Thomas Toepfer

Covestro-CFO: „Müssen alle Hebel in Bewegung setzen“

Covestro-Finanzchef Thomas Toepfer lässt sich von drohenden Gaskürzungen nicht in Panik versetzen. Im Interview plädiert er dafür, den Preismechanismus im Notfall nicht völlig auszuschalten.

Covestro-CFO: „Müssen alle Hebel in Bewegung setzen“

Annette Becker.

Herr Toepfer, seit Mitte Juni hat Russland die Gaslieferungen über die Pipeline Nord Stream 1 gedrosselt. Hat sich das schon auf Ihre Produktion ausgewirkt?

Nein, davon merken wir bislang nichts. Unsere Produktion läuft ganz normal. Wir sind gut in das Jahr gestartet, mussten dann aber die Prognose für das zweite Quartal einschränken. Das Ebitda (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, Anm. d. Red.) erwarten wir seither in einer Bandbreite von 430 bis 530 Mill. Euro. Heute kann ich sagen, dass wir am oberen Ende ankommen werden, weil sich China schneller als erwartet erholt hat und das Geschäft in Europa, speziell in Deutschland, stabil läuft.

Das ist der Ist-Zustand. Die Befürchtungen, dass aus Russland nach Ende der Wartung der Pipeline gar kein Erdgas mehr kommt, sind ja nicht aus der Luft gegriffen. Haben Sie Ihren Gaseinsatz bereits gedrosselt?

Wir versuchen das natürlich, aber die kurzfristigen Möglichkeiten sind begrenzt.

Woran liegt das?

Wir brauchen Gas als Energieträger und als Prozessgas in chemischen Reaktionen. Das Entscheidende ist die Energieträgerfunktion von Gas. Es ist nicht so leicht, kurzfristig auf andere Energiequellen umzuschalten. Wo wir das können, machen wir das. Wir haben beispielsweise in Brunsbüttel einen ölbetriebenen Dampfkessel, den wir wieder in Betrieb nehmen wollen. Ende des Jahres sind wir so weit. Kleinere Maßnahmen helfen uns, die Gasabhängigkeit zu verringern. Aber im Gesamtkonzert ist das vergleichsweise gering.

Können Sie das quantifizieren?

Kurzfristig spielt sich das im einstelligen Prozentbereich ab. Natürlich haben wir, wenn Gaslieferungen aus Russland ausbleiben, ein großes gesamtgesellschaftliches Problem. Für uns ist aber ebenfalls wichtig, dass in Deutschland nur 25 % unserer globalen Produktionskapazitäten stehen. Selbst wenn wir in Deutschland jetzt eine 20- oder 30-prozentige Gaskürzung erfahren würden, wäre nur ein kleiner Teil des globalen Outputs betroffen. Wir bereiten uns in Deutschland auf den Notfall vor, aber es wird das Unternehmen in keinem Fall umwerfen.

Wie sehen Ihre Notfallpläne aus? Mit welchen Ergebnisbelastungen rechnen Sie im Worst Case?

Die Bundesnetzagentur hat bei allen Unternehmen abgefragt, wie mit einer potenziellen Gasmangellage umgegangen würde. Entsprechend haben wir sehr detaillierte Pläne, was wir machen würden und auch in welcher Reihenfolge. Den Aspekt, wo wir das meiste Gas mit einem möglichst geringen Einfluss auf das Ergebnis einsparen können, haben wir natürlich berücksichtigt. Wir können Anlagen bis zu einer bestimmten Teillast herunterfahren. Alles was darunter ist, bedeutet dann die Stilllegung der Anlage. Der Einfluss auf unser Ergebnis ist wirklich sehr schwer zu schätzen. Das hängt von der prozentualen Kürzung ab und vom Zeitpunkt.

Können Sie sagen, welche Anlagen für eine Stilllegung in Frage kommen?

