Im BlickfeldFrankreich

Europas KI-Perle macht Investoren nervös

Frankreich hat sich in der Vergangenheit als europäischer Hotspot für künstliche Intelligenz etabliert und viel ausländisches Kapital angezogen. Die von Emmanuel Macron angesetzten Neuwahlen könnten die Szene jedoch ausbremsen.

Europas KI-Perle macht Investoren nervös

Europas KI-Perle macht Investoren nervös

Frankreich hat sich als europäischer Hotspot für künstliche Intelligenz etabliert. Die Neuwahlen könnten die Szene jedoch ausbremsen.

Von Karolin Rothbart und Gesche Wüpper, Frankfurt/Paris

Frankreich ist Europa-Meister bei KI“, titelte jüngst das Informationsportal „Facta.Media“. Denn das Land hat laut einer Analyse des Wagniskapitalfonds Accel und des Datenanbieters Dealroom bei auf generative künstliche Intelligenz spezialisierten Start-ups in Europa und Israel bei den Finanzierungen die Nase vorn. 2,29 Mrd. Dollar haben die französischen KI-Hoffnungsträger demnach im Zeitraum 2014 bis Ende Mai dieses Jahres eingesammelt. Doch nun fragen sich Investoren und Firmengründer, wie es mit Frankreich weitergeht.

Eigentlich hat die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone die besten Voraussetzungen dafür, einer der wichtigsten KI-Hubs der Welt zu werden. Zu verdanken hat sie das auch Präsident Emmanuel Macron, der sich nach seiner ersten Wahl 2017 auf die Fahnen geschrieben hatte, aus Frankreich eine Start-up-Nation zu machen. KI habe strategische Priorität, betonte er gerade erneut, als er Ende Mai in Paris die Start-up-Messe Vivatech besuchte. Allein im vergangenen Jahr haben sich in Paris 17 KI-Projekte angesiedelt.

Frankreich ist zudem seit einiger Zeit Spitzenreiter in Europa für Auslandsinvestitionen. Davon profitieren auch die KI-Start-ups. So sammelten Mistral, Hugging Face und H, früher unter dem Namen Holistic AI bekannt, 2023 zusammen schätzungsweise 1 Mrd. Euro ein. Mistral wird inzwischen mit 5,8 Mrd. Euro bewertet, seit eine neue Finanzierungsrunde kürzlich 468 Mill. Euro brachte. Dabei ist der europäische Hoffnungsträger für generative KI, der von Nvidia, Salesforce, Samsung und IBM unterstützt wird, gerade mal ein Jahr alt. Zuletzt haben neben General Catalyst auch Lightspeed, Andreessen Horowitz, Bpifrance und BNP Paribas in Mistral investiert. Microsoft ist ebenfalls beteiligt.

Großer Fokus auf Grundlagenforschung

Geldgeber sehen vor allem im akademischen Umfeld einen wichtigen Standortvorteil. „Frankreich hat großartige Hochschulen und Universitäten, die hochmodernes maschinelles Lernen und KI-Fähigkeiten bieten, die derzeit sehr im Trend liegen“, sagt Julien-David Nitlech von Iris, einem europäischen Growth und Venture Fund. „Hochschulen wie die École Normale, Centrale Supélec, École Polytechnique und die darauf vorbereitenden Classes préparatoires legen einen großen Fokus auf Mathematik, auf Deep Maths. Aus ihnen geht eine Menge erstaunlicher Talente hervor.“ 

Das Potenzial dieses Talentpools haben auch ausländische Tech-Riesen erkannt. Meta machte 2015 mit Fair (Facebook Artificial Intelligence Research) den Anfang, einem auf KI spezialisierten Forschungslabor. Inzwischen betreiben auch Google, Fujitsu, Samsung und IBM entsprechende Labore in Paris, genau wie Kyutai, ein von den Milliardären Xavier Niel (Iliad), Rodolphe Saadé (CMA CGM) und Ex-Google-Chef Eric Schmidt unterstütztes Projekt. Sie gehören auch zu den Investoren von Mistral.

