Milliarden nötig für Deutsche Netz AG
Von Christoph Ruhkamp, Frankfurt
Angesichts des Ukraine-Kriegs mit einem drohenden Boykott russischer Energielieferungen will die Bundesregierung russisches Gas in der Stromerzeugung so schnell wie möglich durch erneuerbare Energien ersetzen und dafür den Ökostromanteil bis 2030 auf 80 % verdoppeln. Voraussetzung dafür ist ein beschleunigter Ausbau der großen Stromautobahnen, die die Windräder im Norden mit den Fabriken im Süden verbinden. Dafür brauchen die vier Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz, Amprion, Tennet und Transnet BW in absehbarer Zeit jeweils zwischen 3 Mrd. und 4 Mrd. Euro frisches Eigenkapital.
Deshalb gewinnt die Idee einer Deutschen Netz AG wieder an Bedeutung – die Verstaatlichung der vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland unter dem Dach einer Bundesnetzgesellschaft. Die Grünen, darunter der heutige Wirtschaftsstaatssekretär Oliver Krischer, hatten das schon 2019 erfolglos im Bundestag beantragt. Jetzt sind sie Teil der Bundesregierung und steuern mit Vizekanzler Robert Habeck das Bundeswirtschaftsministerium. Dort wird nach Angaben von Branchenkennern von den derzeit mit einer Vielzahl von Themen überlasteten Beamten auch an Plänen für eine Bundesnetzgesellschaft gearbeitet. „Das Thema Deutsche Netz AG wird in Deutschland seit 15 Jahren immer wieder diskutiert und häufig von den Grünen forciert“, sagt der renommierte Energierechtsanwalt Peter Rosin von der Kanzlei Rosin Büdenbender. „Dahinter steht die Idee, Synergien zwischen den vier Übertragungsnetzbetreibern zu heben und den Netzbetrieb dadurch effizienter und kostengünstiger auszugestalten.“ Allerdings handele es sich bei dem Begriff Deutsche Netz AG um ein schillerndes Schlagwort.
Denn die Bandbreite möglicher Ansätze ist groß. „Bereits jetzt gibt es zahlreiche gesetzliche Kooperationspflichten zwischen den Übertragungsnetzbetreibern“, betont Anwalt Rosin. „Sie könnten sogar vereinbaren, die Regelverantwortung auf einen Übertragungsnetzbetreiber zu übertragen nach Paragraf 12, Absatz 1, Satz 2 Energiewirtschaftsgesetz.“ Im Extremfall würde man einzelne oder alle Übertragungsnetze zusammenlegen. Dies ist aber umso schwieriger, je mehr Eigentümer es gibt, die unterschiedliche Interessen haben. „Rechtlich sind hier die unterschiedlichsten Ausgestaltungen denkbar“, sagt Rosin.
Die Grünen wollen aus dem momentan bei der Staatsbank KfW geparkten 20-%-Anteil am Netzbetreiber 50 Hertz die Basis für die Gründung einer Bundesnetzgesellschaft machen. Die Staatsanteile an den vier großen Übertragungsnetzen sollen dann mit der Zeit in einer Bundesnetzgesellschaft zusammengefasst werden. Die Grünen erhoffen sich dadurch einen Impuls für den Netzausbau.
Eigner kommen von überall
Die Bundesregierung wollte 2019 mit der Beteiligung von 20 % an 50 Hertz nur den Einstieg des chinesischen Netzbetreibers SGCC verhindern und die Anteile eigentlich nur bei der KfW „zwischenparken“. Die deutschen Netze stehen allerdings ohnehin bereits überwiegend unter staatlichem Einfluss – allerdings nicht unter deutschem: Der börsennotierte 50-Hertz-Mehrheitsaktionär Elia gehört knapp zur Hälfte belgischen Kommunen. Eigentümer des größten deutschen Netzgebietes ist Tennet, ein 100-prozentiger Staatskonzern der Niederlande, die verständlicherweise wenig Lust verspüren, Milliarden in das deutsche Netz zu stecken. Auch Transnet BW ist eine Tochter von EnBW, die wiederum dem Land Baden-Württemberg und den Kommunen gehört. Nur Amprion gehört mehrheitlich einer Gruppe privater institutioneller Investoren im Verbund mit anderen Großanlegern sowie RWE.
„In den meisten europäischen Ländern befinden sich die Übertragungsnetzbetreiber im Voll- oder Teilbesitz von Staatsunternehmen. In Deutschland jedoch gehören die Übertragungsnetze zum Teil Staatsunternehmen anderer Länder und befinden sich ansonsten im Besitz von Akteuren unterschiedlichster Interessen. Das ist das Resultat der marktradikalen FDP-Politik von 2012“, wetterten die Grünen 2019. Inzwischen regieren sie gemeinsam mit der FDP.
EnBW sucht Finanzpartner
In Bewegung kommen könnte der „Flickenteppich“ aus Netzbetreibern in Deutschland nun durch einen Vorstoß von EnBW. Der Konzern hat die Investmentbank Morgan Stanley beauftragt und prüft jetzt Optionen, um beim Übertragungsnetzbetreiber Transnet BW einen langfristigen Finanzpartner für eine Minderheitsbeteiligung von maximal 49,9 % an Bord zu nehmen. Finanzvorstand Thomas Kusterer erklärte im Februar: „Der entstehende finanzielle Zufluss würde für Wachstumsinvestitionen zur Verfügung stehen und damit den weiteren Ausbau unseres Gesamtportfolios in ausgewogener Form unterstützen.“ Zwischen 2021 und 2025 plant EnBW, rund 12 Mrd. Euro zu investieren, davon mehr als 6 Mrd. Euro in die Strom- und Gasnetze.
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