RECHT UND KAPITALMARKT

Governance-Kodex in der Reformdebatte

Deutscher Juristentag diskutiert staatliche und halbstaatliche Eingriffe in die Unternehmensführung - Gefahr der Überregulierung

Governance-Kodex in der Reformdebatte

Von Harald Selzner *)Antrieb zu weiterer Professionalisierung oder maßlose Überregulierung? Fragen zu international und national anerkannten Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung (Corporate Governance) stehen ungebrochen im Fokus der rechtspolitischen Diskussion. Auf dem Prüfstand steht insbesondere der von der Regierungskommission vor zehn Jahren erstmals vorgelegte Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK).Der Kodex hat sich als Maßstab für die Corporate Governance deutscher börsennotierter Unternehmen unbestreitbar etabliert und erheblich zur Standardisierung und Professionalisierung der Arbeit der Aufsichtsräte beigetragen. Das zeigen schon die beeindruckend hohen Befolgungsquoten der im DCGK ausgesprochenen Empfehlungen im Kreis der Dax-Unternehmen. Zunehmend heftigere Kritik wird jedoch in Bezug auf eine mit dem DCGK verbundene Überregulierung geäußert.Der diesjährige Deutsche Juristentag (DJT) nimmt den zehnten Jahrestag des DCGK zum Anlass, um über “Staatliche und halbstaatliche Eingriffe in die Unternehmensführung” zu diskutieren und Empfehlungen an Gesetzgeber und Regierungskommission zu formulieren. Zur Vorbereitung hat der Münchner Professor Mathias Habersack ein Gutachten vorgelegt, das eine Bestandsaufnahme der derzeitigen Corporate-Governance-Regulierung enthält und Empfehlungen für eine Reform insbesondere des DCGK ausspricht.Der DCGK und die hierauf bezogene Entsprechenserklärung (comply or explain) in § 161 Aktiengesetz (AktG) haben sich im Grundsatz bewährt. Worum geht es also bei der bevorstehenden Reformdebatte zur Corporate Governance? Neben der Erörterung einer Fülle von Detailaspekten, die Habersack in seinem Gutachten aufbereitet und analysiert, muss sich die rechtspolitische Diskussion maßgeblich mit zentralen Grundfragen befassen: Welches Verständnis wird dem Kodex als Instrument der Selbstregulierung – im Gegensatz zum verbindlichen Aktienrecht – beigemessen? Wie gestaltet sich die Schnittstelle zwischen Kodex und Aktiengesetz, insbesondere in Umfang und Ausgestaltung des Anfechtungsrechts? Welche (weiteren) Beschränkungen können und sollen den Aktionären in Bezug auf die Besetzung des Aufsichtsrates aufgegeben werden? Abweichen kein TabuDer Kodex und die in ihm aufgenommenen Empfehlungen gehören zu den Instrumenten der Selbstregulierung, nach denen ein unternehmensindividueller Code of Best Practice zu entwickeln und dem Markt offenzulegen ist. Sie haben weder Norm- noch Satzungsqualität. Anliegen ist vielmehr die Transparenz für Kapitalmarkt und Anleger, die selbst über die Qualität der Corporate Governance eines bestimmten Unternehmens urteilen sollen. Eine gut begründete Abweichung, so sagt es der DCGK inzwischen selbst, kann im Interesse einer guten Unternehmensführung sein. Ein Recht auf Nichtbefolgung des Kodex ist daher, wenn auch bei einigen in Vergessenheit geraten, systemimmanent und darf vom Gesetzgeber nicht – wie bei der Vorstandsvergütung oder beim Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat (Cooling-off) – nachträglich wegen geringer Befolgungsquoten konterkariert werden. Eine gewisse Kultur des Abweichens, so auch Habersack, gehört zu den Grund- und Funktionsvoraussetzungen des DCGK.Vorbehalte bestehen in diesem Zusammenhang gegenüber der Empfehlung des Gutachtens, in die Entsprechenserklärung zwingend eine Information über die in Abweichung vom Kodex ergriffene Maßnahme aufzunehmen. Das würde die Verwaltung zusätzlich hemmen, vom Kodex abzuweichen, und dessen faktische Bindungswirkung bedenklich verstärken.Durch die im Jahrestakt organisierte Tätigkeit der Regierungskommission leidet der DCGK an einer Überregulierung. Hier setzt auch das Gutachten an und fordert zu Recht eine radikale Entschlackung. Zielsetzung ist, den für die Unternehmen erheblichen finanziellen und organisatorischen Aufwand bei der Erstellung der