Tiefer Fall
Cum-ex
Tiefer Fall ohne Netz
Von Thomas List
Die Verteidigung im neuesten Cum‑ex‑Prozess versucht, das Gericht milde zu stimmen.
Kein Zweifel, die beiden Angeklagten im jüngsten Cum-ex-Prozess vor dem Frankfurter Landgericht sind tief gefallen. Ulf Johannemann war zuletzt weltweiter Steuerchef der renommierten Kanzlei Freshfields. Ende 2019 musste er nach einer knapp einmonatigen U-Haft die Kanzlei verlassen. Seitdem geht er offenbar keiner Vollzeitarbeit mehr nach. Immerhin ist Johannemann erst Anfang 50. Mit noch 62 ist der zweite Angeklagte, Hagen W., Ex-Geschäftsführer der Maple Bank, zwar deutlich älter. Doch auch für ihn ist die Laufbahn zumindest in seinem angestammten Beruf zu Ende. Er sei praktisch im Ruhestand, hieß es zum Prozessauftakt am Donnerstag. Bei Johannemann kommt noch dazu, dass er seit Jahren mit vollem Namen in der Öffentlichkeit in Zusammenhang mit Cum-ex genannt wird – wobei Cum-ex synonym für einen, wenn nicht den größten Steuerbetrug mit einer Schadenhöhe im Milliarden-Euro-Bereich ist. Eine Arbeit in der Steuerbranche scheint da auch in Zukunft kaum denkbar.
In die Kerbe des Schon-genug-Gestraftseins scheint auch Johannemanns Anwalt schlagen zu wollen. In seinem Opening Statement verwies er auf die breite mediale Berichterstattung, das Alter des Mandanten, die komplexe Thematik, die man mit dem Wissen von damals (2006 bis 2015) betrachten müsse, und nicht zuletzt auf die hohen vermuteten Schadensummen, die den Blick auf den Einzelnen nicht verstellen dürfen. Offensichtlich soll das Gericht milde gestimmt werden.
Aber kann das gelingen? Folgt man der am Mittwoch verlesenen Anklageschrift, muss die Antwort eigentlich Nein lauten. Denn da wird die Schadensumme für den Fiskus nicht nur mit genau 388.557.251,30 Euro angegeben. Da werden Johannemann "erkennbar fadenscheinige Argumente" vorgeworfen, Sachverhalte seien "gezielt falsch" dargestellt worden, gegenüber den Steuerbehörden seien "wahre Sachverhalte gezielt verheimlicht" worden. Er soll mehrere Gefälligkeitsgutachten erstellt, gegen die eigene Überzeugung argumentiert haben und zu einem "abwegigen und unvertretbaren Ergebnis" gekommen sein.
Alles in allem starker Tobak, bei dem die Staatsanwaltschaft nicht geringe Haftstrafen fordern dürfte. Das gilt auch für den Ex-Maple-Banker, in dessen Verantwortungsbereich die Cum-ex-Trades auch fielen. Angesichts der erkennbar anderen Strategie als kürzlich in Wiesbaden beim Prozess gegen Hanno Berger – jetzt scheinen Verteidigung und Angeklagte auch an einem Strang zu ziehen – besteht immerhin die Chance, dass das Strafmaß unter den 8 Jahren und 3 Monaten in Wiesbaden liegen wird.