Neue Seidenstraße

Der lange Weg zur Handelssymmetrie mit China

Düsseldorf spielt als oberster Hüter des deutschen Endpunkts der Neuen Seidenstraße in der Weiterentwicklung der Wirtschaftsbeziehungen eine wichtige Rolle.

Der lange Weg zur Handelssymmetrie mit China

Nordrhein-Westfalen (NRW) be­hauptet sich in dem großen Transformationsprozess, in dem sich Deutschland und die ganze Welt befinden, als starker Industrie- und Handelsstandort und treibt den Wandel in der Wirtschaft aktiv voran. Eine der großen Herausforderungen dabei ist die Zusammenarbeit mit China.

China ist der wichtigste Handelspartner Deutschlands. Gemäß Statistischem Bundesamt wurden von Januar bis November Waren im Wert von 222,3 Mrd. Euro, 14,7% mehr als 2020, gehandelt. Das Interessante dabei: Die Importe aus China stiegen um 127,1 Mrd. Euro, das entspricht 18,6% – der höchste Wert der Geschichte. Die Exporte aus Deutschland nach China erhöhten sich um 10,0% auf 95,2 Mrd. Euro. Damit überstieg der Wert der deutschen Importe aus China den Wert der nach China exportierten Waren um 31,8 Mrd. Euro.

Viele Wirtschaftsvertreter sehen hier nicht nur eine pandemiebedingte Sondersituation, sondern eine langfristige Entwicklung. Ziel Europas und der starken Exportnation Deutschland muss es sein, die Handelssymmetrie ungefähr aufrechtzuerhalten. Zum einen, um die heimische Wirtschaft im Weltmarkt weiterhin so fest zu verankern, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Zum anderen, weil China die wirtschaftliche Macht zunehmend auch politisch nutzen kann und bereits für sich nutzt.

Ein Prestigeprojekt

Der Handel mit China spielt hierzulande eine sehr große Rolle – wie in vielen Ländern der Welt. Ein Prestigeprojekt mit massiver geopolitischer Bedeutung für China und seine weltweiten Partner ist dabei die Neue Seidenstraße. Mit deren Umsetzung waren und sind viele Chancen für den deutschen Standort Duisburg, das Ruhrgebiet und die angrenzenden Regionen verbunden.

Duisburg ist seit 2014 Endpunkt der neuen chinesischen Handelsroute nach Europa. Dort endet die rund 11000 Kilometer lange Bahnstrecke, die von China über Kasachstan, Russland und Polen bis an das Hafenbecken in Rheinhausen führt. Der Cargo-Bahnhof und der damit gewachsene Duisburger Hafen als Umschlagsort zu Straße und Binnenschifffahrt haben sich gut entwickelt.

Gemäß Hafenchef Erich Staake hat Duisburg mit Blick auf China im vergangenen Jahr eine Sonderkonjunktur verzeichnen können. Das Volumen hat sich fast verdoppelt. Aktuell fahren 60 Züge pro Woche hin und her. Noch 2019 waren es im Schnitt etwa 35 Züge pro Woche. Die Stadt steht nach wie vor unter dem Einfluss des Strukturwandels und hofft auf weitere chinesische Firmen. Duisburg will „China-Stadt“ werden.

Aber es gibt Entwicklungen, die nicht nur in Düsseldorf oder Duisburg, sondern auch in Berlin und Brüssel sehr aufhorchen lassen sollten. Chinas Machthaber Xi, einer der geschicktesten und vielleicht auch der weitblickendste Stratege unter den großen Staatsführern unserer Zeit, schafft gerade Fakten, um Chinas Vormachtstellung auszubauen.

Geschöntes Bild

China zeichnet ein geschöntes Bild der Neuen Seidenstraße, die den gemeinsamen eurasischen Kontinent verbinden und allen Staaten Wohlstand bringen solle. Dahinter aber verbirgt sich eine lang ausgerichtete Strategie, um Chinas Einfluss in Asien weiter zu festigen und bis nach Europa auszuweiten.

Gigantische Investitionen

Das Projekt der Neuen Seidenstraße hat sich schrittweise entwickelt und umfasst nun viele Modalitäten: ein interkontinentales Autobahnnetz, mehrere Eisenbahn-Magistralen, die kontinentalübergreifende Stromversorgung mithilfe von Höchstspannungsverbindungen und Kraftwerken, das Kommunikationsnetz sowie den See- und den Luftverkehr.

Das Investitionsvolumen, das die Volksrepublik China in ihrer „Belt & Road“-Initiative zur Erneuerung der Seidenstraße aufgelegt hat, beläuft sich auf rund 1 Bill. Euro. Die Neue Seidenstraße ist damit das größte Wirtschaftsprogramm seit dem Marshallplan. China verspricht zwar, europäische Partner zu beteiligen, was aber nur wenig passiert.