Entsprechenserklärung zu begrenzen und die praktische Handhabbarkeit des DCGK zu erhöhen. Zunächst soll auf die – teilweise missverständliche oder gar unzutreffende – Wiedergabe zwingenden Gesetzesrechts sowie auf bloße Anregungen verzichtet werden. Bei den eigentlichen Kodexempfehlungen rät das Gutachten zu einer Konzentration auf wesentliche Aspekte. Entfallen soll etwa die Bekanntgabe der Kandidaten für den Aufsichtsratsvorsitz an die Aktionäre, denn diese Empfehlung ignoriert das zwingende Beratungsgeheimnis des Aufsichtsrates. Das überzeugt.Weiter ist der Gefahr einer zunehmenden Indienstnahme der Corporate-Governance-Regulierung für allgemeine gesellschaftspolitische Anliegen entgegenzutreten. Dies gilt insbesondere für die Diskussion zur Einführung einer gesetzlichen Frauenquote in den Gesellschaftsorganen. Habersack sieht hierin einen aktienrechtlichen Fremdkörper, der die durch Mitbestimmung und Cooling-off-Beschränkung bereits erheblich reduzierte Wahlfreiheit der Aktionäre in bedenklicher Weise weiter begrenzen würde. Auch verfassungsrechtlich bestehen hier Grenzen. Aufsichtsrat im FokusEin weiterer Schwerpunkt der Debatte wird Fragen zur Schnittstelle zwischen Kodexempfehlungen und verbindlichem Aktienrecht behandeln. Hier geht es um die Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen bei unzutreffenden Entsprechenserklärungen. Ausgangspunkt ist die BGH-Rechtsprechung, wonach Vorstand und Aufsichtsrat die Anfechtung ihrer Entlastung riskieren, wenn sie vom Kodex abweichen und die Entsprechenserklärung nicht zutreffend verfassen beziehungsweise umgehend korrigieren.Nach einer von Habersack unterstützten Auffassung soll darüber hinaus eine Abweichung von bestimmten Kodexempfehlungen auch zur Anfechtbarkeit von Wahlbeschlüssen führen können. Dies überzeugt nicht, da die Kodexempfehlungen weder Norm- noch Satzungsqualität haben. Selbst eine fehlerhafte Entsprechenserklärung ändert hieran nichts: § 161 AktG regelt nicht den Beschlussinhalt. Einer Vermengung von Soft Law und Hard Law ist strikt entgegenzutreten. Mögliche Alternativen zur Begrenzung eines mittelbar kodexbezogenen Anfechtungsrisikos – etwa die von Habersack vorgeschlagene Absage an eine unterjährige Aktualisierungspflicht – werden Gegenstand der DJT-Debatte sein. Im weiteren Fokus des Gutachtens steht der Aufsichtsrat, insbesondere die Frage der Unabhängigkeit seiner Mitglieder – einer der ganz entscheidenden Aspekte der gesamten Debatte. Es ist unmissverständlich klarzustellen, dass die Unabhängigkeit des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds nicht allein durch eine Beziehung zum (Groß-)Aktionär in Frage gestellt wird. Das deutsche Konzernrecht besorgt den angemessenen Schutz für Gläubiger und Minderheitsaktionäre. Eine weitere Aushöhlung der Eigentumsposition der Aktionäre ist nicht hinnehmbar. Habersack verdient hier uneingeschränkte Zustimmung.Kritischer zu sehen ist die Empfehlung des Gutachtens zur Aufnahme einer spezifischen Kodexempfehlung zum Minderheitenschutz. Dem Aufsichtsrat einer abhängigen Gesellschaft soll eine angemessene Anzahl von Anteilseignervertretern angehören, die nicht dem Lager des herrschenden Unternehmens zuzurechnen sind. Dies leuchtet nicht ein. Begründet richtigerweise das mitgliedschaftliche Rechtsverhältnis allein keinen Ansatz, die Unabhängigkeit in Frage zu stellen, so ändert sich dies auch nicht in Konzernlagen.Die zeitgemäße Ausgestaltung der Corporate-Governance-Regulierung ist von enormer Bedeutung für die Betroffenen. Sie bildet zudem einen nicht zu unterschätzenden Faktor für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Vieles wurde bereits auf den Weg gebracht und erreicht. Das gilt auch für den DCGK. Dennoch bedarf das jetzige System einer kritischen Bestandsaufnahme und einer eingehenden Reformdiskussion. Der 69. Deutsche Juristentag eignet sich hervorragend als Debattenforum. Habersack liefert mit seinem Gutachten eine wichtige Vorarbeit mit einem ganzen Strauß diskussionswürdiger Analysen und Empfehlungen.—-*) Dr. Harald Selzner ist Partner und Co-Head der weltweiten M & A-Praxis von Shearman & Sterling.