Wohnungsbau

Baugenehmigungen brechen ein

Kurz vor Kabinettsklausur und Wohnungsgipfel gibt es keine Signale für eine Stabilisierung im Wohnungsbau. Das zeigt die Halbjahresbilanz der Baugenehmigungen. Interessenvertreter fordern einen Neustart der Wohnungsbaupolitik.

Baugenehmigungen brechen ein

Baugenehmigungen brechen ein

Rückgang um 27 Prozent im ersten Halbjahr - Zins- und Kostenanstieg schlagen durch - Neustart gefordert

hek Frankfurt

Die Baugenehmigungen für Wohnungen sind in Deutschland im ersten Halbjahr um mehr als ein Viertel eingebrochen. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, gaben die Behörden grünes Licht für den Bau von 135.200 Einheiten. Das waren 50.600 oder 27,2% weniger als in der ersten Hälfte 2022. Im letzten Halbjahres-Monat Juni fielen die Einbußen zum Vorjahresmonat mit 28,5% auf 21.800 Wohnungen leicht höher aus als in den ersten sechs Monaten. Folglich sind bisher keine Anzeichen einer Stabilisierung festzustellen.

Zum Rückgang der Bauvorhaben dürften vor allem steigende Baukosten und zunehmend schlechtere Finanzierungsbedingungen beigetragen haben, analysieren die Statistiker. Doch das ist nur ein Teil der Gründe. Außerdem hat die Bundesregierung Förderungen gestoppt bzw. drastisch gekappt und treibt durch weiter verschärfte energetische Standards die Baukosten in die Höhe. Das hat potenzielle Bauherren stark verunsichert. Neubau ist inzwischen so teuer, dass die sich daraus ergebenden Mieten für viele Haushalte nicht mehr zu bezahlen sind. Börsennotierte Wohnungsunternehmen haben daher neue Bauvorhaben auf Eis gelegt.

Abwärtstrend hat sich beschleunigt

Der Abwärtstrend hat sich im Frühjahr 2022 herausgebildet und sukzessive beschleunigt. In der ersten Jahreshälfte 2022 fiel das Minus mit 2,1 noch moderat aus. Im Oktober waren es dann 14,2%. Für das Gesamtjahr 2022 ermittelte das Statistische Bundesamt einen Rückgang um 6,9 %. Im Januar 2023 brach die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen bereits um 26% weg - der größte Rückgang seit April 2007. Der bisher schärfste Rückgang in diesem Zyklus wurde für April 2023 mit 31,9% ermittelt.

Überdurchschnittliche Einbußen verzeichnen Ein- und Zweifamilienhäuser. Die Zahl der Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser schrumpfte in der ersten Jahreshälfte 2023 um 35,4% auf 27.000, die für Zweifamilienhäuser sogar um mehr als die Hälfte (-53,4%) auf 7.700. Ein wenig moderater erscheint das Minus bei Mehrfamilienhäusern (-27% auf 72.400).

Neue Förderung noch ohne Effekt

Die neue Förderung für klimafreundlichen Neubau, die es seit März gibt, läuft bislang ins Leere. "Noch ist kein eindeutiger Effekt dieser Maßnahmen auf die Genehmigungszahlen erkennbar", teilt das Statistische Bundesamt mit. Die Baugenehmigungen seien im Zeitraum März bis Juni im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sogar etwas stärker zurückgegangen als im gesamten ersten Halbjahr.

Die Halbjahresbilanz zeige ein "ungemein düsteres Bild" im Wohnungsbau, kommentiert Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Bauindustrie-Verbands. Der Juni sei der neunte Monate in Folge mit zweistelligem Rückgang. Besserung sei nicht in Sicht. "Die Luft wird immer dünner", klagt Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe. Die Brisanz dieser Abwärtsspirale sei anscheinend noch nicht bei allen angekommen. Ohne verlässliche Investitionsimpulse müssten die Wohnungsbaufirmen früher oder später ihre Personalkapazitäten abbauen. 

"Dramatische Zuspitzung der Wohnungsnot"

Von der Bundesregierung fordert die Bauindustrie ein "Paket mit Schlagkraft" aus Ausweitung der KfW-Zinsverbilligung, verbesserten Abschreibungen, niedrigerer Grunderwerbsteuer, Investitionszulage für öffentliche Wohnungsgesellschaften und Aussetzung des energetischen EH40-Standards bei Förderprogrammen.

Der Immobilienverband ZIA wertet die Zahlen als Beleg für eine "dramatische Zuspitzung der Wohnungsnot" und fordert mit Blick auf die Kabinettsklausur in Schloss Meseberg Ende August und den Wohnungsgipfel Ende September im Kanzleramt einen Neustart der Wohnungsbaupolitik.

Die "ganze Wahrheit" sei noch schlechter als die Zahlen. Denn Bauträger holten zwar noch eine Genehmigung ein, ließen Projekte dann aber ruhen, vor allem weil die Kreditkosten explosionsartig gestiegen seien.

Bundesbauministerin Klara Geywitz hat ein Maßnahmenpaket für September angekündigt. Die SPD-Politikerin hatte vor zwei Wochen eine degressive Abschreibung im Wohnungsbau vorgeschlagen. Bauherren könnten dann innerhalb der ersten acht Jahre 48% der Kosten bei der Steuer absetzen.

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Auch auf europäischer Ebene schwächelt der Bausektor. Im Juni ist die Produktion im Baugewerbe im Euroraum saisonbereinigt um 1,0% im Vergleich zum Vormonat Mai gesunken, teilt das EU-Statistikamt Eurostat mit. EU-weit beläuft sich der Rückgang auf 0,6%. Gemessen am Niveau von Juni 2022 ergibt sich eine Abschwächung um 0,3% im Euroraum und ein unverändertes Produktionsvolumen in der EU.

Kurz vor Kabinettsklausur und Wohnungsgipfel gibt es keine Signale für eine Stabilisierung im Wohnungsbau. Das zeigt die Halbjahresbilanz der Baugenehmigungen. Vor allem Ein- und Zweifamilienhäuser weisen hohe Rückgänge auf. Interessenvertreter fordern einen Neustart der Wohnungsbaupolitik.

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