Schwarz-Rot ohne Aufbruchstimmung
Koalitionsgespräche
Schwarz-Rot verpatzt den Aufbruch
In den Koalitionsgesprächen zeichnet sich nur ein „Weiter so“ ab. Es fehlt an Aufbruchstimmung.
Von Angela Wefers
Die neue Woche hat am Abend mit einer neuen Runde von Koalitionsgesprächen begonnen. CDU, CSU und SPD hatten einen Politikwechsel versprochen. Bislang zeichnet sich aber nur ein „Weiter so“ auf bekannten Pfaden ab. Es fehlt an Aufbruchstimmung. CDU-Parteichef und Kanzler in spe Friedrich Merz hatte direkt nach der Bundestagswahl auch einen anderen Politikstil angekündigt. Er wollte keinen bis ins Detail durchverhandelten Koalitionsvertrag mit Blick auf die volatile Weltlage. Stattdessen hatte Merz „Überschriften“ zu den wichtigsten Themen in Aussicht gestellt. Dazu wollte er mit dem Koalitionspartner SPD lediglich Grundsätze für die gemeinsame Politik vereinbaren.
Das hat Schwarz-Rot schon verpatzt. Ein schlankes und schnelles Verfahren hätte klare Eckpunkte der Parteiführungen von CDU, CSU und SPD verlangt. Im Top-down-Verfahren wären die Punkte dann von ihren Fachleuten konkretisiert worden. Stattdessen durften 256 Experten wochenlang in Fachgruppen alle möglichen Wünsche aufschreiben. Strittiges wurde in Blau bzw. Rot markiert. Das zusammengefasste Dokument von 162 Seiten sieht aus, als lägen die beiden Wahlprogramme mit all ihren Gegensätzen nebeneinander.
Bei Kernthemen weit auseinander
Eine 19-köpfige Steuerungsgruppe muss es nun richten und die Ergebnisse der Arbeitsgruppen auf einen Nenner bringen. Das ist mühsam, bürokratisch, aber kaum überraschend beim gewählten Vorgehen. Bei ihren Kernthemen sind die Koalitionspartner kaum einen Deut weitergekommen. Strittig sind Migration sowie Finanzen und Wirtschaft. Obwohl sich Schwarz-Rot noch mit einer Grundgesetzänderung einen Freibrief für Verteidigungsausgaben und ein Infrastruktur-Sondervermögen von 500 Mrd. Euro hat genehmigen lassen, würde es einen weiteren dreistelligen Milliardenbetrag erfordern, alle auf dem Tisch liegenden Wünsche zu erfüllen.
Mehr noch ist im Kleingedruckten zu finden, dass die Koalition weitere Geldschleusen öffnen will und alles vermeidet, um den Etat besser zu kontrollieren. So soll etwas die Autobahngesellschaft des Bundes mit einem Teil der Lkw-Maut ausgestattet werden. Damit wird sie kreditfähig. Auch dies ist Geldbeschaffung an der Schuldenbremse vorbei. Unstrittig steht im Arbeitsgruppenpapier, dass der Bund an der Kameralistik im Haushalt festhält. Dies ist der beste Weg, um eine Wirkungsanalyse der Ausgaben zu verhindern. Viele Nachbarn im Ausland haben bereits auf Doppik umgestellt, ein Buchungssystem für öffentliche Haushalte, das an die Unternehmensbilanzierung angelehnt ist. Hamburg praktiziert es erfolgreich. Im Bundestags stellen sich aber seit Jahren die Haushälter für einen Wechsel quer. Sonst könnten sie nicht mehr nach Belieben Mittel verteilen.
Unternehmensteuerreform auf der Kippe
Die wirklich nötige Unternehmensteuerreform steht indessen auf der Kippe. Allenfalls auf einen Einstieg kann die Wirtschaft hoffen. Dabei liegt eine große Reform für eine moderne Unternehmensbesteuerung lange zurück. Das war 2008. Seitdem ist Deutschland im internationalen Steuerwettbewerb wieder auf einen der schlechtesten Plätze zurückgefallen. Es bedürfte aber auch dringend einer Reihe von strukturierten Korrekturen. Höhere Spitzensteuersätze, wie sie die SPD aus Gerechtigkeitsgründen für die Einkommensteuer verlangt, zeugen von der Abwesenheit von wirtschaftlichem Sachverstand. Solange Deutschland keine rechtsformneutrale Besteuerung für Unternehmen hat, trifft ein solcher Schritt die im Mittelstand verbreiteten Personengesellschaften. Eine von vielen ersehnte Wirtschaftswende ist damit nicht zu machen.
Zu allem Überfluss scheinen sich CDU/CSU nun auch noch von der SPD das Finanzministerium aus der Hand nehmen zu lassen. Vor der Wahl schien in Unionkreisen klar, dass nur die Hoheit über die Finanzen einen Politikwechsel garantiert. Ein Minister, der keine Steuerreform will, legt einfach keinen Gesetzentwurf vor. Das nach dem Kanzler einflussreichste Ministerium reklamieren nun die Sozialdemokraten für sich. Sie würden dann nicht nur über Steuern und Einnahmen gebieten, sondern absehbar mit dem Sozialministerium auch über das Ressort mit den höchsten Ausgaben.