Im Modehandel rollt die Insolvenzwelle
md/dpa-afx/Reuters Frankfurt – Viele bekannte deutsche Modehändler und -hersteller haben seit Beginn der Coronakrise ihre Rettung in Insolvenzverfahren gesucht: AppelrathCüpper, Esprit, Galeria Karstadt Kaufhof, Hallhuber, Sinn, Tom Tailor und jetzt auch noch Adler. Vor allem mittelständische Branchenvertreter dürften folgen. Davon gehen sowohl die Lobby-Verbände als auch Branchenkenner aus. Weihnachtsgeschäft gestopptGemäß einer Trendumfrage des Handelsverbandes Deutschland (HDE) lagen die Umsätze im Bekleidungshandel im November um fast ein Drittel, im Dezember sogar um 44 % unter dem jeweiligen Vorjahreswert. “Hohe Umsatzverluste im für viele Händler überlebenswichtigen Weihnachtsgeschäft bringen zahlreiche Unternehmen unverschuldet in eine prekäre Situation”, sagt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth.Jüngstes Opfer der Coronakrise im Textilhandel sind die Adler Modemärkte. Wegen Überschuldung stellte das Unternehmen einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung. Das Unternehmen hofft, sich über einen Insolvenzplan sanieren zu können, wie es zuletzt den Wettbewerbern Galeria Karstadt Kaufhof, Sinn und AppelrathCüpper gelang. Deshalb soll der Geschäftsbetrieb – soweit coronabedingt möglich – in vollem Umfang fortgeführt werden. Ursache für den Insolvenzantrag sei der zweite Corona-Lockdown, betont Adler. Die erheblichen Umsatzeinbußen durch die seit Mitte Dezember andauernden Schließungen der meisten Verkaufsfilialen seien für das Unternehmen nicht zu verkraften gewesen.Auffällig ist: Bisher sind es vor allem große Modehäuser, die trotz der Teilaussetzung der Insolvenzantragspflicht Schutz im Insolvenzverfahren suchen. Euler Hermes registrierte im textilen Einzelhandel allein in den ersten neun Monaten 2020 insgesamt acht (i.V. drei) sogenannte “Großinsolvenzen” von Unternehmen mit einem Umsatzvolumen von mehr als 50 Mill. Euro. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Branchenriesen eher noch als kleinere Wettbewerber die Insolvenzverfahren auch als Sanierungswerkzeug nutzen, um Schulden loszuwerden, aus langlaufenden, teuren Mietverträgen herauszukommen und sich leichter von Mitarbeitern zu trennen.Alle stationären Modehändler haben mit den Folgen des laufenden Lockdowns zu kämpfen. “Viele Unternehmen haben auf das Weihnachtsgeschäft gesetzt, um sich mit einem kleinen Puffer bis zum Frühjahr zu retten”, sagt der Deutschland-Chef des Kreditversicherers Euler Hermes, Ron van het Hof. Mit dem Lockdown sei diese Hoffnung zerstoben. Nun stapelt sich einerseits die Winterware in den Regalen, andererseits benötigen die Unternehmen gemäß dem Handelsverband Textil (BTE) jetzt viel Geld, da die Frühjahrs- und Sommerkollektion geordert und bezahlt werden muss. Hinzu kommen die laufenden Kosten, z. B. für Miete und Personal. Doch Geld sei knapp – wegen des Lockdowns und weil bislang keine nennenswerten Hilfen des Staates angekommen seien. In Fachkreisen geht man deshalb davon aus, dass es nach dem Ende des laufenden Lockdowns zu einer Rabattschlacht bei Winterware kommt. Wer es sich als Händler leisten kann, werde Lagerware mit in die nächste Wintersaison nehmen.Rund 33 000 Einzelhändler verkaufen dem BTE zufolge in der Bundesrepublik Mode, Schuhe und Lederwaren. Sie betreiben insgesamt etwa 80 000 Läden mit rund 440 000 Mitarbeitern. Nun befürchtet der BTE, dass Zehntausende Modegeschäfte und weit über 100 000 Jobs in der mittelständisch geprägten Branche gefährdet sind. Und nach einer HDE-Erhebung fürchten 61 % der befragten Textilhändler, 2021 ihr Geschäft aufgeben zu müssen. Hilfen fließen zäh Um den Modehändlern schnell Liquidität zukommen zu lassen, fordert der BTE unter anderem, dass die Kosten für die Waren in die öffentlichen Überbrückungshilfen einfließen müssten. Dabei dürfe es angesichts der hohen Kosten für die Händler auch keine Deckelung geben. Von Betroffenen wurde kritisiert, dass Abschreibungsmöglichkeiten für Winterwaren fehlen. Und für die Januar-Hilfen seien die entsprechenden Portale noch nicht freigeschaltet. Ohnehin sei insgesamt vieles zu bürokratisch.Die Bundesregierung hatte der Wirtschaft nach dem neuerlichen Lockdown schnelle und unbürokratische Hilfen für November und Dezember zugesagt. Doch bislang ist nur ein Bruchteil der vorgesehenen Gelder, die als Entschädigung für Umsatzausfälle konzipiert sind, bei den Unternehmen angekommen. Für November und Dezember stehen jeweils rund 15 Mrd. Euro zur Verfügung. Bis Ende vergangener Woche waren 1,23 Mrd. Euro für November ausgezahlt worden. Für Dezember sind es bislang rund 455 Mill. Euro.Nach Ansicht von CSU-Finanzexperte Hans Michelbach wäre die schnellste und wirksamste Regelung für mehr Liquidität “eine umfassende Erweiterung des Verlustrücktrags, so dass die kompletten Coronaverluste des Jahres 2020 mit den Gewinnen der Jahre 2018 und 2019 verrechnet werden könnten”.Was Mode-Lobbyisten und Händler bei allem Wehklagen über den Lockdown und ausbleibende Finanzhilfen unerwähnt lassen: Die Branche, insbesondere der stationäre Textilhandel, stand schon vor der Pandemie unter Druck. – Kommentar Seite 1