RECHT UND KAPITALMARKT

Restrukturierung nach New Yorker Recht

Auch deutsche Emittenten können internationale Verfahren bei Hochzinsanleihen nutzen - Bedarf an "stiller" Sanierung

Restrukturierung nach New Yorker Recht

Von Sacha Lürken und Jan Dettbarn *)Der anhaltende Boom von High-Yield-Anleiheemissionen deutscher Unternehmen lässt mittelfristig bei etlichen Emittenten Restrukturierungsbedarf erwarten. Gerade hochvolumige High-Yield-Anleihen unterliegen regelmäßig New Yorker Recht, was die Frage aufwirft, welche rechtlichen Implementierungswege beim nächsten wirtschaftlichen Abschwung für die Restrukturierung dieser Anleihen maßgeblich zur Anwendung kommen werden. Wie sich beispielsweise bei der Anleiherestrukturierung des Werkstättenbetreibers A.T.U. gezeigt hat, sind zur Minimierung von Wertverlusten kreative Lösungen notwendig.Im Gegensatz zu anderen Kreditvereinbarungen enthalten High-Yield-Anleihen in der Regel keine Verpflichtung zur Einhaltung von Finanzkennzahlen (Financial Covenants), deren Verletzung als Frühindikator einer Krise meist zu Gesprächen zwischen Kreditgebern und Darlehensnehmer über eine Anpassung der Konditionen führt. Emittenten wissen oft nicht mal, wer ihre größten Anleihegläubiger sind.Erkennt das Management des Emittenten Restrukturierungsbedarf bei den Verbindlichkeiten aus der Anleihe, stehen dafür zunächst auf Freiwilligkeit bauende Lösungen zur Verfügung. Die Anleihebedingungen (Indenture) verlangen typischerweise für Stundungen und Verzichte mindestens die Zustimmung von 90 % oder jedes betroffenen Gläubigers, was kaum erreichbar sein wird.In der Praxis kommen daher meist eher entweder ein öffentliches Angebot zum Rückkauf der Anleihe zu Marktwerten unterhalb des Nominalwerts oder ein Umtauschangebot in eine neue Anleihe mit anderen Konditionen vor, welches in der Regel mit einer Zustimmung zur Änderung der Bedingungen der ursprünglichen Anleihe (etwa Verzicht auf Kündigungsrechte) verbunden wird (Exit Consent). Allerdings sind auch hier zur Erzielung der gewünschten wirtschaftlichen Entlastung meist sehr hohe Annahmequoten erforderlich. So scheiterte etwa das Umtauschangebot der Escada AG an der Verfehlung der 80-prozentigen Annahmequote.Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) am 1.3.2012 haben sich Unternehmen daher vermehrt mittels Insolvenzplan saniert (etwa die IVG Immobilien AG). Dessen Vorteil ist, dass die Stakeholder in Gruppen mit 50-prozentiger Kopf- und Summenmehrheit abstimmen und das Gericht sogar die Zustimmung einzelner Gruppen (etwa Gesellschafter) ersetzen kann. Forderungen können so ohne Zustimmung der Altgesellschafter in Anteile getauscht werden (Debt-Equity-Swap). Auch operative Maßnahmen wie Personaländerungen und Eingriffe in Mietverträge sind möglich. Liquiditätsbedarf kann durch ein Massedarlehen sowie ein in einer Anschlussinsolvenz vorrangiges “Exit Financing” (§ 264 Insolvenzordnung) gedeckt werden. Stigma der InsolvenzNachteil eines öffentlichen Insolvenzverfahrens sind jedoch dessen hohe direkte wie indirekte Kosten durch Vertrauensverlust und das Stigma der Insolvenz. Da außerdem das Schuldverschreibungsgesetz von 2009 keine Anwendung auf ausländischem Recht unterliegende Anleihen findet, sind schwierige Rechtsfragen, etwa der Aktivlegitimation für die Stimmrechtsausübung und Forderungsanmeldung, zu klären.In spektakulären Fällen vor der Zeit des ESUG (wie etwa Schefenacker) verlegten Emittenten ihren Verwaltungssitz (Centre of Main Interests, Abkürzung: “CoMI”) nach England, um das als berechenbarer empfundene dortige Insolvenzrecht zu nutzen. Die Entscheidungen des englischen Gerichts werden aufgrund der EU-Insolvenzverordnung (1346/2000/EG) ohne Nachprüfung in Deutschland anerkannt. Seit einer Entscheidung des EuGH aus dem Jahre 2006 (Rs. C 341/04 – “Eurofood”; bestätigt in Rs. C-396/09 – Interedil) sind CoMI-Verlegungen von Gesellschaften mit operativem Geschäftsbetrieb jedoch nur noch unter erschwerten Voraussetzungen möglich. Auch kann eine CoMI-Verlegung zahlreiche