RECHT UND KAPITALMARKT

Vorbereitungen auf M&A nach dem Lockdown

Erste Erfahrungen aus Asien lassen Rückschlüsse auf den europäischen Markt zu - Preisfindung extrem schwierig

Vorbereitungen auf M&A nach dem Lockdown

Von Stefan Bruder und Moritz Keller *)Während sich in Deutschland die Bevölkerung über erste Lockerungen freut, warten Unternehmen und Investoren gespannt darauf, dass der Markt für Unternehmenstransaktionen wieder aktiver wird. Für die weitere Entwicklung stellen sich drei Fragen: Wie schnell wird sich der Markt erholen, wenn der Höhepunkt der Covid-19-Epidemie vorübergezogen ist? Wie werden mögliche Transaktionen aussehen? Und was ist die Best Practice, um mögliche Streitigkeiten im Zusammenhang mit Covid-19 zu vermeiden? Zur ersten Einschätzung dieser Fragen lohnt sich ein Blick auf den asiatischen M&A-Markt, der in Sachen Corona-Entwicklung sechs bis acht Wochen Vorsprung vor Europa hat.Zunächst zeigen erste Erfahrungen hier wie dort, dass der M&A-Markt nie komplett zum Erliegen kam. Andererseits zeigt der asiatische Markt, dass auch eine weitgehende Normalisierung des wirtschaftlichen Lebens den M&A-Markt nicht unmittelbar wieder deutlich belebt. Dafür gibt es zwei wesentliche Gründe: Zu groß ist die Ungewissheit über die Auswirkungen des Lockdown auf einzelne Unternehmen und die weitere Entwicklung der Märkte lokal und global. Dadurch ist für Verkäufer wie Käufer die Preisfindung extrem schwierig. Übliche Bewertungsmechanismen, die auf Ebitda oder Cash-flow abstellen, funktionieren aufgrund des scharfen Einschnitts, den Covid-19 für die Unternehmen gebracht hat, momentan nur sehr eingeschränkt. Und dies gilt sowohl für Unternehmen, die von der Krise profitieren, als auch für die, die unter ihr leiden. Falls keine unmittelbare Not besteht, scheuen sich Verkäufer daher, neue Verkaufsprozesse überhaupt zu starten, oder pausieren mit bereits begonnenen Prozessen. Prominentes Beispiel ist die Entscheidung des Finanzinvestors KKR, den Verkauf des Transportdienstleisters Goodpack aus Singapur vorerst zu stoppen.Aber auch Investoren verfolgen einen Wait-and-see-Ansatz. Neben den Bewertungsschwierigkeiten liegt dies auch an der Zurückhaltung von Banken, im derzeitigen Markt Akquisitionen zu finanzieren. Diese Finanzierungsengpässe – selbst für Hochzinsanleihen – erhöhen die Transaktionskosten und haben sich bisher auch in Asien noch nicht entspannt. Soweit es neue Transaktionen in Asien gibt, sind diese überwiegend opportunistisch. Beispiele dafür sind Minderheitsbeteiligungen in Technologie-, Bildungs- und Gesundheitssektor – oftmals als Erweiterung bestehender Investments. So konnte sich die E-Commerce-Make-up-Marke Perfect Diary 1 Mrd. Euro in einer weiteren Finanzierungsrunde sichern. Mit anderen Worten: Die Investitionen konzentrieren sich auf klare Krisengewinner, und auch dort soll das Risiko begrenzt werden, indem man sich auf bekannte Investments konzentriert und keine Mehrheitsanteile übernimmt.Soweit asiatische Deals in den letzten Wochen weiter verfolgt wurden, haben sich die Parteien allerdings klar dafür entschieden, die Transaktion nicht weiter von Covid-19 beeinträchtigen zu lassen. Dies bedeutet, dass mögliche Bewertungsunsicherheiten nicht durch komplizierte Kaufpreismechanismen wie beispielsweise Earn-out-Klauseln gelöst werden. Stattdessen haben sich die Parteien auf klare Kaufpreiszu- oder -abschläge geeinigt, um die Chancen und Risiken einzupreisen.Darüber hinaus sollen in vielen derzeit beobachteten Transaktionen weitere Beeinträchtigungen durch die Ausbreitung von Covid-19 nicht dazu führen, dass sich Käufer oder Verkäufer wieder vom geschlossenen Vertrag lösen. In entsprechenden Rücktrittsrechten aufgrund wesentlicher Änderungen (Material-Adverse-Change- oder MAC-Klauseln) wird Covid-19 tatsächlich häufig explizit ausgenommen. Auch die längeren Bearbeitungszeiten von Kartell- und Aufsichtsbehörden werden durch die Vereinbarung entsprechend längerer Abwicklungszeiträume bis zu einem Rücktrittsrecht berücksichtigt.In ähnlicher Weise gibt es explizite Ausnahmen für Covid-19-Sachverhalte bei Garantien und Verhaltenspflichten. Ein