Sorge um Standortattraktivität

Unter Geldgebern sorgten die vorgezogenen Neuwahlen nun allerdings für Unruhe, berichtet Marianne Tordeux vom Start-up-Verband France Digitale. Dabei schreckt Investoren zum einen ein möglicher Wahlsieg des rechtsextremen Rassemblement National (RN) auf. Hinter vorgehaltener Hand zeigen sich Vertreter der French Tech aber auch besorgt über die linksextreme Partei La France Insoumise (LFI), die dem Linksbündnis Nouveau Front Populaire angehört. „US-Investoren warten auf den 7. Juli, um zu wissen, wie es dann weitergeht. Sie haben große Sorgen, da Frankreich auch für ausländische Talente attraktiv bleiben muss“, sagt Tordeux.

Tatsächlich ist das Land bei seinen Tech-Ambitionen auch auf Zuwanderung angewiesen. Dem Verband zufolge hat bereits jedes fünfte Start-up schon mal das „French Tech Visa“ genutzt, eine Art Einreise-Schnellverfahren, um Mitarbeitende aus Nicht-EU-Ländern und ihre Familien unkompliziert ins Land zu holen. Das Visum gilt auch für jene, die in Frankreich selbst ein Unternehmen gründen oder als Investor agieren wollen. „Ohne die Ingenieure und Entwickler aus Indien, Marokko, Algerien, der Ukraine, Syrien, Usbekistan, den Philippinen oder den USA wären unsere Unternehmen eines Reichtums, einer Quelle für Innovationen und Vielfalt beraubt, die für unsere Wettbewerbsfähigkeit unerlässlich ist“, erklärte France-Digitale-Chefin Maya Noël in „Les Echos“ und warnte vor Nationalismus und Extremismus.

„Es macht einen Unterschied, ob es drei Wochen oder drei Monate dauert, bis jemand beispielsweise aus den USA oder aus Indien bei dir anfangen kann zu arbeiten“, sagt Tordeux. Auch aus dem Grund habe sich Paris als strategisch wichtige Region für die Entwicklung von künstlicher Intelligenz etablieren können. „Marine Le Pens Rassemblement National hat bereits klargemacht, dass sie das French Tech Visa abschaffen will – selbst dann, wenn es in der betroffenen Branche einen Fachkräftemangel gibt.“

Es ist nicht das einzige Vorhaben der Rechtsaußen-Partei, das der französischen Tech-Industrie – die nach Angaben von France Digital in den vergangenen sieben Jahren mehr als eine Million Jobs geschaffen hat – Bauchschmerzen bereitet. So will der RN auch ausländische Investitionen strenger kontrollieren. Diese ermöglichten es Frankreichs Unternehmen jedoch, zu wachsen und ihre Expansion zu finanzieren, heißt es in einem gerade veröffentlichten Papier des Verbandes. In der Wirtschaft brauche man dort Partner, wohin man mit seiner Firma expandieren wolle – etwa in den USA oder in Asien. Der Vorstoß sei daher „nicht vernünftig“, so das Urteil des Verbands.

Noch kein Exodus in Sicht

In der Szene selbst sitzen trotz der Sorge vor mehr Abschottung derzeit aber noch nicht reihenweise Gründer und Gründerinnen auf gepackten Koffern. Im Portfolio von Iris habe bislang zumindest noch kein Unternehmen einen Wegzug erwogen, sagt Managing Partner Nitlech. „Die Start-ups wollen einen Teil ihrer DNA in Europa behalten, wo es teils auch tolle Anreize für Unternehmensgründungen gibt.“ Andere Regionen, wie etwa die USA, würden für Unternehmer andere Herausforderungen mit sich bringen. „In Amerika müssen Tech-Firmen zum Beispiel mit horrenden Gehältern von Rivalen wie Google oder OpenAI mithalten können“, sagt Nitlech. Die politische Lage sei dort zudem auch nicht viel einfacher. „Letztendlich müssen Märkte von überall aus bespielt werden.“