Schwellenländer

Wacklige Situation für Schwellenländer-Währungen

Mit dieser Nachricht hatten selbst krisenerprobte Marktteilnehmer nicht gerechnet. Der türkische Präsident Erdogan wirft nach weniger als einem halben Jahr erneut seinen Notenchef raus. Der hatte in der Woche zuvor mit einer kräftigen Erhöhung der...

Wacklige Situation für Schwellenländer-Währungen

Von Wolf Brandes, Frankfurt

Mit dieser Nachricht hatten selbst krisenerprobte Marktteilnehmer nicht gerechnet. Der türkische Präsident Erdogan wirft nach weniger als einem halben Jahr erneut seinen Notenchef raus. Der hatte in der Woche zuvor mit einer kräftigen Erhöhung der Leitzinsen die Märkte positiv überrascht. Nach dem erneuten Wechsel an der Spitze der Notenbank rauschte die Lira in der ersten Reaktion mehr als 15% in den Keller. Für die Beobachter scheint jetzt klar: Nach dem vierten Zentralbankgouverneur innerhalb von zwei Jahren hat das Land an den Märkten die Glaubwürdigkeit verloren. „Für die Türkei ist zu befürchten, dass es zu erheblichen Mittelabflüssen kommen könnte“, meint Stefanie Holtze-Jen, Chef-Währungsstrategin bei der DWS. Das Tohuwabohu in der Türkei lässt die Investoren zusammenzucken.

Kein Dominoeffekt

Jeder stellt sich die Frage, ob die erneute Krise bei der türkischen Lira zu einem Dominoeffekt bei den Schwellenwährungen führen wird. „Natürlich ist es eine wackelige Situation mit steigenden US-Zinsen und einem steigenden Dollar, aber es ist nicht damit zu rechnen, dass es durch die Entwicklungen in der Türkei zu einem nachhaltigen negativen Einfluss auf beispielsweise Rand, Rubel oder Real kommt“, analysiert Holtze-Jen. Die jüngsten Ereignisse zeigen aber auch, wie unterschiedlich die Emerging-Markets-Währungen gestrickt sind. Generell gilt allerdings, dass ein Zusammenhang zwischen steigenden Dollarzinsen und schwächeren Schwellenländerwährungen auf der anderen Seite weiterhin gilt. „Obwohl das außenwirtschaftliche Umfeld für eine Reihe von EM-Währungen weiterhin günstig sein dürfte, sollte man vor dem Hintergrund des aktuellen US-Realzinsanstiegs Vorsicht walten lassen“, so die Einschätzung von Stefan Scheurer, Kapitalmarktanalyst bei Allianz Global Investors (AGI).

Allerdings waren die Schwellenländermärkte zuletzt weniger anfällig für Dollar- und Zinsschwankungen. Der jüngste US-Zinsanstieg hat den Anleihenspreads kaum geschadet. „Im Großen und Ganzen legen die Schwellenländer eine viel größere haushaltspolitische Disziplin an den Tag als früher, was sich auch in größtenteils gesunden Leistungsbilanzen und soliden Devisenreserven niederschlägt“, hat Alejandro Arevalo von Jupiter Asset Management festgestellt. Als ein dämpfender Faktor ist außerdem zu berücksichtigen, dass viele Schwellenländer angesichts des Inflationsdrucks schneller ihre Leihzinsen erhöhen können im Vergleich zu entwickelten Märkten. Mit Brasilien, Russland und der Türkei gab es gleich drei Zinserhöhungen in der vergangenen Woche – wobei mittlerweile kaum jemand an eine verlässliche und marktorientierte Politik der türkischen Notenbank glauben mag. Doch unabhängig von diesem Sonderweg sei es denkbar, dass es zu einem Zinserhöhungszyklus in einzelnen Emerging Markets kommt, meint Holtze-Jen.

Generell gelten die Aussichten für die Währungen der Schwellenländer als gut. „Die Aufwertung der Währungen, vor allen Dingen der Rohstoffexporteure, im Zuge des glo­balen Wachstumsschubes wird den Großteil der Performance von Staatsanleihen der Schwellenländer ausmachen“, meint Michael Vander Elst vom belgischen Assetmanager DPAM. Bei Rohstoffen ist allerdings zwischen Exporteuren und Importeuren zu differenzieren. Währungen von ölimportierenden Staaten wie Indien oder eben der Türkei dürften verstärkt unter Druck kommen, wenn die Opec sich entscheidet, die Ölproduktion konstant zu halten, und der Ölpreis wieder anzieht.

Eine Sonderrolle spielt im Reigen der EM-Währungen der chinesische Yuan, der sich sehr stabil und ohne Schwankungen entwickelt hat. Die Daten des Landes sprechen klar für die Währung – und chinesische Staatsanleihen in Lokalwährung sind längst keine exotische Investition mehr. Die Commerzbank rechnet aber nicht mehr mit Währungsgewinnen und sieht in Relation zum Dollar eine Bodenbildung. „Eine leicht pessimistische Yuan-Einschätzung dürfte inzwischen mehr Sinn machen.“

In einer Studie hat Nomura untersucht, wie gefährdet die Währungen von Schwellenländern sind. Der sogenannte „Damokles-Index“ um­fasst Indikatoren wie Importe, kurzfristige Auslandsverschuldung, Devisenreserven, Geldmenge, Realzinsen, Fiskal- und Leistungsbilanz. Wenn der Wert 100 überschreitet, ist das ein Warnsignal, dass das Land in den nächsten zwölf Monaten für eine Wechselkurskrise anfällig ist (siehe Grafik). Aktuell wird neben Ägypten die Türkei als stark gefährdet eingestuft. Das dürfte die wenigsten Beobachter überraschen, da die Türkei auch kaum mehr über Devisenreserven verfügt, die eigene Währung zu verteidigen.

Bemerkenswert groß dagegen ist die Anzahl der Emerging Markets, die nur ein mittleres oder geringes Risiko für einen Währungscrash haben. Beileibe sind das nicht nur asiatische Staaten, die derzeit besonders oft als chancenreich genannt werden. Auch Währungen wie der brasilianische Real und der russische Rubel schneiden beim Damokles-Index mit einem Wert von null sehr gut ab. Zufall oder nicht, dass diese beiden durch die Zinserhöhung jüngst bewiesen haben, dass ihre Notenbank marktorientiert handeln kann.