Westliche Banken sind nach Russland gekommen, um stecken zu bleiben
Gekommen, um stecken zu bleiben
Von Eduard Steiner, Wien
Fast alle in Russland verbliebenen westlichen Banken wollen raus – und sind nach zwei Jahren Ukraine-Krieg noch immer im Land. Sowohl Putin als auch der Westen erschweren ihnen den Rückzug.
Es war nicht einfach für westliche Banken, auf den russischen Markt zu kommen und dort zu reüssieren. Und nun ist es infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine schwer, den Markt wieder zu verlassen. Dabei beteuern die westlichen Geldinstitute, dass sie den Exit suchen – oder aber zumindest ihr Russlandgeschäft weitgehend zurückfahren wollen.
Zwar erfordern die westlichen Sanktionen dies gar nicht, doch der Druck der Europäischen Zentralbank, der westlichen Öffentlichkeit, der ukrainischen Gesellschaft und einzelner Investoren ist groß.
RBI mit Milliarden-Deal
In der zunehmend staatlich dominierten russischen Banklandschaft spielen die meisten Auslandsbanken freilich keine nennenswerte Rolle mehr. Eine der wenigen Ausnahmen ist die Raiffeisen Bank International (RBI), eine der führenden österreichischen Banken, die einen großen Teil ihres Geschäfts in Mittel- und Osteuropa macht. Sie versucht derweil indes, ihre Milliardengewinne mit einem Spezialdeal aus dem Land schaffen.
Allein, der russische Staat lässt sie nicht ziehen. Denn einmal abgesehen davon, dass – wie von Russland als Retourkutsche für die westlichen Sanktionen verfügt – jeder Unternehmensverkauf von der zuständigen Regierungskommission genehmigt werden muss, ist bei ausländischen Banken seit August 2022 die Zustimmung von Kremlchef Wladimir Putin höchstpersönlich erforderlich. Der aber hat es sichtlich nicht eilig, die Antragsliste der 45 Banken mit ausländischem Kapital abzuarbeiten.
Ikea-Bank schafft Rückzug
Lediglich der unbedeutend kleinen Finanztochter von Ikea hat Putin seither den geordneten Rückzug erlaubt. Am 19. Februar 2024 nun folgte grünes Licht für den Verkauf der russischen Tochter der britischen Großbank HSBC an die russische Expobank. Die Kaufinteressentin indes steht seit Ende vergangenen Jahres unter US-Sanktionen, was das Closing von westlicher Seite her infrage stellt.
Und so ist der Stand der Dinge, dass insgesamt 45 westliche Banken weiter in Russland vertreten sind. Darunter, wenn auch mit einem begrenzten Exposure, auch Deutsche Bank und Commerzbank. Beide Institute wollen das Geschäft weitestgehend zurückfahren, ohne dabei ihre Kunden im Stich zu lassen.
Mit von der Partie sind auch die französische Crédit Agricole, die niederländische ING Groep und die US-Banken J.P. Morgan und Citigroup. Allen voran aber die Russland-Töchter der italienischen Unicredit und der RBI (RBI). Gemessen an der Bilanzsumme schaffen RBI (Platz 13) und Citigroup (Platz 16) es in die Top 20 des russischen Bankensektors. Beide werden von Russland als systemrelevant eingestuft. Erst auf Platz 22 folgt mit Citigroup die Nummer 3, die ihr Geschäft sehr zurückgefahren hat.
Finanzkonzern am Pranger
Seit dem vergangenen Jahr hat auch die russische RBI damit angefangen. Der Wiener Finanzkonzern steht am Pranger, weil er im ersten Kriegsjahr 2022 als einzige Großbank vor Ort den Gewinn sogar wesentlich gesteigert hat. Unter dem Strich verdiente die RBI damals 3,63 Mrd. Euro, wobei satte 60% des Überschusses in Russland und Belarus erwirtschaftet wurden.
Das Gewinnplus verdankte die RBI auch dem Umstand, dass sie das Korrespondenzbankengeschäft für Dutzende sanktionierte russische Geldinstitute übernommen und so ganze 40% von Russlands internationalem Zahlungsverkehr abgewickelt hat. Als zweite wichtige Korrespondenzbank fungierte die BNY Mellon.
Kreditgeschäft zurückgefahren
Erst 2023 hat RBI diese Geschäftsbeziehungen beendet, mit Ausnahme der zu ihrer eigenen Russland-Tochter. Zugleich fuhr das Institut das Kreditvolumen in Russland weiter zurück auf zuletzt 6 Mrd. Euro. Das entspricht seit dem zweiten Quartal 2022 einem Rückgang von 56%. Wie die RBI Ende Januar mitteilte, blieb 2023 unter dem Strich ein Gewinn von 2,39 Mrd. Euro übrig. Den Worten von RBI-Chef Johann Strobl zufolge arbeitet die RBI „weiterhin an einer Entkonsolidierung unseres Russlandgeschäfts, entweder in Form eines Verkaufs oder einer Abspaltung“.
