Simone Peter, BEE

„Habeck steht vor einer wahren Herkules­aufgabe“

Die vom Kabinett beschlossene Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ist nach Einschätzung des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE) ein guter erster Aufschlag. BEE-Präsidentin Simone Peter dringt im Interview auf die Nutzung des Potenzials aller Erneuerbaren.

„Habeck steht vor einer wahren Herkules­aufgabe“

Stefan Paravicini

Frau Peter, das Kabinett hat das Osterpaket mit der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf den Weg gebracht. Den Entwurf sah der BEE noch „deutlich hinter dem Möglichen und Notwendigen“. Liefert das EEG 2023 die Grundlagen für eine Entfesselung der Erneuerbaren?

Einige unserer Punkte haben im Rahmen der Verbändeanhörung Eingang in die neue Fassung des Gesetzentwurfs gefunden. Das Osterpaket ist ein guter erster Aufschlag, der vor allem von dem großen Gestaltungswillen der Bundesregierung bei der Energiewende zeugt, natürlich auch vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine und unserer großen Importabhängig von Gas, Kohle und Öl. Zum großen Wurf muss es allerdings jetzt im parlamentarischen Verfahren werden. Hier werden wir uns weiter einbringen, damit die ambitionierten Ziele der Bundesregierung auch erreicht werden.

Wo gibt es aus Sicht des BEE im jetzt vorgelegten Gesetzespaket den größten Bedarf für Nachbesserungen?

Das Paket ist auf Windenergie und Photovoltaik als kostengünstige Leistungsträger der Energiewende fokussiert, muss aber auch hier noch in wesentlichen Punkten nachgebessert werden. Das geht von einer Stärkung des Eigenverbrauchs bei Photovoltaik und einer verbesserten Flächenkulisse über bessere Möglichkeiten des Repowerings, also des Ersatzes von alten durch neue Anlagen, und der Verbindung von Arten- und Klimaschutz. Hier erschweren neue Vorgaben eine schnelle Genehmigung.

Die anderen Erneuerbaren werden in dem Paket vernachlässigt?

Jenseits von Wind und PV fallen andere erneuerbare Energien im Vergleich deutlich zurück: Für Biogas bedeutet der jetzige Entwurf de facto einen Rückbau. Die Wasserkraft wird in dem Entwurf sogar deutlich schlechter gestellt, das Paket bedeutet gar ein Ende der Förderung für die kleine Wasserkraft, ein Worst-Case-Szenario. Bei der Geothermie werden die Potenziale für die Stromerzeugung ganz außer Acht gelassen.

Der BEE hat die Verankerung eines Schutzgütervorrangs für die Erneuerbaren im Gesetz gefordert. Ist die Umsetzung nach ihrer Einschätzung so gelungen, dass die Erneuerbaren in Genehmigungsverfahren Vorrang haben?

Der im Kabinettsbeschluss enthaltene Vorrang aller erneuerbaren Energien in der Schutzgüterabwägung ist ein wichtiger Schritt, der dazu beitragen kann, niedrigschwellige Konflikte frühzeitig aufzulösen und damit die Genehmigungs- und Planungsverfahren deutlich zu beschleunigen. Bislang sind Belange der Bundeswehr jedoch ausdrücklich davon ausgenommen. In diesem Punkt sollte im parlamentarischen Prozess noch nachgearbeitet werden, um weitere Flächen zu nutzen.

Die Bundesregierung will weitere Gesetzesänderungen zur Be­schleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren im Mai nachreichen, die zusammen mit den jetzt vorgelegten Gesetzen am 1. Juli in Kraft treten sollen. Wo muss die Bundesregierung noch vor dem Sommer nachliefern?

Wir vermissen in dem Paket nach wie vor einige der Punkte, die bereits im Koalitionsvertrag angekündigt wurden. So fehlen weiterhin Maßnahmen für die Energiewende im Wärme- und Industriesektor, der ja von Erdgas besonders abhängig ist. Hier stehen die Technologien Solarthermie, Tiefengeothermie, Wärmepumpen und Bioenergieanlagen mit teils großen Potenzialen bereit, um russisches Gas zu ersetzen. Auch die Plattform „Klimaneutrales Stromsystem“ muss jetzt schnellstmöglich die Arbeit aufnehmen, denn der Strommarkt ist dringend auf die Bedürfnisse der Erneuerbaren auszurichten. 