Da würde ich mich gerne zurückhalten. Am Ende hängt es nämlich auch davon ab, wie sich etwaige Kürzungen lokal verteilen. Es ist ja nicht gesagt, ob es gelingt, die Kürzungen deutschlandweit einheitlich zu realisieren oder ob aus rein praktischen Erwägungen einzelne Gebiete stärker betroffen wären als andere.

Bei der Verteilung geht es also gar nicht so sehr nach der Systemrelevanz von einzelnen Unternehmen?

Es gibt deutschlandweit Cluster, die von der Bundesnetzagentur eingeteilt sind. In einer Gasmangellage würde pro Cluster verordnet, wie groß die Kürzung ausfällt. Innerhalb eines Clusters sitzen aber mehrere Unternehmen, die sich partnerschaftlich darauf verständigen müssen, wer in welchem Umfang von der Kürzung betroffen ist. Es hilft ja nichts, wenn einer seine Anlage herunterfährt und der Nachbar dann nicht mehr produzieren kann, weil das Vorprodukt fehlt. Insofern findet natürlich innerhalb eines Clusters, bei uns beispielsweise im Chempark, eine intensive Abstimmung statt, wie im Ernstfall eine für alle Unternehmen vernünftige Aufteilung aussähe. Die Cluster sind regional zugeschnitten.

Sie sagen, die Ergebnisauswirkung lässt sich schwer abschätzen. Lanxess hat dagegen im Mai beziffert, wie groß der direkte Ergebniseffekt ausfiele. Warum kann Lanxess das abschätzen, Covestro aber nicht?

Weil dahinter viele Annahmen stehen. Lanxess hat ja auch klargemacht, dass Folgeeffekte in dieser Rechnung nicht berücksichtigt sind. Insofern halte ich mich an dieser Stelle lieber zurück. Denn ungeachtet der Annahmen, die man trifft, wird die Realität vermutlich anders aussehen.

Aber ist es nicht vor allem Transparenz, die Investoren in diesen Tagen herbeisehnen?

Meine Wahrnehmung ist, dass unsere Investoren viel Verständnis haben, dass wir uns nicht detaillierter festlegen.

Sollte der Notfall eintreten, hat sich Ihr Branchenverband VCI kürzlich für das Auktionsmodell bei der Gaszuteilung ausgesprochen. Gas bekäme dann, wer am meisten dafür zahlt. Deckt sich das mit Ihrer Vorstellung?

Ich bin durchaus der Ansicht, dass man den Preismechanismus nicht völlig ausschalten sollte. Der Preis ist bei der Allokation eines knappen Gutes gesellschaftlich ein wichtiger und richtiger Indikator. Dass man unter allen Aspekten immer sicherstellen muss, dass Härtefälle vermieden werden, insbesondere wenn es private Haushalte betrifft, ist fraglos richtig. Insofern muss man eine gute Kombination finden. Der Preis sollte aber in jedem Fall eine Rolle spielen, auch im privaten Bereich. Die richtige Balance zu finden, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Politik.

Engt man den Blick auf die Industrie ein, ist aber auch klar, dass global agierende Konzerne wesentlich tiefere Taschen haben als Mittelständler, die auch auf Gas angewiesen sind. Würden diese nicht zwangsläufig aus dem Markt gedrängt?

Wir agieren doch genauso rational wie ein Mittelständler. Wenn ein extrem gasintensiver Betrieb kein Geld mehr verdient, werden wir ihn einstellen. Zu schauen ist, wie das Überleben der Unternehmen sichergestellt werden kann. In der Pandemie hat sich gezeigt, wie das gehen kann – Stichwort: Kurzarbeitergeld.

Gesetzlich ist vorgeschrieben, dass zunächst die Privathaushalte mit Gas versorgt werden, was dann noch übrig bleibt, muss sich die Industrie teilen. Dahinter hat der Wirtschaftsminister nun ein Fragezeichen gesetzt. Welche Vorstellungen haben Sie?