andere, etwa steuerliche Konsequenzen haben, die bedacht werden müssen.Bei reinen Finanzrestrukturierungen bieten sich Alternativen zum Insolvenz(plan)verfahren an. So können auch deutsche Emittenten ein Chapter-11-Verfahren in den USA durchlaufen, ohne dafür ihr CoMI verlegen zu müssen (wie etwa im Fall Almatis). Zwar wird ein solches Verfahren in Deutschland nicht anerkannt, allerdings werden sich Gläubiger, die der Jurisdiktion von US-Gerichten unterliegen, angesichts drohender Sanktionen an den Vollstreckungsschutz (“stay”) halten. Der Vorteil ist, dass US-Gerichte hinreichend Erfahrung im Umgang mit der Dokumentation von High-Yield-Anleihen haben und deshalb zu sanierende Verbindlichkeiten und Verfahren aufeinander abgestimmt sind. Materiellrechtliche Veränderungen der Forderungen wie etwa ein Teilverzicht sollten in Deutschland aufgrund der Rom-I-Verordnung (593/2008/EG) anerkannt werden.Eine weitere Alternative ist das “Scheme of Arrangement” nach Sec. 895 des englischen Companies Act. Hierbei handelt es sich nicht um ein Insolvenz-, sondern ein Verfahren des Gesellschaftsrechts (Kremer/Beck, BZ vom 9.2.2011). Englische Gerichte bejahen ihre Zuständigkeit auch bei ausländischen Schuldnern mit CoMI in England oder bei der Wahl englischen Rechts und englischer Gerichte in den zu restrukturierenden Verträgen. Ist die Emittentin ein Finanzierungsvehikel ohne Geschäftsbetrieb, ist die CoMI-Verlegung ohne große Schwierigkeiten möglich, wie etwa im Fall Magyar Telekom. Scheidet eine CoMI-Verlegung aus, wäre denkbar, die Rechtswahl der Anleihe nachträglich in englisches Recht zu ändern. Hierfür genügt nach den Anleihebedingungen regelmäßig eine Mehrheit von 50 % der Gläubiger. Im Fall Apcoa Parking hat der High Court kürzlich eine nachträgliche Rechtswahl ausreichen lassen.In einem Scheme of Arrangement kann auch die Mithaftung Dritter geändert werden, ohne dass diese Partei des Verfahrens werden müssen. Die Entscheidung des englischen Gerichts ist nach überwiegender Auffassung unter der Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (44/2001/EG) und in Kombination mit einem Sekundärverfahren nach Chapter 15 des US-Codes auch in den USA anzuerkennen.Im Fall A.T.U. hatte das Unternehmen über zwei deutsche Holding-Gesellschaften jeweils High-Yield-Anleihen begeben. Die Sanierung erfolgte dadurch, dass über eine neugegründete englische Holding-Gesellschaft ein englisches Insolvenzverfahren (Administration) eröffnet wurde, in dem die Anteile an der Gruppe veräußert wurden. Die Dokumentation der High-Yield-Anleihen sah vor, dass in diesem Fall der Sicherheitentreuhänder zur Freigabe aller Forderungen aus den Anleihen ermächtigt war. Einige OptionenEs stehen also einige Restrukturierungsoptionen für deutsche Emittenten von High-Yield-Anleihen, die New Yorker Recht unterliegen, zur Verfügung. Für die Wahl des richtigen Instruments entscheidend sind neben der Notwendigkeit von Zwangseingriffen in Rechtspositionen anderer Stakeholder als der Anleihegläubiger die Sicherung eines eventuellen Liquiditätsbedarfs der Emittentin sowie die Vermeidung der Öffentlichkeitswirkung eines Insolvenzverfahrens.Wie der Erfolg des Scheme of Arrangement bei der Sanierung deutscher Unternehmen (Telecolumbus, Monier, Primacom, Apcoa Parking) zeigt, besteht auch für deutsche Unternehmen Bedarf an einer “stillen” Sanierung. Von daher ist es zu begrüßen, dass die EU-Kommission nun die Initiative zur Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens in den Mitgliedstaaten ergriffen hat (Empfehlung der EU-Kommission vom 12.3.2014, C (2014) 1500). Zur Umsetzung der Empfehlung haben die Mitgliedstaaten 18 Monate Zeit, bevor eine weitere Harmonisierung angedacht wird. Deutschland sollte daher die bereits in der letzten Legislaturperiode aufgenommenen Arbeiten zur Einführung eines Sanierungsverfahrens wieder aufnehmen.—-*) Sacha Lürken ist Rechtsanwalt und Partner im Bereich Restructuring bei Kirkland & Ellis, Jan Dettbarn ist Senior Director bei Alvarez & Marsal in München.