Die Bundesregierung hat in dieser Woche auch eine Einigung erzielt, die mehr Flächen für den Ausbau von Wind an Land im Umkreis von Funkfeuern verfügbar macht. Ist das für die Windenergie ein „Game Changer“ oder ein Tropfen auf den heißen Stein?

Die Einigung zeigt den Willen, von den Verbänden aufgezeigte Probleme zu lösen. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Ob die vereinbarten Maßnahmen tatsächlich im erhofften Maße Flächenpotenziale für die Windenergie entfesseln können, muss sich erst in der Praxis beweisen. Wir haben da an einigen Punkten noch starke Zweifel, und unsere Forderungen wurden leider nicht überall im erforderlichen Maße übernommen. Darüber hinaus gibt es noch keine vergleichbare Einigung zu Nutzungskonflikten mit der Bundeswehr, etwa bei Hubschraubertiefflugkorridoren.

Bundeswirtschaftsminister Ro­bert Habeck (Grüne) und Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) haben sich auf Eckpunkte verständigt, wie der Ausgleich zwischen erneuerbaren Energien und Artenschutz gelingen kann. Werden damit die wichtigsten Hemmnisse für die Erneuerbaren abgebaut?

Wir begrüßen die Einigung der beiden Ressorts auf die Eckpunkte, die die Regelungskompetenz des Bundes für eine dringend notwendige Standardisierung im Artenschutz vorsieht. Das Papier muss vor der Umsetzung aber in zentralen Fragen noch spezifiziert oder nochmals geändert werden. Eine geordnete Beteiligung der Verbände ist daher im weiteren Prozess essenziell, wenn die bestehenden Konflikte aufgelöst und Genehmigungsverfahren tatsächlich beschleunigt werden sollen.

Die Novelle des EEG zielt nicht nur auf Klimaneutralität in der Energieversorgung, sondern steht jetzt auch im Zeichen der Unabhängigkeit von Energieimporten aus Russland. Wird das jetzt vorgelegte Paket dem gerecht?

Das Paket steht unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges. Maßnahmen wie die Anhebung des Bruttostrombedarfs auf 750 Terawattstunden (TWh) bis 2030 und entsprechend einer Erneuerbaren-Strommenge von 600 TWh sowie die deutliche Anhebung der Ausbaupfade und des Ausschreibungsvolumens bei der Wind- und der Solarenergie zeugen von dem Willen zur Beschleunigung. Wir sehen in verschiedenen Punkten aber noch Ergänzungsbedarf und drängen vor allem auf die Nutzung des Potenzials aller erneuerbaren Energien. Wir können angesichts der Versorgungs- und der Klimakrise auf keine Kilowattstunde Ökostrom verzichten.   

Die Europäische Union diskutiert über ein Embargo für Energieimporte aus Russland, Deutschland wird als Bremser wahrgenommen. Wie bewertet der BEE die Haltung der Bundesregierung?

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck steht vor einer wahren Herkulesaufgabe. Die Sicherung der deutschen Energieversorgung unter dem Eindruck eines Krieges mitten in Europa bei gleichzeitiger Transformation des Energiesystems hin zu erneuerbaren Energien verlangt von allen Beteiligten enorme Kraftanstrengungen. Habeck hat seine Pläne zur Unabhängigkeit Deutschlands von russischen Energieimporten dargelegt, die man nicht von heute auf morgen erreicht – das ist die Folge einer verfehlten Energiepolitik der vergangenen Jahre, die uns in diese Abhängigkeit gebracht hat. Ich bin aber zuversichtlich, dass es hier bald Verständigungen mit den europäischen Partnern gibt, den Geldfluss Richtung Russland weiter einzuschränken.

Die Fragen stellte .

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