Das ist die lange Perspektive. Die kurze ist eine ganz andere – und trickreichere. Vereinfacht gesagt besteht sie darin, die in Russland erwirtschafteten Milliardengewinne mit einem Spezialdeal außer Landes zu bekommen, weil dies auf direktem Weg aufgrund diverser Sanktionen schon lange nicht mehr möglich ist.
Sanktionen behindern Transfer der Gewinne
Konkret plant die Bank, die Anteile des russischen Oligarchen Oleg Deripaska am österreichischen Baukonzern Strabag zu kaufen, inklusive der Dividenden, die Deripaska wegen der westlichen Sanktionen eigentlich nicht erhalten darf – und dann an die Raiffeisen-Tochter in Moskau weiterzuverkaufen. Danach soll alles per Sachausschüttung nach Wien weitergereicht werden.
Closing im ersten Quartal
Welche komplizierten Umgehungsstrukturen über neu gegründete russische Firmengeflechte dafür geschaffen wurden, um dabei die Sanktionen nicht zu verletzen, hat die österreichische Tageszeitung „Die Presse“ recherchiert. In der Wiener Zentrale ist man derweil zuversichtlich, dass der Deal über die Bühne gehen kann: „Wir haben alle erforderlichen Unterlagen bei den zuständigen Behörden eingereicht. Wir erwarten das Closing für das erste Quartal 2024“, so Strobl in einer Aussendung.
Stimmen die Aussagen vieler ausländischer Geldinstitute in Russland, dass sie das Land aufgrund des Krieges tatsächlich verlassen wollen und nur durch die russischen Regelungen und – wie im Fall der HSBC – paradoxerweise durch die westlichen Sanktionen selbst behindert werden, so werden viele von ihnen jene Konkurrenten beneiden, die schon früher die Kurve gekriegt haben.
Allen voran die französische Société Générale. Sie hat bereits im April 2022 die Reißleine gezogen und ihre Russlandtochter Rosbank an den laut „Forbes“-Magazin zweitreichsten Russen, Wladimir Potanin, verkauft.
Société Générale realisiert Verlust
Potanin steht, wohl aufgrund seiner zentralen Bedeutung auf dem globalen Palladium- und Nickelmarkt, bis heute nicht unter EU-Sanktionen. Das Kuriose: Die Société Générale hatte die Rosbank einst von demselben Potanin teuer gekauft und nun zu einem Spottpreis an ihn zurückgegeben. Der Preisabschlag: 70%.
Zwei Jahre nach Beginn des Ukraine-Krieges ist demnach zu konstatieren: Russlands einheimische Großbanken sind weitgehend sanktioniert und von Swift ausgeschlossen. Mittlerweile wurden die Sanktionen auch auf kleinere ausgeweitet, die zwischenzeitlich das Auslandsgeschäft der großen übernommen hatten. Und Russlands Bankenmarkt ist nun noch mehr von den staatlichen einheimischen Platzhirschen dominiert.
Renationalisierung seit 2010
Die Tendenz zu einem Bankennationalismus und zu einer gleichzeitigen Verstaatlichung des Sektors hatte spätestens 2010 begonnen. Von diesem Jahr an nämlich haben viele ausländische Mitbewerber das Feld sukzessive geräumt, nachdem sie in den Jahren der Rohstoffhausse aggressiv und vielfach über teure Akquisitionen im Land zugekauft hatten.
Mängel im Geschäftsmodell, die massiven Auswirkungen der Finanzkrise auf Russland und das Auslaufen des ölpreisgetriebenen Wachstumsmodells der russischen Wirtschaft haben den Anlass dafür gegeben. Große Namen wie Goldman Sachs, Santander, Barclays, die WestLB, die Swedbank oder die Royal Bank of Scotland zogen sich damals zurück. Von 2013 an trieb die Zentralbank die Konsolidierung weiter voran, indem sie Hunderte kleine russische Geldinstitute vom Markt nahm.
Insolvenzen verhindert
Von 2017 an überführte die Zentralbank dann auch größere private Institute wie den Branchenprimus Sberbank in die Staatshand, zum Teil, weil Insolvenzen drohten. Ihnen scheint der Krieg nicht zu schaden. Nachdem manche Adressen im ersten Kriegsjahr noch hohe Verluste geschrieben hatten, erzielten sie 2023 Rekordgewinne.