Da das Programm von China finanziert wird, erhalten chinesische Unternehmen in den allermeisten Fällen den Auftrag. Europäer können dann mitwirken, wenn sie mitfinanzieren, Leistungen anbieten, die China nicht hat, und wenn sie ihre Technologien offenlegen, so dass Chinesen im nächsten Schritt die Folgeaufträge übernehmen können. Das ist eine sehr heikle Entwicklung, die besonders deutsche Firmen, die in China aktiv sind, seit vielen Jahren be­klagen.

Was ebenfalls aufhorchen lässt: Europäische Sozial-, Wirtschafts-, Technik- und Sicherheitsstandards haben für die Seidenstraßen-Projekte keine Gültigkeit. Eine neue Herausforderung für die Europäische Union (EU) ist dabei auch das internationale Normenwesen, also die in Europa gültigen Normsysteme für Produkte und Dienstleistungen, die China unterwandern will. Die EU-Kommission hat hier bereits gehandelt, Gegenpositionen aufgebaut und dieser Unterwanderung internationaler Standards durch chinesische Normen den Kampf angesagt.

„Seidenstraße zur See“

China interessiert sich sehr für die Infrastruktur in seinen Partnerländern. Diese bietet sich als wirtschaftlich besonders attraktives Exportziel an, das gleichzeitig als Einfallstor für mehr Einfluss in den Zielregionen dient. So hat China in osteuropäischen Partnerländern bereits deutsche Industriepartner teils verdrängt und Schlüsselfunktionen in Gesamteuropa besetzt. Der Hafen von Pi­räus, der drittgrößte Frachthafen Europas, ist als Teil der „Seidenstraße zur See“ mittlerweile voll unter chinesischer Kontrolle, weil die Griechen ihre Schulden an China durch einen 99-jährigen Pachtvertrag abgelten.

In Deutschland hat China die Cargo-Flughäfen im Blick und hat sich über verschiedenste Rechte abgesichert, teils durch Kauf, teils durch Nutzungsrechte. China übernimmt Stromtrassen und Kraftwerke in Europa und finanziert unter anderem als Partner von Électricité de France die zurzeit größte Kernkraftbaustelle Europas, Hinkley Point in Großbritannien.

Ein Baustein unter mehreren

Das Neue-Seidenstraßen-Projekt von China ist dabei nur ein Baustein unter mehreren. Dazu gehört auch das im Jahr 2012 gegründete Forum „17 plus 1“, an dem 17 Staaten Ostmitteleuropas und China teilnehmen, darunter auch zwölf EU-Mitgliedsländer. China sagt partnerschaftliche Zusammenarbeit und Wirtschaftshilfe zu und stellt gemeinsame Projektarbeit in Aussicht. Der chinesische Druck auf EU-Mitglieder wie Ungarn, Polen und Griechenland ist dabei so groß, dass sich Regierungen zum Teil auch gegen EU-Beschlüsse stemmen und in den EU-Gremien gegen Verurteilungen Chinas votieren.

Dieses Vertragsnetzwerk überlappt sich mit dem Seidenstraßen-Projekt. Über „17 plus 1“, in Kombination mit Chinas aktiver Investitionspolitik in Europa – dem Kauf vieler mittelständischer Marktführer, um die eigene wirtschaftliche Macht auszubauen und so auch politisch stärker Einfluss nehmen zu können – sowie den Projekten der Neuen Seidenstraße vergrößert China seinen Einfluss in der EU konsequent.

Düsseldorf kann als quasi oberster Hüter des deutschen Endpunkts der Seidenstraße in der Weiterentwicklung der Wirtschaftsbeziehungen und der politischen Einflussnahme eine wichtige Rolle einnehmen. Denn gemeinsame wirtschaftliche Interessen sind immer noch das beste verbindende Mittel – besonders, wenn die Geschäfte gut laufen. Das Durchdrücken einseitiger Vorteile belastet im Endeffekt die Wirtschaft beider Seiten. Das trifft nicht nur auf das deutsch-chinesische Verhältnis, sondern auch auf Russland und weitere aktuelle Konfliktherde zu.

Symmetrien sind am stabilsten – langfristig betrachtet. Unsere Außen- und Wirtschaftspolitikerinnen und -politiker müssen bei allem wachsam sein und deutlich die deutschen Standpunkte vertreten, um dauerhaft als ernsthafter Partner wahrgenommen zu werden – und nicht nur als Absatzmarkt.

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