Es gab eine sehr polarisierende Diskussion. Ich glaube, wenn die Situation eintritt, müssen wir das zu einem gesamtgesellschaftlichen Thema machen. Am Ende werden alle dazu beitragen müssen. Natürlich schauen wir als Industrie, wo wir Anlagen abschalten können. Die Last komplett auf die Industrie abzuwälzen, ist aber keine Lösung. Man darf die Augen nicht vor den Folgewirkungen verschließen, die die Privaten letztlich doppelt treffen in Form von Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Krise. Wir müssen alle Hebel in Bewegung setzen. Das beginnt beim Verzicht der Verstromung von Gas und der Schaffung von Anreizen zum Sparen im privaten Bereich – ohne den Schutz komplett aufzuheben. Auch staatliche Eingriffe mit einer gewissen Symbolwirkung hielte ich nicht für verkehrt.

Was meinen Sie damit?

Damit meine ich zum Beispiel den Betrieb von Schwimmbädern oder Saunalandschaften. Die Industrie braucht Flexibilität, um schnell auf andere Quellen umsteigen zu können. Wenn wir jetzt einen ölbetriebenen Dampfkessel wieder in Betrieb nehmen, brauchen wir unter dem Bundesemissionsgesetz möglichst schnell eine Genehmigung. Wir dürfen nicht ewig in Genehmigungsverfahren festhängen. Sonst kann es wirklich schwierig werden.

Wie nehmen Sie das Vorgehen der Bundesnetzagentur wahr. Ist die Institution pragmatisch unterwegs oder ist das stark behördlich?

Die Bundesnetzagentur hat ja sehr früh einen sehr umfangreichen Datenkranz von den Unternehmen eingefordert. Jetzt muss man sehen, was damit gemacht wird. Bis jetzt hat sich die Netzagentur noch nicht dazu geäußert.

Wird es in der Industrie zu einem Verteilungskampf kommen?

Das glaube ich tatsächlich nicht. Zumal die Bundesnetzagentur gesagt hat, dass das Thema Systemrelevanz in sehr engen Grenzen beurteilt wird. Von daher ist mir auch nicht zu Ohren gekommen, dass es zu Spannungen kommt.

In der Prognose haben Sie keine Gasmangellage berücksichtigt mit der Begründung, dass das nicht das wahrscheinlichste Szenario ist. Wird es dafür jetzt nicht höchste Zeit?

Wir haben das Thema China und die Abschwächung der Wirtschaft berücksichtigt. Die Prognosekürzung um 500 Mill. Euro teilt sich je hälftig auf diese Themen auf. Nach wie vor wäre es verfrüht. Die Prognose kommt mit der Vorlage des Zwischenberichts am 2. August. Bis dahin kann noch viel passieren. Das werden wir uns genau anschauen. Bis jetzt kann ich nicht sehen, dass sich etwas ändert.

Im vergangenen Jahr konnten Sie die gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise mit höheren Absatzpreisen überkompensieren. Wie stellt sich die Situation heute dar?

Im ersten Quartal ist uns das noch zu 90 % gelungen. In der Tat sehen wir, dass die Energie- und Rohstoffkosten weiter gestiegen sind. Die Nachfrage ist zwar noch da, aber es ist insgesamt zu einer wirtschaftlichen Eintrübung gekommen. Daher wird es schwieriger, die Preise im vollen Umfang an die Endkunden weiterzureichen.

Mit welcher Konjunktureinschätzung gehen Sie in die zweite Jahreshälfte?

Im Gesamtjahr gehen wir immer noch von globalem Wachstum aus. Aber wir sehen, dass sich die Einschätzung für manche Industrien merklich eintrübt. Namentlich die Automobilindustrie, in der die Erholung nicht in dem Umfang stattfindet wie erwartet. Die positive Nachricht dabei ist aber, dass es sich um ein Angebots- und nicht um ein Nachfrageproblem handelt. Wir sehen aber auch Schwächen in der Möbel- und Matratzenindustrie in den USA. Daneben haben die anziehenden Zinsen Implikationen für die Bauindustrie. Dessen ungeachtet spielt das Thema Isolierung weiterhin eine große Rolle. Das ist der Teil der Bauindustrie, in den wir hineinliefern. Insofern können wir uns an dieser Stelle ein Stück weit entkoppeln.

