Gegen CO 2 und Fahrermangel
Von Joachim Herr, München
Der Weg zur Elektromobilität in der Nutzfahrzeugindustrie ist noch sehr weit – und teuer. Im vergangenen Jahr war erst ein halbes Prozent der neu zugelassenen Lkw in der Europäischen Union mit einem Elektromotor ausgestattet (siehe Grafik). Die Hersteller erweitern nach und nach ihr Angebot; Neuheiten zeigten sie in der vergangenen Woche auf der Messe IAA Transportation. Mercedes-Benz Trucks zum Beispiel präsentierte dort einen Prototyp des batterieelektrischen Fernverkehrslastwagens E-Actros Long Haul. Bis zur Serienreife dieses Fahrzeugs dauert es nach dem Zeitplan des Unternehmens allerdings noch zwei Jahre.
Eine Vorstellung von den Kosten der Transformation gibt Traton mit einem Einblick in die Finanzplanung: Bis 2026 ist allein für die Forschung und Entwicklung der Elektromobilität ein Budget von 2,6 Mrd. Euro vorgesehen. Dabei konzentriert sich die Nutzfahrzeugholding von Volkswagen auf die Batterietechnik, die sie für effizienter hält. Daimler Truck fährt dagegen auf zwei Spuren und arbeitet auch am Wasserstoff-Lkw, der nach Ansicht des Konzerns Vorteile haben wird, je schwerer die Fracht und je länger die Transportstrecke ist. Die Doppelstrategie hat freilich ihren Preis, auch wenn sich Daimler Truck die Kosten mit Volvo im Brennstoffzellen-Joint-Venture Cellcentric teilt.
Verschärfte Knappheit
Mit Investitionen in einen Kohlendioxid-neutralen Transportverkehr ist es aber nicht getan. Teil der Transformation der Lkw-Branche ist auch das autonome Fahren. Die Münchner Unternehmensberatung Berylls erwartet, dass Lastwagen ohne Fahrer schon im Jahr 2030 etwa ein Zehntel der Neuzulassungen ausmachen. Diese Technik sei der „ultimative Game Changer“ für die gesamte Lkw-Industrie. Damit ließe sich der Mangel an Fahrern mildern. Die Knappheit hat sich in Europa wegen des Kriegs in der Ukraine noch verschärft, da aus diesem Land nun weniger Lkw-Lenker unterwegs sind. In der Branche wird geschätzt, dass in Europa derzeit rund 400000 Fahrer fehlen, in den USA etwa 160000.
Ein weiterer Vorteil des selbstfahrenden Transports wäre eine Kostenersparnis, da die Fahrerlöhne nach Angaben von Berylls mehr als 40% ausmachten. MAN nennt andere Vorzüge: weniger Unfälle wegen menschlichen Versagens, Unabhängigkeit von gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten sowie mehr „anspruchsvolle und abwechslungsreiche Fahrtätigkeiten im Stadt- und Regionalverkehr für die wenigen noch vorhandenen Fahrer“.
Tests für autonomes Fahren gibt es schon seit einigen Jahren. So sind Lkw der schwedischen MAN-Schwestermarke Scania in Bergbauminen unterwegs. Nun probt das Unternehmen mit Havi, einem europäischen Logistikdienstleister für die Lebensmittelindustrie, den Einsatz eines vollständig autonomen Fahrzeugs für den Transport von Handelsgütern unter regulären Verkehrsbedingungen. Das Pilotprojekt zwischen zwei rund 300 Kilometern entfernten Logistikzentren in den schwedischen Städten Södertälje, dem Sitz von Scania, und Jönköping ist nach Angaben von Scania das erste dieser Art in Europa. „Wir müssen jetzt etwas über den autonomen Betrieb lernen, damit wir bereit sind, sobald die Technologie einsatzbereit ist“, sagt der Scania-Projektleiter Robert Melin Mori.
„Nirgends so sinnvoll“
Die Lkw-Hersteller arbeiten auf diesem Gebiet mit Partnern wie Zulieferern zusammen oder übernehmen Spezialisten wie Daimler Truck 2019 Torc. Das Tochterunternehmen Torc Robotics mit Hauptsitz im US-Bundesstaat Virginia entwickelt Software für das automatisierte Fahren von Lkw.
Bosch, der größte Autozulieferer der Welt, arbeitet mit 1100 Entwicklern am automatisierten Fahren von Pkw und Lkw. „Nirgends ist es wirtschaftlich so sinnvoll wie im Nutzfahrzeug“, meint Markus Heyn, Geschäftsführer von Bosch und für das Segment Mobility Solutions zuständig. Das Stuttgarter Unternehmen hat sich das Ziel gesetzt, den fahrerlosen Betrieb auf Autobahnen bis zum Ende dieses Jahrzehnts zu realisieren. Für 2025 kündigt Bosch den Serienstart eines Computers bei einem nicht genannten europäischen Lkw-Hersteller an, der die Verarbeitung von Sensordaten in Echtzeit ermögliche.
Auch der Konkurrent ZF ist hier aktiv und gab auf der IAA Transportation den Start der ersten Serienproduktion eines Supercomputers bekannt. Mit bis zu einer Billiarde Rechenoperationen in der Sekunde würden alle Stufen bis zum vollständigen autonomen Fahren unterstützt. Voraussichtlich vom nächsten Jahr an soll diese Lösung von ZF in China und später in den USA auf den Markt kommen.
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