listing Vertrauen bei ihren Partnern und Investoren zu wecken. „Entscheidend ist aber, dass der amerikanische Markt viel tiefer und liquider ist und eine höhere Zahl an potenziellen Investoren bietet“, führt Topf aus. Infolge einer umfassenderen Abdeckung durch Analysten erhofften sich Unternehmen nach einem US-Listing mehr Aufmerksamkeit und durch die Markttiefe die Chance auf eine höhere Kapitalisierung.
Hoffnung auf höhere Bewertung
„Die Bewertung ist natürlich auch ein wichtiger Punkt“, sagt Robert Nachama, Senior Counsel Transactional Risk in der Capital Markets Practice von Marsh. Private-Equity-Gesellschaften, die vor der Corona-Pandemie mit hohen Beteiligungen bei Wachstumsunternehmen eingestiegen seien, suchten nun nach einem lukrativen Exit – Chancen dazu sähen sie vor allem in den Vereinigten Staaten. Neben Wachstumsunternehmen könnten künftig vermehrt Firmen an den US-Markt streben, die in Deutschland auf eine Nachfolgeproblematik träfen oder keine strategischen Investoren fänden.
Die Beratungsgesellschaft PwC rechnet zudem damit, dass ein Listing in den USA unter anderem für europäische Energieriesen interessanter wird, die in Amerika auf einen freundlicheren Empfang weniger strikt auf Nachhaltigkeit fokussierter Investoren hoffen. Daneben kursieren wiederholt die Namen des schwedischen Zahlungsdienstleisters Klarna, der litauischen Second-Hand-Plattform Vinted, des estnischen Mobilitäts-Startups Bolt oder der deutschen Celonis. Das Unternehmen, das Software für die Analyse von Geschäftsprozessen entwickelt, weist starke Wachstumsraten vor. Allerdings hat es seine Angebote überarbeitet, um für den Boom um künstliche Intelligenz gerüstet zu sein, der mit Spannung erwartete Börsengang lässt damit noch auf sich warten.
Verluste für den Standort
Die USA können im Ringen um Tech-Listings damit punkten, mit der Nasdaq über einen dezidierten und zentralen Spezialmarkt zu besitzen. „Den finden Investoren in Deutschland trotz einiger Bemühungen, Venture-Investments stärker direkt in Börsengänge übergehen zu lassen, so noch nicht vor“, sagt Nachama. Seit 2018 sind über 50 europäische Tech-Unternehmen in den USA an die Börse gegangen, zwischen 2015 und 2023 hat der Kontinent laut McKinsey infolge dieser Entwicklung 439 Mrd. Dollar an potenzieller Marktkapitalisierung verloren.
Auch deshalb hat eine Gruppe europäischer Marktbetreiber um die Deutsche Börse und die Euronext die EU-Kommission aufgefordert, Bemühungen um die Kapitalmarktunion nach über einem Jahrzehnt an Diskussionen zum Abschluss zu bringen. Integrierte und offene Märkte sollten dazu beitragen, den Zugang von Unternehmen zu Spätphasen-Wachstumskapital zu verbessern und damit die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Wall Street erhöhen. Doch vorerst strahlt der neue Morgen in den USA heller.