Angriff auf die Big Four
Von Michael Flämig, München
„Wir werden in die Phalanx der vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften eindringen und uns unter den Top 4 festsetzen“, kündigt WTS-Vorstandsvorsitzender Fritz Esterer im Gespräch mit der Börsen-Zeitung an. Die Steuerberatungsgesellschaft aus München will ihren Umsatz in vier Jahren mehr als verdoppeln. Er wird der Planung zufolge auf deutlich über 400 Mill. Euro steigen. Die Zahl der Beschäftigten soll von 1300 auf rund 2000 erhöht werden.
Der entscheidende Hebel der Expansion ist für Esterer das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG): „Das Fenster, das sich dadurch öffnet, ist einzigartig.“ FISG werde zu einer großen Umverteilung führen. Denn Unternehmen mit Kapitalmarktorientierung – und damit seien nicht nur börsennotierte Gesellschaften gemeint – dürften ihren Abschlussprüfer nicht mehr für steuerliche Themen einsetzen.
Der Wirecard-Skandal habe klargemacht, dass die Unabhängigkeit der Prüfer entscheidend sei, so Esterer. Wenngleich es im Fall des mutmaßlich betrügerischen Zahlungsverkehrsabwicklers gar nicht so sehr um Steuern gegangen ist, gilt aus Sicht des WTS-Chefs auch für Steuerthemen: „Zu prüfen, was man vorher beratend mitgestaltet hat, muss zu einem Interessenkonflikt führen.“
Der Druck auf die Unternehmen werde auch deswegen größer, weil die Trennung ein Governance-Thema sei: „Die Aufsichtsräte fordern von ihren Vorständen Transparenz und Unabhängigkeit ein.“ FISG verfüge aber nicht nur die Trennung von Prüfung und Steuerberatung, sagt Esterer. Es dürften darüber hinaus keine Leistungen mehr rund um die Bewertung von Unternehmen angeboten werden. Der Gesetzgeber habe diesen Bereich weit gefasst. Beispielsweise fielen darunter auch Accounting-Services.
1,4 Mrd. Euro im Feuer
Esterer sagt erhebliche Auswirkungen auf das Oligopol der vier großen Abschlussprüfer PwC, KPMG, EY und Deloitte voraus, zu deren Produktportfolio auch die Beratung gehört: „Es stehen Riesenbeträge im Feuer.“ Der jüngsten Lünendonk-Studie zufolge hätten die Big Four fast 1,4 Mrd. Euro jährlich als Nichtprüfungsleistungen bei selbst geprüften Unternehmen ausgewiesen. Zwar werde das Quartett diesen Betrag nicht komplett abgeben müssen, denn ein Teil entfalle auf nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen und nicht vom FISG erfasste Beratungsleistungen. Doch Esterer schätzt: „In den nächsten Jahren wird in der Beratung wahrscheinlich ein jährliches Umsatzvolumen von 500 Mill. Euro neu verteilt.“ Der Markt werde sich gravierend verändern: „Wir haben schon einige konkrete Anfragen von großen Konzernen bekommen.“
Esterer hält es für ausgeschlossen, dass die Big Four die Steuerberatung getrennt von der Abschlussprüfung komplett innerhalb des Oligopols halten können – sie also immer an jene Adressen weitergereicht wird, die nicht in Abschlussprüfungen involviert sind. In großen Konzernen seien häufig mehrere Prüfungsgesellschaften aktiv, die dann kein Steuerthema mehr anpacken könnten, so dass andere Anbieter zum Zuge kämen, begründet er seine Einschätzung.
Starkes Umsatzwachstum
Vor allem aber wollten viele Vorstände nicht gezwungen sein, infolge der gesetzlich vorgeschriebenen Rotation der Wirtschaftsprüfer auch den Steuerberater wechseln zu müssen, um überhaupt einen Abschlussprüfer ohne Interessenkonflikt zu finden: „Für uns spricht daher auch, den Service dauerhaft anbieten zu können.“ Weil man keine Abschlussprüfung mache, könne man einen großen Teil der freiwerdenden Steuerberatungsumsätze an sich ziehen. Es biete sich eine Chance, die es nur einmal im Leben gebe: „Wir werden die Gewinner sein.“
WTS erhöhte den Umsatz im vergangenen Geschäftsjahr 2020/21 (30. Juni) von 168,5 Mill. auf 183,3 Mill. Euro. Die Zahl der Beschäftigten stieg von 1100 auf 1300 (siehe Grafik). Esterer erklärt, im laufenden Kalenderjahr werde WTS bereits rund 200 Mill. Euro erlösen: „Wir sind im Steuerbereich nun auf Augenhöhe mit den großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften.“ Beispielsweise liege Deloitte mit Erlösen von 230 Mill. Euro nur noch knapp vor WTS.