Beispiel dafür ist die übliche Vereinbarung, das Geschäft bis zum Vollzug der Transaktion nur im ordentlichen Geschäftsgang zu führen. Aufgrund von Covid-19 kann es jedoch zahlreiche Abweichungen vom gewöhnlichen Geschäftsgang geben, beispielsweise werden Vorräte anders gesteuert, als dies in normalen Zeiten der Fall ist. Solche Abweichungen werden dann ausdrücklich nicht als Vertragsbruch gewertet. Im Ergebnis schließen die Parteien den Vertrag sehenden Auges vor den aktuellen Entwicklungen, und keine Partei soll aus Beeinträchtigungen durch Covid-19 weitere Ansprüche geltend machen können.In dem Maße, wie neue Transaktionen zurückgegangen sind, hat sich das Streitpotenzial bei bereits abgeschlossenen Verträgen erhöht. Die Covid-19-Auswirkungen haben dazu geführt, dass Streitbeilegungsmechanismen insbesondere für die Zeit zwischen Vertragsschluss (Signing) und Vollzug (Closing) wieder mehr in den Fokus gerückt sind. Erhebliche Veränderungen zwischen Signing und Closing können dann zu Situationen führen, in denen Kaufpreis- oder Vertragsanpassungen gefordert werden. In manchen Fällen stellen Käufer die Durchführung insgesamt in Frage – eine schwierige Situation für alle Beteiligten.Wenn es in diesem Zeitraum zu Differenzen kommt, zeigt sich in vielen Fällen, dass schneller und zuverlässig verfügbarer Rechtsschutz entscheidend ist. Dass in einigen Jurisdiktionen Gerichte nicht oder nicht schnell genug reagieren konnten, haben sich Schiedsinstitutionen zunutze gemacht: Sie verweisen auf Emergency-Arbitrator-Angebote, bei denen eine vorläufige Entscheidung wenn nicht in Tagen, dann doch in wenigen Wochen erlassen wird. Schiedsgerichte als Anbieter “privater Konfliktlösungsservices” haben in den vergangenen Monaten wiederholt bewiesen, dass sie an Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit ordentlichen Gerichten oft überlegen sind. Verhandlungen werden beispielsweise, soweit erforderlich, virtuell durchgeführt, der Dokumentenaustausch erfolgt heutzutage ohnehin typischerweise auf elektronischem Weg. International ziehen daher Unternehmen zurzeit auch noch lange nach Vertragsschluss in Erwägung, Schiedsklauseln zu vereinbaren, um Zugang zu Rechtsschutz verlässlich sicherzustellen.Bei der Ausgestaltung der Klauseln kommt es darauf an, Mechanismen zu finden, die auch dann noch effizient funktionieren, wenn es keine gemeinsame Gesprächsbasis mehr gibt. Immer wieder sind auch in der Praxis komplizierte Mischungen aus Verhandlungs-, Schiedsgutachter- und Schiedsklauseln zu finden. Diese können im Streitfall dazu führen, dass die Streitbeilegung signifikant verzögert wird. Gerade in Krisensituationen, in denen Unternehmen zum Beispiel auf die kurzfristige Freigabe von Zahlungen oder Earn-out Payments angewiesen sind, können solche Fehlgestaltungen fatal sein. Vertragliche GarantienEs ist zudem denkbar, dass Covid-19 die bisher oft starken Verkäuferpositionen in Frage stellen und es in Zukunft wieder stärker auf den Umfang von vertraglichen Garantien ankommen wird. Sollten die wirtschaftlichen Auswirkungen von Covid-19 auch nach dem Vorüberziehen des (ersten) Höhepunkts für einen längeren Zeitraum unklar bleiben, werden die Parteien andauernde Unsicherheiten bei den Unternehmensbewertungen mittelfristig möglicherweise doch über komplexere Kaufpreismechanismen berücksichtigen wollen. Der Kaufpreis kann dann teilweise entweder auf die allgemeine Entwicklung des Unternehmens abstellen (etwa dessen Ebitda) oder an den Erfolg einzelner wichtiger Geschäftsbereiche anknüpfen (etwa Abschluss oder die Verlängerung wesentlicher Kundenverträge).Kurzfristig hat Covid-19 jedenfalls zu deutlich mehr Gesprächen über Vertragsinhalte und -anpassungen geführt. Unternehmen, die aktuell Transaktionen planen, sind also gut beraten, sich intensiv mit den unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten bezüglich Verträgen und Streitbeilegung zu beschäftigen. *) Stefan Bruder ist Partner in der Praxisgruppe Corporate M&A und Dr. Moritz Keller ist Partner in der Praxisgruppe Litigation & Dispute Resolution im Frankfurter Büro der Kanzlei Clifford Chance.