Halten Sie trotz des sich massiv eintrübenden Umfelds an den Plänen zum Aktienrückkauf fest?

Den Aktienrückkauf machen wir auch, weil größere Akquisitionen für uns derzeit nicht im Fokus stehen. Weil das so ist, halten wir es für richtig, in unsere eigene Aktie zu investieren. Wir machen das vor allem dann, wenn die Aktie günstig bewertet ist. Das ist derzeit der Fall. Wir sind davon überzeugt, dass das eine vernünftige Investition für unsere Investoren ist.

Dennoch gilt in jeder Krise: Cash is king. Gilt das für Covestro nicht?

Doch, das gilt auch für uns. Unsere Bilanz ist aber so stark, dass wir beides hinkriegen. Die erste und zweite Tranche des Rückkaufprogramms haben wir erfolgreich abgeschlossen. Wir können das auf der Zeitachse flexibel steuern.

In China steht knapp ein Viertel Ihrer Produktionskapazitäten. Welchen Umsatz- und Ergebnisanteil ziehen Sie daraus?

China repräsentiert etwa 20 % unseres Absatzmarktes. Unsere Produktion liegt darüber, weil wir aus China heraus auch andere asiatische Märkte beliefern.

Die geopolitischen Risiken sind gerade auch mit Blick auf China gewachsen. Inwieweit berücksichtigen Sie das in der strategischen Ausrichtung?

Wir produzieren in der Region für die Region, also in Europa, Amerika und Asien. Das ist unsere strategische Ausrichtung, die unverändert richtig ist. Insbesondere in der Phase einer stärkeren Polarisierung ist das der richtige Kurs. So umgehen wir beispielsweise Strafzölle und Ähnliches. Investitionen in diese Länder werden natürlich sehr genau im Hinblick auf die Risikoprämien abgeklopft und diese sind sicher gestiegen. Nichtsdestotrotz ist China der am stärksten wachsende Markt in der Chemie und wir können uns als globales Unternehmen nicht von den stärksten Wachstumsfeldern verabschieden.

Im Herbst steht die Entscheidung an, wo Covestro die neue Anlage für das Hartschaumvorprodukt MDI errichten wird. Ist China durch die gestiegenen Risikoprämien aus dem Rennen?

Das würde ich überhaupt nicht so sehen. Wir reden über eine größere Investition im Bereich MDI. Nach der Sommerpause werden wir voraussichtlich die Entscheidung treffen. Die Entscheidung fällt zwischen den USA und China.

Nachhaltigkeitsthemen werden immer wichtiger, getrieben wird das vornehmlich von der Investorenseite. Wo liegen dabei für Covestro die größten Herausforderungen?

Ich sehe zwei große Themen. Beide betreffen Scope 3, also die CO2-Emissionen der vor- und nachgelagerten Stufen. Zum einen müssen wir erneuerbare Rohmaterialien finden, die wir in unseren Anlagen verwenden können. Zum anderen geht es darum, wie wir die Endprodukte recyceln und wieder in den Kreislauf zurückführen können. In diese Fragestellungen fließt ein Großteil unserer für ESG-Themen bereitgestellten Forschungs- und Entwicklungsgelder.

Ihre Aktie ist seit Jahresbeginn um etwa 40 % eingebrochen. Sind das nach Ihrer Einschätzung vornehmlich die Folgen des Kriegs und seiner wirtschaftlichen Auswirkungen oder hängt das auch mit den ESG-Themen zusammen?

Das ist nach meiner Einschätzung geopolitisch getrieben. Die geopolitischen Risiken überlagern derzeit alles. Das ist verständlich, weil gerade für amerikanische Investoren die Lage in Europa schwer einzuschätzen ist. Beim Thema ESG werden wir von den Investoren als absoluter Vorreiter wahrgenommen.

Das Interview führte

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