Esterer erwartet in den nächsten zwei bis drei Jahren ein Wachstum von weit mehr als 100 Mill. Euro auf über 300 Mill. Euro. „Anschließend wird es einen weiteren Beschleunigungseffekt geben“, kündigt der WTS-Chef an. In vier Jahren wolle WTS rund 2000 Menschen beschäftigen und deutlich mehr als 400 Mill. Euro erlösen. Zum Vergleich: Für eine Umsatzerhöhung um 100 Mill. Euro hatten die Münchner in der Vergangenheit fünf Jahre gebraucht. Das Risiko, dass WTS sich mit dem Expansionskurs übernimmt, sieht Esterer nicht. Das Wichtigste sei, die besondere Kultur zu erhalten, die von Mitarbeitern sehr geschätzt werde: „Diese Kultur unterscheidet uns am stärksten von den Big Four.“ Letztlich präge Wertschätzung das Arbeitsumfeld, es zähle nicht die Maximierung des Umsatzes: „Natürlich muss das Ergebnis stimmen, aber nicht um jeden Preis.“ Dass die Big Four mittelfristig mit einer Abspaltung der Steuerberatung reagieren, erwartet Esterer nicht. Eine Trennung werde innerhalb der Gesellschaften von Seiten der Abschlussprüfer nicht gewollt.
Esterer will die angestrebte Expansion auf drei Weisen erreichen. Erstens kämen Beraterteams auf eigene Initiative, weil sie erkannt hätten, dass sie bei WTS im steuerlichen Bereich völlig konfliktfrei arbeiten könnten: „Unser Unternehmen wirkt wie ein Magnet, weil die Strategie stimmt.“ WTS werde – zweitens – strategische Partnerschaften und echte Joint Venture eingehen.
„Bestes Jahr der Geschichte“
Drittens: „Wir werden größere Akquisitionen tätigen.“ Davon sei der Bereich Digitalisierung betroffen, aber Esterer sieht auch in der Unternehmens- und Managementberatung enorme Wachstumsmöglichkeiten: „Es gibt einige Unternehmen mit einem Umsatz von 20 bis 50 Mill. Euro, die uns interessieren.“ Das Umsatzvolumen in der Unternehmens- und Managementberatung, die WTS in der Tochtergesellschaft FAS gebündelt hat und die sich u.a. mit Börsengängen oder dem Lieferkettengesetz befasst, möchte Esterer innerhalb von zwei bis maximal drei Jahren von zuletzt 35 Mill. Euro auf 100 Mill. Euro steigern.
Die Finanzierung der geplanten Akquisitionen bereitet Esterer kein Kopfzerbrechen. Einerseits habe WTS im letzten Coronajahr wie alle Steuerberater stark an Liquidität zugelegt, denn gute Umsätze seien mit erheblichen Einsparungen kombiniert worden: „Da sehen Sie bei ganz vielen Gesellschaften die wahrscheinlich besten Jahre der Geschichte.“ Neben den eigenen Mitteln könne man aber andererseits auch auf Bankenfinanzierung im nennenswerten Volumen zurückgreifen.
Auch das Stammgeschäft, in dem WTS als „Business Partner“ die Steuerberechnung für Konzerne übernimmt, will Esterer ausbauen. Dort zählen z.B. Allianz, Siemens, Eon und Traton zu den Kunden. Die Aufspaltung von Unternehmen wie Siemens oder Daimler bietet grundsätzlich die Möglichkeit, beim Aufbau von Steuerabteilungen zu helfen. Dieser Markt habe durch die Pandemie zusätzlichen Schwung bekommen: „Die Unternehmen haben gemerkt, dass der Unterschied zwischen einer internen und externen Steuerabteilung nicht so groß ist.“ Denn das Homeworking verwische die Grenze: „Die Konzerne gehen immer mehr ins Outsourcing.“ Dies gelte insbesondere für repetitive Themen wie Zollberatung oder Steuererklärung.
ESG und Digital im Fokus
Inhaltlich ständen für WTS zwei Themenbereiche in den nächsten Jahren im Mittelpunkt, sagt Esterer. Dies sei einerseits ESG/Green Tax. Darauf stelle man sich in der strategischen Beratung, in der nichtfinanziellen Berichterstattung und in der Steuerberatung etwa im CO2-Bereich ein: „Wir wollen ein ganzheitliches Angebot an die Unternehmen machen.“
Zudem solle der Bereich Digital forciert werden. Aktuell beschäftige WTS dort 150 Personen, dies werde stark ausgebaut. Die Lösungen sollten über Hubs wie in Singapur oder demnächst in Miami ausgerollt werden: „So können wir die Unternehmen weltweit begleiten.“ Die One-WTS-Plattform, die alle steuerlichen Systeme und Tools eines Unternehmens weltweit abbilde, werde im April 2022 implementiert sein.